Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Industrie. Diese Industrie wirksam belasten wiederum kann man nur, wenn
man sich entschließt, die Zufuhr des Colonialzuckers zu erschweren oder zu
prohibiren. Großbritannien hat eine Zuckerzoll-Einnahme von 35. SO Sgr.;
unser combinirtes System gewährt uns nur 9--10 Sgr. pr. Kopf.

Und nun gar der Tabak! Ein Artikel wie gemacht zu einem Finanz-
Artikel! Auch vom Standpunkte der Verbrauchsmoral und der Aesthetik so
geeignet wie irgend Etwas zu einer starken und gewinnbringenden Verbrauchs¬
belastung! Und doch auch er widerstrebt bei uns jedem Versuche und zeigt
sich spröde gegen alle ihm zugewandten lüsternen Gedanken der Finanzkünst¬
ler. Er gab der französischen Staatscasse 36.29 Sgr., giebt der österreichi¬
schen 24--25, der englischen 41 -- 41.5 Sgr. Brutto-Ertrag pro Kopf, und
der weiland deutsche Zollverein mußte sich mit wenig über 3 Sgr. begnügen;
das deutsche Reich wird ohne gewaltsame Maßregeln nicht zu erheblich höheren
Einnahme-Beträgen aus dieser Finanzquelle gelangen. Da im Augen¬
blick, wie schon so oft, derartige gewaltsame Maßregeln uns empfohlen
werden, wird gut sein, sich den Artikel Tabak als Finanzartikel, als
"Steuerquelle," wie manche Finanztheoriker in geschmackloser Bildlichkeit sich
auszudrücken pflegen, etwas näher anzusehen.

Der Tabak hat in Europa eigenthümliche Schicksale gehabt. Er ist "ein
ganz besondres Kraut." Zuvörderst kann man von ihm sagen: "Er kam,
ward gekostet und siegte." Tabaksaamen kam zuerst 1559 nach Portugal,
1560 durch Jean Nicol nach Frankreich, 1565 durch Adolf Occo aus Augs¬
burg nach Deutschland. Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts gab es
kein Land in Europa, wo die Tabakspflanze nicht bekannt und der Tabaks¬
verbrauch nicht einigermaßen eingebürgert gewesen wäre. Aber, während der
Kartoffelbau gleichzeitig gewaltsam befördert wurde, suchte man fast überall
in Europa den Tabaksbau und Verbrauch als Teufelswerk zu unterdrücken.
Ein englischer König, Jacob I., eröffnete beinahe seine Negierungsthätigkeit
mit einer Polemik gegen den Tabak. Seine bekannte Schrift "Misocapnus"
suchte zu beweisen, daß das Tabakrauchen "das Bild der Hölle darstelle und
zur Hölle führe." Ueberall zog der Staat erst mit Luxusverboten, dann mit
Luxussteuern, die katholische Kirche sogar mit Excommunicationsbullen gegen
den Tabaksverbrauch zu Felde. Als man sah, daß so dem Laster nicht zu
steuern sei, fing man an, sich mit demselben zu befreunden; der Tabaksver¬
brauch wurde ein geschätzter Bundesgenosse des Fiscus. Man ist sehr erfin¬
derisch gewesen in den Mitteln, dem Tabak im Interesse des Fiscus beizu¬
kommen. Eine lehrreiche neuere Schrift (Joh. Mährlen "die Besteuerung des
Tabaks im Zollverein," Stuttgart, Ed. Hallberger, 1868) giebt in einem be¬
sonderen Abschnitt eine "Beschreibung der verschiedenen, theils früher bestan¬
denen, theils bestehenden Besteuerungsarten des Tabaksverbrauches." Dem


Industrie. Diese Industrie wirksam belasten wiederum kann man nur, wenn
man sich entschließt, die Zufuhr des Colonialzuckers zu erschweren oder zu
prohibiren. Großbritannien hat eine Zuckerzoll-Einnahme von 35. SO Sgr.;
unser combinirtes System gewährt uns nur 9—10 Sgr. pr. Kopf.

Und nun gar der Tabak! Ein Artikel wie gemacht zu einem Finanz-
Artikel! Auch vom Standpunkte der Verbrauchsmoral und der Aesthetik so
geeignet wie irgend Etwas zu einer starken und gewinnbringenden Verbrauchs¬
belastung! Und doch auch er widerstrebt bei uns jedem Versuche und zeigt
sich spröde gegen alle ihm zugewandten lüsternen Gedanken der Finanzkünst¬
ler. Er gab der französischen Staatscasse 36.29 Sgr., giebt der österreichi¬
schen 24—25, der englischen 41 — 41.5 Sgr. Brutto-Ertrag pro Kopf, und
der weiland deutsche Zollverein mußte sich mit wenig über 3 Sgr. begnügen;
das deutsche Reich wird ohne gewaltsame Maßregeln nicht zu erheblich höheren
Einnahme-Beträgen aus dieser Finanzquelle gelangen. Da im Augen¬
blick, wie schon so oft, derartige gewaltsame Maßregeln uns empfohlen
werden, wird gut sein, sich den Artikel Tabak als Finanzartikel, als
„Steuerquelle," wie manche Finanztheoriker in geschmackloser Bildlichkeit sich
auszudrücken pflegen, etwas näher anzusehen.

Der Tabak hat in Europa eigenthümliche Schicksale gehabt. Er ist „ein
ganz besondres Kraut." Zuvörderst kann man von ihm sagen: „Er kam,
ward gekostet und siegte." Tabaksaamen kam zuerst 1559 nach Portugal,
1560 durch Jean Nicol nach Frankreich, 1565 durch Adolf Occo aus Augs¬
burg nach Deutschland. Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts gab es
kein Land in Europa, wo die Tabakspflanze nicht bekannt und der Tabaks¬
verbrauch nicht einigermaßen eingebürgert gewesen wäre. Aber, während der
Kartoffelbau gleichzeitig gewaltsam befördert wurde, suchte man fast überall
in Europa den Tabaksbau und Verbrauch als Teufelswerk zu unterdrücken.
Ein englischer König, Jacob I., eröffnete beinahe seine Negierungsthätigkeit
mit einer Polemik gegen den Tabak. Seine bekannte Schrift „Misocapnus"
suchte zu beweisen, daß das Tabakrauchen „das Bild der Hölle darstelle und
zur Hölle führe." Ueberall zog der Staat erst mit Luxusverboten, dann mit
Luxussteuern, die katholische Kirche sogar mit Excommunicationsbullen gegen
den Tabaksverbrauch zu Felde. Als man sah, daß so dem Laster nicht zu
steuern sei, fing man an, sich mit demselben zu befreunden; der Tabaksver¬
brauch wurde ein geschätzter Bundesgenosse des Fiscus. Man ist sehr erfin¬
derisch gewesen in den Mitteln, dem Tabak im Interesse des Fiscus beizu¬
kommen. Eine lehrreiche neuere Schrift (Joh. Mährlen „die Besteuerung des
Tabaks im Zollverein," Stuttgart, Ed. Hallberger, 1868) giebt in einem be¬
sonderen Abschnitt eine „Beschreibung der verschiedenen, theils früher bestan¬
denen, theils bestehenden Besteuerungsarten des Tabaksverbrauches." Dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126113"/>
          <p xml:id="ID_1048" prev="#ID_1047"> Industrie. Diese Industrie wirksam belasten wiederum kann man nur, wenn<lb/>
man sich entschließt, die Zufuhr des Colonialzuckers zu erschweren oder zu<lb/>
prohibiren. Großbritannien hat eine Zuckerzoll-Einnahme von 35. SO Sgr.;<lb/>
unser combinirtes System gewährt uns nur 9&#x2014;10 Sgr. pr. Kopf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1049"> Und nun gar der Tabak! Ein Artikel wie gemacht zu einem Finanz-<lb/>
Artikel! Auch vom Standpunkte der Verbrauchsmoral und der Aesthetik so<lb/>
geeignet wie irgend Etwas zu einer starken und gewinnbringenden Verbrauchs¬<lb/>
belastung! Und doch auch er widerstrebt bei uns jedem Versuche und zeigt<lb/>
sich spröde gegen alle ihm zugewandten lüsternen Gedanken der Finanzkünst¬<lb/>
ler. Er gab der französischen Staatscasse 36.29 Sgr., giebt der österreichi¬<lb/>
schen 24&#x2014;25, der englischen 41 &#x2014; 41.5 Sgr. Brutto-Ertrag pro Kopf, und<lb/>
der weiland deutsche Zollverein mußte sich mit wenig über 3 Sgr. begnügen;<lb/>
das deutsche Reich wird ohne gewaltsame Maßregeln nicht zu erheblich höheren<lb/>
Einnahme-Beträgen aus dieser Finanzquelle gelangen. Da im Augen¬<lb/>
blick, wie schon so oft, derartige gewaltsame Maßregeln uns empfohlen<lb/>
werden, wird gut sein, sich den Artikel Tabak als Finanzartikel, als<lb/>
&#x201E;Steuerquelle," wie manche Finanztheoriker in geschmackloser Bildlichkeit sich<lb/>
auszudrücken pflegen, etwas näher anzusehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1050" next="#ID_1051"> Der Tabak hat in Europa eigenthümliche Schicksale gehabt. Er ist &#x201E;ein<lb/>
ganz besondres Kraut." Zuvörderst kann man von ihm sagen: &#x201E;Er kam,<lb/>
ward gekostet und siegte." Tabaksaamen kam zuerst 1559 nach Portugal,<lb/>
1560 durch Jean Nicol nach Frankreich, 1565 durch Adolf Occo aus Augs¬<lb/>
burg nach Deutschland. Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts gab es<lb/>
kein Land in Europa, wo die Tabakspflanze nicht bekannt und der Tabaks¬<lb/>
verbrauch nicht einigermaßen eingebürgert gewesen wäre. Aber, während der<lb/>
Kartoffelbau gleichzeitig gewaltsam befördert wurde, suchte man fast überall<lb/>
in Europa den Tabaksbau und Verbrauch als Teufelswerk zu unterdrücken.<lb/>
Ein englischer König, Jacob I., eröffnete beinahe seine Negierungsthätigkeit<lb/>
mit einer Polemik gegen den Tabak. Seine bekannte Schrift &#x201E;Misocapnus"<lb/>
suchte zu beweisen, daß das Tabakrauchen &#x201E;das Bild der Hölle darstelle und<lb/>
zur Hölle führe." Ueberall zog der Staat erst mit Luxusverboten, dann mit<lb/>
Luxussteuern, die katholische Kirche sogar mit Excommunicationsbullen gegen<lb/>
den Tabaksverbrauch zu Felde. Als man sah, daß so dem Laster nicht zu<lb/>
steuern sei, fing man an, sich mit demselben zu befreunden; der Tabaksver¬<lb/>
brauch wurde ein geschätzter Bundesgenosse des Fiscus. Man ist sehr erfin¬<lb/>
derisch gewesen in den Mitteln, dem Tabak im Interesse des Fiscus beizu¬<lb/>
kommen. Eine lehrreiche neuere Schrift (Joh. Mährlen &#x201E;die Besteuerung des<lb/>
Tabaks im Zollverein," Stuttgart, Ed. Hallberger, 1868) giebt in einem be¬<lb/>
sonderen Abschnitt eine &#x201E;Beschreibung der verschiedenen, theils früher bestan¬<lb/>
denen, theils bestehenden Besteuerungsarten des Tabaksverbrauches." Dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] Industrie. Diese Industrie wirksam belasten wiederum kann man nur, wenn man sich entschließt, die Zufuhr des Colonialzuckers zu erschweren oder zu prohibiren. Großbritannien hat eine Zuckerzoll-Einnahme von 35. SO Sgr.; unser combinirtes System gewährt uns nur 9—10 Sgr. pr. Kopf. Und nun gar der Tabak! Ein Artikel wie gemacht zu einem Finanz- Artikel! Auch vom Standpunkte der Verbrauchsmoral und der Aesthetik so geeignet wie irgend Etwas zu einer starken und gewinnbringenden Verbrauchs¬ belastung! Und doch auch er widerstrebt bei uns jedem Versuche und zeigt sich spröde gegen alle ihm zugewandten lüsternen Gedanken der Finanzkünst¬ ler. Er gab der französischen Staatscasse 36.29 Sgr., giebt der österreichi¬ schen 24—25, der englischen 41 — 41.5 Sgr. Brutto-Ertrag pro Kopf, und der weiland deutsche Zollverein mußte sich mit wenig über 3 Sgr. begnügen; das deutsche Reich wird ohne gewaltsame Maßregeln nicht zu erheblich höheren Einnahme-Beträgen aus dieser Finanzquelle gelangen. Da im Augen¬ blick, wie schon so oft, derartige gewaltsame Maßregeln uns empfohlen werden, wird gut sein, sich den Artikel Tabak als Finanzartikel, als „Steuerquelle," wie manche Finanztheoriker in geschmackloser Bildlichkeit sich auszudrücken pflegen, etwas näher anzusehen. Der Tabak hat in Europa eigenthümliche Schicksale gehabt. Er ist „ein ganz besondres Kraut." Zuvörderst kann man von ihm sagen: „Er kam, ward gekostet und siegte." Tabaksaamen kam zuerst 1559 nach Portugal, 1560 durch Jean Nicol nach Frankreich, 1565 durch Adolf Occo aus Augs¬ burg nach Deutschland. Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts gab es kein Land in Europa, wo die Tabakspflanze nicht bekannt und der Tabaks¬ verbrauch nicht einigermaßen eingebürgert gewesen wäre. Aber, während der Kartoffelbau gleichzeitig gewaltsam befördert wurde, suchte man fast überall in Europa den Tabaksbau und Verbrauch als Teufelswerk zu unterdrücken. Ein englischer König, Jacob I., eröffnete beinahe seine Negierungsthätigkeit mit einer Polemik gegen den Tabak. Seine bekannte Schrift „Misocapnus" suchte zu beweisen, daß das Tabakrauchen „das Bild der Hölle darstelle und zur Hölle führe." Ueberall zog der Staat erst mit Luxusverboten, dann mit Luxussteuern, die katholische Kirche sogar mit Excommunicationsbullen gegen den Tabaksverbrauch zu Felde. Als man sah, daß so dem Laster nicht zu steuern sei, fing man an, sich mit demselben zu befreunden; der Tabaksver¬ brauch wurde ein geschätzter Bundesgenosse des Fiscus. Man ist sehr erfin¬ derisch gewesen in den Mitteln, dem Tabak im Interesse des Fiscus beizu¬ kommen. Eine lehrreiche neuere Schrift (Joh. Mährlen „die Besteuerung des Tabaks im Zollverein," Stuttgart, Ed. Hallberger, 1868) giebt in einem be¬ sonderen Abschnitt eine „Beschreibung der verschiedenen, theils früher bestan¬ denen, theils bestehenden Besteuerungsarten des Tabaksverbrauches." Dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/331>, abgerufen am 29.09.2024.