Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.doch waren schon 3 Jahre verflossen, seitdem der Unterrichts-Minister Duruy Merkwürdiger Weise gehören zu diesen 7 hellsten Elsaß und Loth¬ doch waren schon 3 Jahre verflossen, seitdem der Unterrichts-Minister Duruy Merkwürdiger Weise gehören zu diesen 7 hellsten Elsaß und Loth¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126014"/> <p xml:id="ID_722" prev="#ID_721"> doch waren schon 3 Jahre verflossen, seitdem der Unterrichts-Minister Duruy<lb/> die berühmte statistische Karte über den Stand der Volksbildung in<lb/> Frankreich veröffentlichte; die gebildetsten Departements waren hell gelassen,<lb/> je unwissender die Einwohner, desto dunkler waren sie schattirt. In 26 De¬<lb/> partements konnte laut dieses amtlichen Nachweises mehr als die Hälfte der<lb/> jugendlichen Einwohner weder lesen noch schreiben ; in 23 Departements konnte<lb/> ungefähr der dritte Theil, in 22 der vierte Theil, in 11 der zehnte Theil und<lb/> nur in 7 ungefähr der zwanzigste Theil nicht lesen und schreiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_723" next="#ID_724"> Merkwürdiger Weise gehören zu diesen 7 hellsten Elsaß und Loth¬<lb/> ringen; das Dey, des Niederrheins ist sogar das allergebildetste, während,<lb/> das reinkätholische und überwiegend welsche Moseldep. noch hinter Paris kommt<lb/> welches erst auf den zweiten Grad der Bildung Anspruch machen darf. Und<lb/> doch war das Schulwesen in diesen deutschen Departements im hohen Grade<lb/> durch das Aufzwingen der französischen Sprache gehemmt. Ein französischer<lb/> Priester Gazeaux machte seine Behörden, vor allem den Bischof von Stra߬<lb/> burg, in einer besonderen Schrift auf diesen Uebelstand aufmerksam. Die<lb/> Schulkinder, sagt er, lernen bei diesem Sprachzwang weder gut deutsch, noch<lb/> gut französisch sprechen. Gegen die letztere Sprache entwickele sich sogar ein<lb/> Widerwille; am wenigsten kämen sie in den Schulkenntnissen vorwärts. Wenn<lb/> namentlich die Elsässer im Vergleich zu den Franzosen viel mehr lernen, ob¬<lb/> wohl in ganz Frankreich, also auch bei ihnen kein Schulzwang herrscht, so ist<lb/> das der eigenartigen deutschen Lernbegierde zuzuschreiben, noch mehr aber dem<lb/> Einfluß des Protestantismus, wenn auch die Zahl seiner Bekenner viel ge¬<lb/> ringer ist als die der Katholiken. Die Elsasser halten etwas auf ihre Schu¬<lb/> len, wie die benachbarten Schweizer, und sind stets bereit, etwas für sie zu<lb/> thun. Die Schullehrer werden gut besoldet; ein Einkommen von 1600 Fran¬<lb/> ken soll bei ihnen auch auf dem Lande häufig vorkommen. Wie dagegen<lb/> steht es damit im Innern Frankreichs? „In vielen Bezirken", sagt ein amt¬<lb/> licher Bericht vom Jahre 1837, „können die Lehrer weder lesen und schreiben,<lb/> noch rechnen. An Rechtschreibung oder gar andere Kenntnisse darf man gar<lb/> nicht denken. Wo haben sie ihre Bildung erhalten? Nirgends. Ihre Ver¬<lb/> gangenheit ist wenig rühmenswerth. Ja, einer kommt von den Galeeren!<lb/> Wie möchten demzufolge die Aermsten verstehen, die ihnen anvertrauten Kin¬<lb/> der zu fesseln! Es würde ihnen auch, selbst wenn sie Meister in der Pädago¬<lb/> gik wären, kaum gelingen, denn zur Lenzeszeit entflieht alles, um Arbeit zu<lb/> suchen, und die französischen Volksschulen stehen im Sommer leer! Doch auch<lb/> im Winter ist der Besuch höchst unregelmäßig. Da nichts destoweniger die<lb/> Lehrer auf das Einkommen des Schulgeldes von ungefähr 4 Groschen mo¬<lb/> natlich mit angewiesen sind, so kann man sich vorstellen, daß ihnen das<lb/> Schulehalten große Nebensache ist. Eigentlich sind sie Pantoffelmacher oder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0232]
doch waren schon 3 Jahre verflossen, seitdem der Unterrichts-Minister Duruy
die berühmte statistische Karte über den Stand der Volksbildung in
Frankreich veröffentlichte; die gebildetsten Departements waren hell gelassen,
je unwissender die Einwohner, desto dunkler waren sie schattirt. In 26 De¬
partements konnte laut dieses amtlichen Nachweises mehr als die Hälfte der
jugendlichen Einwohner weder lesen noch schreiben ; in 23 Departements konnte
ungefähr der dritte Theil, in 22 der vierte Theil, in 11 der zehnte Theil und
nur in 7 ungefähr der zwanzigste Theil nicht lesen und schreiben.
Merkwürdiger Weise gehören zu diesen 7 hellsten Elsaß und Loth¬
ringen; das Dey, des Niederrheins ist sogar das allergebildetste, während,
das reinkätholische und überwiegend welsche Moseldep. noch hinter Paris kommt
welches erst auf den zweiten Grad der Bildung Anspruch machen darf. Und
doch war das Schulwesen in diesen deutschen Departements im hohen Grade
durch das Aufzwingen der französischen Sprache gehemmt. Ein französischer
Priester Gazeaux machte seine Behörden, vor allem den Bischof von Stra߬
burg, in einer besonderen Schrift auf diesen Uebelstand aufmerksam. Die
Schulkinder, sagt er, lernen bei diesem Sprachzwang weder gut deutsch, noch
gut französisch sprechen. Gegen die letztere Sprache entwickele sich sogar ein
Widerwille; am wenigsten kämen sie in den Schulkenntnissen vorwärts. Wenn
namentlich die Elsässer im Vergleich zu den Franzosen viel mehr lernen, ob¬
wohl in ganz Frankreich, also auch bei ihnen kein Schulzwang herrscht, so ist
das der eigenartigen deutschen Lernbegierde zuzuschreiben, noch mehr aber dem
Einfluß des Protestantismus, wenn auch die Zahl seiner Bekenner viel ge¬
ringer ist als die der Katholiken. Die Elsasser halten etwas auf ihre Schu¬
len, wie die benachbarten Schweizer, und sind stets bereit, etwas für sie zu
thun. Die Schullehrer werden gut besoldet; ein Einkommen von 1600 Fran¬
ken soll bei ihnen auch auf dem Lande häufig vorkommen. Wie dagegen
steht es damit im Innern Frankreichs? „In vielen Bezirken", sagt ein amt¬
licher Bericht vom Jahre 1837, „können die Lehrer weder lesen und schreiben,
noch rechnen. An Rechtschreibung oder gar andere Kenntnisse darf man gar
nicht denken. Wo haben sie ihre Bildung erhalten? Nirgends. Ihre Ver¬
gangenheit ist wenig rühmenswerth. Ja, einer kommt von den Galeeren!
Wie möchten demzufolge die Aermsten verstehen, die ihnen anvertrauten Kin¬
der zu fesseln! Es würde ihnen auch, selbst wenn sie Meister in der Pädago¬
gik wären, kaum gelingen, denn zur Lenzeszeit entflieht alles, um Arbeit zu
suchen, und die französischen Volksschulen stehen im Sommer leer! Doch auch
im Winter ist der Besuch höchst unregelmäßig. Da nichts destoweniger die
Lehrer auf das Einkommen des Schulgeldes von ungefähr 4 Groschen mo¬
natlich mit angewiesen sind, so kann man sich vorstellen, daß ihnen das
Schulehalten große Nebensache ist. Eigentlich sind sie Pantoffelmacher oder
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