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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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vollzog, da mußte er sofort solch waghalsiges Unterfangen mit einem Verlust
von 8000 Abonnenten büßen, ein Blutverlust, den manche schwächere Zei-
tungs-Constitution kaum ausgehalten haben würde.

Also die Unzufriedenheit der Berliner ist allgemein. Wann wäre sie das
auch nicht gewesen? Der fordert bessere Kammerberichte, Jener zahlreichere
Telegramme, Dieser kürzere Leitartikel, Der bessere Informationen, Dieser
mannichfaltigere Feuilletons aus aller Herren Länder, Jener eigenartigere Ori-
ginal-Correspondenzen . . . kurz des Wünschens ist kein Ende und ich kenne
manchen Ehrenmann, der bereit wäre, seine zwanzigtausend Thaler auf den
Altar des Vaterlandes niederzulegen, wenn sich nicht immer zur rechten
Stunde ein warnender Eckhard fände, der actenmäßig nachwiese, daß alle
diese verschiedenen Wünsche ohne ein Capital von mehreren Hunderttausenden
eitel Chimäre bleiben müssen und daß es geradezu hieße, Jemanden um sein
gutes Geld bringen, wollte man mit so unzureichenden Mitteln ein Unter¬
nehmen beginnen, das noch elender enden müßte, als weiland die
Berliner Allgemeine Zeitung, die doch ein "großes Blatt" hatte werden
sollen. Allen den Unzufriedenen schweben stündlich die Leistungen der Wiener
beiden ..Pressen" und der "Kölnischen Zeitung" vor und Vielen vielleicht auch
die goldenen Kälber, deren Einschlachtung diese Blätter ihren Besitzern ge¬
statten . . . aber für die Opfer, welche dergleichen Unternehmungen erheischen,
hat keiner der Malcontenten auch nur im Entferntesten ein Verständniß.

Da wird es die Herren gewiß angenehm berühren, zu erfahren, daß es
allerdings im Werke ist, ihnen eine große Zeitung nach Berlin zu schroten
-- ich kenne keinen andern Ausdruck für das Beginnen, von dem ich sprechen
will. Es ist die "neue freie Presse," jetzt im Besitze einiger großen
Banken und Actien-Gesellschaften. welche beabsichtigt, wie es heißt, in Berlin
eine Filiale zu errichten. Paul Lindau, der Herausgeber der "Briefe eines
deutschen Kleinstädters", war anfänglich dazu ausersehen, Pathenstelle bei der
deutschen Ausgabe jenes östreichischen Organes zu vertreten. Aber Lindau
hat, scheint es, ein Haar in der Politik gefunden und so zog er eine trefflich
fundirte Anstellung im "Bazar" vor, da es ihm angenehmer dünken mochte,
den tausendundein Capricen der Damenwelt, als den Wind- und Wellenbe¬
wegungen der politischen Schlangenlinien gerecht zu werden. Ich denke mir,
daß die Wiener Unternehmer -- in deren Geheimniß ich schlechterdings nicht
bin -- ein besonderes Interesse daran haben, -- nicht Berlin mit einer guten
Zeitung zu versehen -- sondern ihre eigenen Geschäfte hier im Norden mit
Nachdruck durch ein einflußreiches Organ vertreten und betreiben zu lassen.
Für Wiener, oder Leute, die Wiener Verhältnisse gewohnt sind, mag es kaum
ein Geheimniß sein, wie hoch im Allgemeinen die Vertretung finanzieller
Interessen durch die Presse zu stehen kommt, und so-dürften die Inhaber der


vollzog, da mußte er sofort solch waghalsiges Unterfangen mit einem Verlust
von 8000 Abonnenten büßen, ein Blutverlust, den manche schwächere Zei-
tungs-Constitution kaum ausgehalten haben würde.

Also die Unzufriedenheit der Berliner ist allgemein. Wann wäre sie das
auch nicht gewesen? Der fordert bessere Kammerberichte, Jener zahlreichere
Telegramme, Dieser kürzere Leitartikel, Der bessere Informationen, Dieser
mannichfaltigere Feuilletons aus aller Herren Länder, Jener eigenartigere Ori-
ginal-Correspondenzen . . . kurz des Wünschens ist kein Ende und ich kenne
manchen Ehrenmann, der bereit wäre, seine zwanzigtausend Thaler auf den
Altar des Vaterlandes niederzulegen, wenn sich nicht immer zur rechten
Stunde ein warnender Eckhard fände, der actenmäßig nachwiese, daß alle
diese verschiedenen Wünsche ohne ein Capital von mehreren Hunderttausenden
eitel Chimäre bleiben müssen und daß es geradezu hieße, Jemanden um sein
gutes Geld bringen, wollte man mit so unzureichenden Mitteln ein Unter¬
nehmen beginnen, das noch elender enden müßte, als weiland die
Berliner Allgemeine Zeitung, die doch ein „großes Blatt" hatte werden
sollen. Allen den Unzufriedenen schweben stündlich die Leistungen der Wiener
beiden ..Pressen" und der „Kölnischen Zeitung" vor und Vielen vielleicht auch
die goldenen Kälber, deren Einschlachtung diese Blätter ihren Besitzern ge¬
statten . . . aber für die Opfer, welche dergleichen Unternehmungen erheischen,
hat keiner der Malcontenten auch nur im Entferntesten ein Verständniß.

Da wird es die Herren gewiß angenehm berühren, zu erfahren, daß es
allerdings im Werke ist, ihnen eine große Zeitung nach Berlin zu schroten
-- ich kenne keinen andern Ausdruck für das Beginnen, von dem ich sprechen
will. Es ist die „neue freie Presse," jetzt im Besitze einiger großen
Banken und Actien-Gesellschaften. welche beabsichtigt, wie es heißt, in Berlin
eine Filiale zu errichten. Paul Lindau, der Herausgeber der „Briefe eines
deutschen Kleinstädters", war anfänglich dazu ausersehen, Pathenstelle bei der
deutschen Ausgabe jenes östreichischen Organes zu vertreten. Aber Lindau
hat, scheint es, ein Haar in der Politik gefunden und so zog er eine trefflich
fundirte Anstellung im „Bazar" vor, da es ihm angenehmer dünken mochte,
den tausendundein Capricen der Damenwelt, als den Wind- und Wellenbe¬
wegungen der politischen Schlangenlinien gerecht zu werden. Ich denke mir,
daß die Wiener Unternehmer — in deren Geheimniß ich schlechterdings nicht
bin — ein besonderes Interesse daran haben, — nicht Berlin mit einer guten
Zeitung zu versehen — sondern ihre eigenen Geschäfte hier im Norden mit
Nachdruck durch ein einflußreiches Organ vertreten und betreiben zu lassen.
Für Wiener, oder Leute, die Wiener Verhältnisse gewohnt sind, mag es kaum
ein Geheimniß sein, wie hoch im Allgemeinen die Vertretung finanzieller
Interessen durch die Presse zu stehen kommt, und so-dürften die Inhaber der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/271>, abgerufen am 29.09.2024.