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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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verräther von 1849 in den geheiligten, allzeit gutkaiserlichen Räumen der
Hofoper seine eigenen revolutionärsten Musikstücke dirigiren zu lassen.

Daß es darauf abgesehen war, Wagner zum General-Musikdirector zu
ernennen, den Platz, den seit Meyerbeer's Tod Niemand mehr eingenommen,
war ein Geheimniß, das, trotz aller halbofsiciösen Ableugnungen, sich die
Spatzen auf den Dächern erzählten. Man schien sogar in den leitenden Krei¬
sen entschlossen, über alle die Hindernisse, welche sich, wie die Generalinten¬
dantur, diesem Projecte in den Weg zu stellen den männlichen Muth zeigten,
schonungslos zur Tagesordnung überzugehen. Allein es gab Kräfte und
Mächte ersten Ranges, die man im kühnen Fluge siegesgewisser Phantasie in
ihrer Widerstandszähigkeit und -Fähigkeit zu niedrig veranschlagt hatte --
und so mußte die Krönung des musikalischen Zukunftsgebäudes vor der Hand
unterbleiben.

Fast aber hätte dieser musikalische Krieg, der durch die betheiligten .Kreise
beinahe an den Zwist zwischen Gluck und Piccini erinnerte, in welchem be¬
kanntlich sogar Marie Antoinette Partei ergriff, auch auf dramatischem Gebiete
ein seltsames Nachspiel gefunden. Sie kennen das Kruse'sche Preisdrama
"die Gräfin", das sich seit der ersten Aufführung, die damals nicht ohne
Sturm vorübergegangen war, trotz einer entsetzlichen Verballhornung von Re¬
gisseursgnaden, in ehrenvollster Weise auf dem Repertoir erhalten. Nun hatte
das Stück das Glück, einer hohen Persönlichkeit, die lange in den Rheinlan¬
den residirt, ein besonderes Interesse abzugewinnen, einer Persönlichkeit, die
in nahen freundschaftlichen Beziehungen zu den Leitern des Wagner-Projec-
tes stand. Nach Analogie der auch Wagner sehr geläufigen Weisheit: "haust
Du meinen Juden, hau ich Deinen Juden" argumentirte nun die General¬
intendantur augenscheinlich so: "Aergert Ihr mich mit Wagner -- ärgere
ich Euch mit Kruse" und flugs wanderte die "Gräfin" in die theatralische
Rumpelkammer, nachdem man drei bedeutungsschwere Kreuze auf ihren gedul¬
digen Umschlag gemalt. Aber sei es nun, daß die österliche Nähe'des Aufer¬
stehungstages noch nachwirkte, sei es, daß der Himmelfahrtstag seine Schatten
vorauswarf .... sicher ist, daß eines Tages ein "allerhöchster Be¬
fehl" als yuos oZo! in der Theaterkanzlei eintraf, um die kaum entschlum¬
merte "Gräfin" zu neuem Leben aufzuerwecken. Die Kruse'sche Tragödie kommt
erst jetzt zu gebührender Geltung, und vermag die häufig klassisch - öden Räume
des Schauspielhauses dauernd dicht zu bevölkern.

Doch genug von allem Theater-Krieg in einer Zeit, in welcher der neue
"Frankfurter Friede" alle Herzen erfüllt, der wie Minerva gewappnet dem
Haupte des Reichskanzlers entsprang. Die schnelle Ordnung der in Brüssel
so lang verschleppten Verhandlungen ist freilich nicht -- wer sollte es glau¬
ben -- nach Jedermanns Geschmack in Deutschland. Es giebt hartgesot-


verräther von 1849 in den geheiligten, allzeit gutkaiserlichen Räumen der
Hofoper seine eigenen revolutionärsten Musikstücke dirigiren zu lassen.

Daß es darauf abgesehen war, Wagner zum General-Musikdirector zu
ernennen, den Platz, den seit Meyerbeer's Tod Niemand mehr eingenommen,
war ein Geheimniß, das, trotz aller halbofsiciösen Ableugnungen, sich die
Spatzen auf den Dächern erzählten. Man schien sogar in den leitenden Krei¬
sen entschlossen, über alle die Hindernisse, welche sich, wie die Generalinten¬
dantur, diesem Projecte in den Weg zu stellen den männlichen Muth zeigten,
schonungslos zur Tagesordnung überzugehen. Allein es gab Kräfte und
Mächte ersten Ranges, die man im kühnen Fluge siegesgewisser Phantasie in
ihrer Widerstandszähigkeit und -Fähigkeit zu niedrig veranschlagt hatte —
und so mußte die Krönung des musikalischen Zukunftsgebäudes vor der Hand
unterbleiben.

Fast aber hätte dieser musikalische Krieg, der durch die betheiligten .Kreise
beinahe an den Zwist zwischen Gluck und Piccini erinnerte, in welchem be¬
kanntlich sogar Marie Antoinette Partei ergriff, auch auf dramatischem Gebiete
ein seltsames Nachspiel gefunden. Sie kennen das Kruse'sche Preisdrama
„die Gräfin", das sich seit der ersten Aufführung, die damals nicht ohne
Sturm vorübergegangen war, trotz einer entsetzlichen Verballhornung von Re¬
gisseursgnaden, in ehrenvollster Weise auf dem Repertoir erhalten. Nun hatte
das Stück das Glück, einer hohen Persönlichkeit, die lange in den Rheinlan¬
den residirt, ein besonderes Interesse abzugewinnen, einer Persönlichkeit, die
in nahen freundschaftlichen Beziehungen zu den Leitern des Wagner-Projec-
tes stand. Nach Analogie der auch Wagner sehr geläufigen Weisheit: „haust
Du meinen Juden, hau ich Deinen Juden" argumentirte nun die General¬
intendantur augenscheinlich so: „Aergert Ihr mich mit Wagner — ärgere
ich Euch mit Kruse" und flugs wanderte die „Gräfin" in die theatralische
Rumpelkammer, nachdem man drei bedeutungsschwere Kreuze auf ihren gedul¬
digen Umschlag gemalt. Aber sei es nun, daß die österliche Nähe'des Aufer¬
stehungstages noch nachwirkte, sei es, daß der Himmelfahrtstag seine Schatten
vorauswarf .... sicher ist, daß eines Tages ein „allerhöchster Be¬
fehl" als yuos oZo! in der Theaterkanzlei eintraf, um die kaum entschlum¬
merte „Gräfin" zu neuem Leben aufzuerwecken. Die Kruse'sche Tragödie kommt
erst jetzt zu gebührender Geltung, und vermag die häufig klassisch - öden Räume
des Schauspielhauses dauernd dicht zu bevölkern.

Doch genug von allem Theater-Krieg in einer Zeit, in welcher der neue
„Frankfurter Friede" alle Herzen erfüllt, der wie Minerva gewappnet dem
Haupte des Reichskanzlers entsprang. Die schnelle Ordnung der in Brüssel
so lang verschleppten Verhandlungen ist freilich nicht — wer sollte es glau¬
ben — nach Jedermanns Geschmack in Deutschland. Es giebt hartgesot-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/318>, abgerufen am 28.12.2024.