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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Sedan vorwiegend erreicht haben die ihm durch die Schweizer Presse vermittelten
Lügenberichte der Franzosen, oder die thränenseligen Feuilletons schweizerischer
Schlachtenbummler aus dem zerschossenen Straßburg. Ein so vernünftiger
kritischer Kopf würde sonst nicht mit so viel unklaren Worten die strategische
Nothwendigkeit der Beschießung Straßburgs schelten, die zudem großentheils
bei ihm auf falschen Voraussetzungen beruht,*) er würde die Heimkehr des
Königs von Ems nach Berlin noch aus anderen Quellen kennen, als dem
fabelhaften Holzschnitt des ?aris illu8ti'6, wo der König seinem Sohne
weinend in die Arme sinkt und Bismarck im Hintergrunde steht, mit dem
Bewußtsein des Karnikels und argen Sünders.**)

Wir theilen keineswegs die Ansicht der Pessimisten, daß der Krieg und
die blutigen Auftritte nach gewonnenem Frieden zwischen Deutschland und
der Schweiz das Tischtuch zerschnitten haben für lange Jahre. Aber für
Diejenigen gerade, die eine Fortdauer freundnachbarlichen Verkehrs der beiden
Nationen ernstlich wünschen, und ihrer segensreichen Folgen sich bewußt sind,
erwächst die Pflicht des ehrlichen Freundes in vollem Maße: die Wahrheit
zu sagen, den Quellen nachzuspüren, aus denen der Deutschenhaß bei Euch
strömt und die Mittel anzudeuten, wie ein besseres Verhältniß begründet
werden kann.

Dem soll mein nächster Brief gelten. Einstweilen bin ich dein alter


S . . z.


Die Eröffnung des Reichstages und seine drei ersten Sitzungen liegen
hinter uns; bereits sind wir fähig ein ungefähres Bild von der Physiognomie
des Parlaments zu entwerfen. Bisher war es nicht möglich, die Partei-
gruppirung genau zu unterscheiden, da fünfunddreißig engere Wahlen statt¬
finden mußten, und außerdem ungewöhnlich viel Candidaten doppelt gewählt
sind. Bei den betreffenden Nachwahlen, die vom Bundeskanzleramt ausge¬
schrieben werden, wird dann wohl mancher neue nicht sofort zu classificirende Name
auftreten, und an dergleichen fehlt es uns ja auch schon jetzt keineswegs. Allein
die Gesammtziffern werden im Großen und Ganzen nicht bedeutend alterirt
werden. Da die engeren Wahlen in der Zeit zwischen dem 3. März und
heute den 27. März, sämmtlich beendet sind, so kann man das quantitative
Verhältniß der verschiedenen Fractionen nunmehr feststellen.. Wir beginnen



') So nennt er die Beschießung von Kehl eine Rache für die Beschießung von Strciß-
burg (S. 28), während, wenn man einmal von den strategischen Gründen absteht, bekanntlich
das Umgekehrte der Fall war.
"
'') KouLswont, S. 21.

Sedan vorwiegend erreicht haben die ihm durch die Schweizer Presse vermittelten
Lügenberichte der Franzosen, oder die thränenseligen Feuilletons schweizerischer
Schlachtenbummler aus dem zerschossenen Straßburg. Ein so vernünftiger
kritischer Kopf würde sonst nicht mit so viel unklaren Worten die strategische
Nothwendigkeit der Beschießung Straßburgs schelten, die zudem großentheils
bei ihm auf falschen Voraussetzungen beruht,*) er würde die Heimkehr des
Königs von Ems nach Berlin noch aus anderen Quellen kennen, als dem
fabelhaften Holzschnitt des ?aris illu8ti'6, wo der König seinem Sohne
weinend in die Arme sinkt und Bismarck im Hintergrunde steht, mit dem
Bewußtsein des Karnikels und argen Sünders.**)

Wir theilen keineswegs die Ansicht der Pessimisten, daß der Krieg und
die blutigen Auftritte nach gewonnenem Frieden zwischen Deutschland und
der Schweiz das Tischtuch zerschnitten haben für lange Jahre. Aber für
Diejenigen gerade, die eine Fortdauer freundnachbarlichen Verkehrs der beiden
Nationen ernstlich wünschen, und ihrer segensreichen Folgen sich bewußt sind,
erwächst die Pflicht des ehrlichen Freundes in vollem Maße: die Wahrheit
zu sagen, den Quellen nachzuspüren, aus denen der Deutschenhaß bei Euch
strömt und die Mittel anzudeuten, wie ein besseres Verhältniß begründet
werden kann.

Dem soll mein nächster Brief gelten. Einstweilen bin ich dein alter


S . . z.


Die Eröffnung des Reichstages und seine drei ersten Sitzungen liegen
hinter uns; bereits sind wir fähig ein ungefähres Bild von der Physiognomie
des Parlaments zu entwerfen. Bisher war es nicht möglich, die Partei-
gruppirung genau zu unterscheiden, da fünfunddreißig engere Wahlen statt¬
finden mußten, und außerdem ungewöhnlich viel Candidaten doppelt gewählt
sind. Bei den betreffenden Nachwahlen, die vom Bundeskanzleramt ausge¬
schrieben werden, wird dann wohl mancher neue nicht sofort zu classificirende Name
auftreten, und an dergleichen fehlt es uns ja auch schon jetzt keineswegs. Allein
die Gesammtziffern werden im Großen und Ganzen nicht bedeutend alterirt
werden. Da die engeren Wahlen in der Zeit zwischen dem 3. März und
heute den 27. März, sämmtlich beendet sind, so kann man das quantitative
Verhältniß der verschiedenen Fractionen nunmehr feststellen.. Wir beginnen



') So nennt er die Beschießung von Kehl eine Rache für die Beschießung von Strciß-
burg (S. 28), während, wenn man einmal von den strategischen Gründen absteht, bekanntlich
das Umgekehrte der Fall war.
"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/29>, abgerufen am 28.12.2024.