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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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ganze wohlerhaltene Bauwerke, sondern auch Fragmentes davon, einzelne
figurirte oder profilirte Steine, selbst das rohe Material derselben sind in
einigen Fällen schon hinreichend, Helles Licht über gewisse Verhältnisse zu ver¬
breiten. Freilich sprechen die Denkmale aus Stein eine andere Sprache, als
Urkunden auf Pergament und Bücher, und die Sprache derselben ist viel
schwerer zu erlernen als die der letzteren. Aber es giebt Männer unter uns,
die sie zu lesen verstehen und die Zahl derselben mehrt sich -- Dank dem
modernen Fortschritt -- von Tage zu Tage.

Außer diesem historischen, besonders kunsthistorischen Werth -- die Kunst¬
geschichte ist bekanntlich eines der allerwichtigsten Capitel der allgemeinen Cul¬
turgeschichte -- besitzen die älteren Bauwerke in den meisten Fällen auch
noch einen nicht unbedeutenden Kunstwerth, sind als solche geeignet uns
in hohem Grade zu erfreuen und zu erheben. Freilich ist nicht jeder Mensch
für Eindrücke der Kunst und besonders der Architektur empfänglich. Er muß
dafür erst vorgebildet werden. Es gehört zum Verständniß und zur richtigen
Werthschätzung jedes Kunstwerks. und besonders des älteren, das vom Stand¬
punkt jener Zeit, in welcher es entstanden, beurtheilt werden muß, eine gewisse
Summe von Kenntnissen mannigfaltiger Art, welche zu erwerben nicht Jeder
geneigt oder in der Lage war. Daher darf nicht Jeder glauben, daß weil
er "dem Dinge keinen Geschmack abgewinnen" könne, dasselbe überhaupt
nichts werth sei. Mit dem Wissen und Verstehen des Beschauers steigt sein
Interesse an den Dingen. Man' mißachtet meist, was man nicht kennt, nicht
versteht.

Und selbst wenn der architektonische oder historische Werth des betreffen¬
den Gebäudes nicht groß ist, ist es mitunter von sehr malerischer Wirkung
und deßhalb der Erhaltung würdig. Zu dieser Erkenntniß gehört eine noch
höhere Stufe der künstlerischen Ausbildung.^) obgleich das Interesse an Ruinen
sehr weit verbreitet und in manchen Fällen so groß ist, daß man in Parks
künstliche Ruinen angelegt hat.

Daß Kunstwerke im Allgemeinen von höchster Wichtigkeit für die Bil¬
dung des Volks sind, ist allgemein anerkannt. Um wie viel höher stehen
nun aber die historischen Kunstwerke, welche Urkunden zur Cultur-Geschichte




") Daher sollte man auch Bruchstücke alter Bauten sammeln und in Museen in belehren¬
der Folge zusammenstellen. So weit bekannt, ist das Germanische Museum zu Nürnberg
die einzige Stelle, welche mit ausgesprochener Tendenz in diesem Sinne sammelt. Man vergleiche
den "Katalog der im Germanischen Museum befindlichen Bautheile und Baumaterialien."
(Nürnberg, 1868).
Verkleinerte Spiegelbilder der Natur in photographischen Aufnahmen find in trefflich¬
ster Weise geeignet, auch dem weniger Empfänglichen die Sache klar zu machen, denn diese
Bilder fassen die Natur in einen kleinen Raum zusammen und machen das Ganze dadurch
übersichtlicher.

ganze wohlerhaltene Bauwerke, sondern auch Fragmentes davon, einzelne
figurirte oder profilirte Steine, selbst das rohe Material derselben sind in
einigen Fällen schon hinreichend, Helles Licht über gewisse Verhältnisse zu ver¬
breiten. Freilich sprechen die Denkmale aus Stein eine andere Sprache, als
Urkunden auf Pergament und Bücher, und die Sprache derselben ist viel
schwerer zu erlernen als die der letzteren. Aber es giebt Männer unter uns,
die sie zu lesen verstehen und die Zahl derselben mehrt sich — Dank dem
modernen Fortschritt — von Tage zu Tage.

Außer diesem historischen, besonders kunsthistorischen Werth — die Kunst¬
geschichte ist bekanntlich eines der allerwichtigsten Capitel der allgemeinen Cul¬
turgeschichte — besitzen die älteren Bauwerke in den meisten Fällen auch
noch einen nicht unbedeutenden Kunstwerth, sind als solche geeignet uns
in hohem Grade zu erfreuen und zu erheben. Freilich ist nicht jeder Mensch
für Eindrücke der Kunst und besonders der Architektur empfänglich. Er muß
dafür erst vorgebildet werden. Es gehört zum Verständniß und zur richtigen
Werthschätzung jedes Kunstwerks. und besonders des älteren, das vom Stand¬
punkt jener Zeit, in welcher es entstanden, beurtheilt werden muß, eine gewisse
Summe von Kenntnissen mannigfaltiger Art, welche zu erwerben nicht Jeder
geneigt oder in der Lage war. Daher darf nicht Jeder glauben, daß weil
er „dem Dinge keinen Geschmack abgewinnen" könne, dasselbe überhaupt
nichts werth sei. Mit dem Wissen und Verstehen des Beschauers steigt sein
Interesse an den Dingen. Man' mißachtet meist, was man nicht kennt, nicht
versteht.

Und selbst wenn der architektonische oder historische Werth des betreffen¬
den Gebäudes nicht groß ist, ist es mitunter von sehr malerischer Wirkung
und deßhalb der Erhaltung würdig. Zu dieser Erkenntniß gehört eine noch
höhere Stufe der künstlerischen Ausbildung.^) obgleich das Interesse an Ruinen
sehr weit verbreitet und in manchen Fällen so groß ist, daß man in Parks
künstliche Ruinen angelegt hat.

Daß Kunstwerke im Allgemeinen von höchster Wichtigkeit für die Bil¬
dung des Volks sind, ist allgemein anerkannt. Um wie viel höher stehen
nun aber die historischen Kunstwerke, welche Urkunden zur Cultur-Geschichte




") Daher sollte man auch Bruchstücke alter Bauten sammeln und in Museen in belehren¬
der Folge zusammenstellen. So weit bekannt, ist das Germanische Museum zu Nürnberg
die einzige Stelle, welche mit ausgesprochener Tendenz in diesem Sinne sammelt. Man vergleiche
den „Katalog der im Germanischen Museum befindlichen Bautheile und Baumaterialien."
(Nürnberg, 1868).
Verkleinerte Spiegelbilder der Natur in photographischen Aufnahmen find in trefflich¬
ster Weise geeignet, auch dem weniger Empfänglichen die Sache klar zu machen, denn diese
Bilder fassen die Natur in einen kleinen Raum zusammen und machen das Ganze dadurch
übersichtlicher.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/253>, abgerufen am 29.09.2024.