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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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schmerzlichem Erstaunen erfüllt wurde, obgleich ich ein Römer bin, und der
traurige Zustand des Unterrichts in dieser Stadt mir nicht unbekannt war.
Ich bemerkte, daß die italienische Sprache derart in allen Schulen vernach¬
lässigt worden ist, daß die Schüler, mit sehr wenigen Ausnahmen, das Pro¬
nomen vom Substantiv nicht zu unterscheiden, noch etwas von den unregel¬
mäßigen Verden zu sagen wußten.......Von Geographie und Geschichte
wäre besser ganz zu schweigen, wenn nicht nöthig wäre, klar hinzustellen, bis
wohin die Unwissenheit der römischen Jugend in dieser Hinsicht reichte. --
Von mir befragt, was sie von Geographie wüßten, verstanden die Einen den
Sinn dieses Wortes nicht, die andern meinten, das "Adriatico" sei ein Berg,
Sardinien eine Stadt, Mailand die Hauptstadt Siciliens, nachdem sie mich
versichert, daß sie ein Jahr oder zwei Geographie gelernt hätten. Sehr viele
kannten die Zahl der Bewohner Italiens nicht; viele hielten den Namen der
Halbinsel für den Namen einer Stadt, und einer sagte mir sogar, wenn er
nicht habe antworten können, so müsse ich bedenken, daß er ein Römer sei,
und nicht ein Italiener. -- Als die Examinanden danach über die bedeutend¬
sten Ereignisse der italienischen Geschichte befragt wurden, so fand sich, mit
sehr wenigen Ausnahmen, Keiner der hätte antworten tonnen. Der Eine
sagte mir, das Brutus ein Tyrann gewesen sei; ein anderer hielt Dante für
einen französischen Dichter, Petrarca für eine berühmte Dichterin. Ueber
Columbus befragt antwortete einer, es sei ein Apostel gewesen, ein anderer,
es sei der Heilige Geist.

Was die Arithmetik betrifft, so versichert der mit der Prüfung beauf¬
tragte Professor, daß wenn man nach normalen Grundsätzen hätte verfahren
wollen, nur diejenigen Zöglinge hätten Aufnahme finden können, die in an¬
dern Realschulen des Königreichs unterrichtet worden waren, oder in Ele¬
mentarschulen außerhalb der römischen Provinzen. Nach diesen zeichneten sich
gewissermaßen die aus den israelitischen Schulen stammenden Zöglinge aus,
und zeigten eine genügende Fertigkeit im Rechnen. Am schlimmsten bestanden
jedoch die Zöglinge der von Geistlichen gehaltenen öffentlichen Schulen Roms.
Wenn man sie frug, ob sie etwas von Arithmetik wüßten, so antworteten
sie gewöhnlich geradezu: nein; wiederholte man aber die Frage mit andern
Worten, so erhielt man zuweilen die Antwort, daß sie eine Rechnung zu
machen wüßten (edo 83,x<zva.no tai'ö i eouti), und der eine oder andre sagte
auch, er könne ein Sümmchen zusammenrechnen (dio saxöva darf la som-
instta,).....Sonst hatten sie nicht die geringste Kenntniß von Defini¬
tionen, von Eigenschaften der Zahlen, noch irgend von einer Beweisführung;
keinen Begriff des Decimalsystems, kein Anzeichen, daß das Nachdenken des
Schülers jemals durch den Lehrer auf diese Dinge gelenkt worden war . . . .
Außerdem wurde eine gänzliche Unfähigkeit bemerkt, selbst die einfachsten


Grenzboten 187 t. 99

schmerzlichem Erstaunen erfüllt wurde, obgleich ich ein Römer bin, und der
traurige Zustand des Unterrichts in dieser Stadt mir nicht unbekannt war.
Ich bemerkte, daß die italienische Sprache derart in allen Schulen vernach¬
lässigt worden ist, daß die Schüler, mit sehr wenigen Ausnahmen, das Pro¬
nomen vom Substantiv nicht zu unterscheiden, noch etwas von den unregel¬
mäßigen Verden zu sagen wußten.......Von Geographie und Geschichte
wäre besser ganz zu schweigen, wenn nicht nöthig wäre, klar hinzustellen, bis
wohin die Unwissenheit der römischen Jugend in dieser Hinsicht reichte. —
Von mir befragt, was sie von Geographie wüßten, verstanden die Einen den
Sinn dieses Wortes nicht, die andern meinten, das „Adriatico" sei ein Berg,
Sardinien eine Stadt, Mailand die Hauptstadt Siciliens, nachdem sie mich
versichert, daß sie ein Jahr oder zwei Geographie gelernt hätten. Sehr viele
kannten die Zahl der Bewohner Italiens nicht; viele hielten den Namen der
Halbinsel für den Namen einer Stadt, und einer sagte mir sogar, wenn er
nicht habe antworten können, so müsse ich bedenken, daß er ein Römer sei,
und nicht ein Italiener. — Als die Examinanden danach über die bedeutend¬
sten Ereignisse der italienischen Geschichte befragt wurden, so fand sich, mit
sehr wenigen Ausnahmen, Keiner der hätte antworten tonnen. Der Eine
sagte mir, das Brutus ein Tyrann gewesen sei; ein anderer hielt Dante für
einen französischen Dichter, Petrarca für eine berühmte Dichterin. Ueber
Columbus befragt antwortete einer, es sei ein Apostel gewesen, ein anderer,
es sei der Heilige Geist.

Was die Arithmetik betrifft, so versichert der mit der Prüfung beauf¬
tragte Professor, daß wenn man nach normalen Grundsätzen hätte verfahren
wollen, nur diejenigen Zöglinge hätten Aufnahme finden können, die in an¬
dern Realschulen des Königreichs unterrichtet worden waren, oder in Ele¬
mentarschulen außerhalb der römischen Provinzen. Nach diesen zeichneten sich
gewissermaßen die aus den israelitischen Schulen stammenden Zöglinge aus,
und zeigten eine genügende Fertigkeit im Rechnen. Am schlimmsten bestanden
jedoch die Zöglinge der von Geistlichen gehaltenen öffentlichen Schulen Roms.
Wenn man sie frug, ob sie etwas von Arithmetik wüßten, so antworteten
sie gewöhnlich geradezu: nein; wiederholte man aber die Frage mit andern
Worten, so erhielt man zuweilen die Antwort, daß sie eine Rechnung zu
machen wüßten (edo 83,x<zva.no tai'ö i eouti), und der eine oder andre sagte
auch, er könne ein Sümmchen zusammenrechnen (dio saxöva darf la som-
instta,).....Sonst hatten sie nicht die geringste Kenntniß von Defini¬
tionen, von Eigenschaften der Zahlen, noch irgend von einer Beweisführung;
keinen Begriff des Decimalsystems, kein Anzeichen, daß das Nachdenken des
Schülers jemals durch den Lehrer auf diese Dinge gelenkt worden war . . . .
Außerdem wurde eine gänzliche Unfähigkeit bemerkt, selbst die einfachsten


Grenzboten 187 t. 99
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[0265] schmerzlichem Erstaunen erfüllt wurde, obgleich ich ein Römer bin, und der traurige Zustand des Unterrichts in dieser Stadt mir nicht unbekannt war. Ich bemerkte, daß die italienische Sprache derart in allen Schulen vernach¬ lässigt worden ist, daß die Schüler, mit sehr wenigen Ausnahmen, das Pro¬ nomen vom Substantiv nicht zu unterscheiden, noch etwas von den unregel¬ mäßigen Verden zu sagen wußten.......Von Geographie und Geschichte wäre besser ganz zu schweigen, wenn nicht nöthig wäre, klar hinzustellen, bis wohin die Unwissenheit der römischen Jugend in dieser Hinsicht reichte. — Von mir befragt, was sie von Geographie wüßten, verstanden die Einen den Sinn dieses Wortes nicht, die andern meinten, das „Adriatico" sei ein Berg, Sardinien eine Stadt, Mailand die Hauptstadt Siciliens, nachdem sie mich versichert, daß sie ein Jahr oder zwei Geographie gelernt hätten. Sehr viele kannten die Zahl der Bewohner Italiens nicht; viele hielten den Namen der Halbinsel für den Namen einer Stadt, und einer sagte mir sogar, wenn er nicht habe antworten können, so müsse ich bedenken, daß er ein Römer sei, und nicht ein Italiener. — Als die Examinanden danach über die bedeutend¬ sten Ereignisse der italienischen Geschichte befragt wurden, so fand sich, mit sehr wenigen Ausnahmen, Keiner der hätte antworten tonnen. Der Eine sagte mir, das Brutus ein Tyrann gewesen sei; ein anderer hielt Dante für einen französischen Dichter, Petrarca für eine berühmte Dichterin. Ueber Columbus befragt antwortete einer, es sei ein Apostel gewesen, ein anderer, es sei der Heilige Geist. Was die Arithmetik betrifft, so versichert der mit der Prüfung beauf¬ tragte Professor, daß wenn man nach normalen Grundsätzen hätte verfahren wollen, nur diejenigen Zöglinge hätten Aufnahme finden können, die in an¬ dern Realschulen des Königreichs unterrichtet worden waren, oder in Ele¬ mentarschulen außerhalb der römischen Provinzen. Nach diesen zeichneten sich gewissermaßen die aus den israelitischen Schulen stammenden Zöglinge aus, und zeigten eine genügende Fertigkeit im Rechnen. Am schlimmsten bestanden jedoch die Zöglinge der von Geistlichen gehaltenen öffentlichen Schulen Roms. Wenn man sie frug, ob sie etwas von Arithmetik wüßten, so antworteten sie gewöhnlich geradezu: nein; wiederholte man aber die Frage mit andern Worten, so erhielt man zuweilen die Antwort, daß sie eine Rechnung zu machen wüßten (edo 83,x<zva.no tai'ö i eouti), und der eine oder andre sagte auch, er könne ein Sümmchen zusammenrechnen (dio saxöva darf la som- instta,).....Sonst hatten sie nicht die geringste Kenntniß von Defini¬ tionen, von Eigenschaften der Zahlen, noch irgend von einer Beweisführung; keinen Begriff des Decimalsystems, kein Anzeichen, daß das Nachdenken des Schülers jemals durch den Lehrer auf diese Dinge gelenkt worden war . . . . Außerdem wurde eine gänzliche Unfähigkeit bemerkt, selbst die einfachsten Grenzboten 187 t. 99

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/265>, abgerufen am 29.09.2024.