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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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hindurch in die blaue Lust hinaus und auf die schwankenden Aeste der
Bäume. Nun folgen vom großen Saale aus rechts und links lange Reihen
von Gemächern, prunkvolle Empfangsräume und kleine trauliche Boudoirs,
Corridore und Schlupfwinkel, die zu allerlei interessanten kulturhistorischen
Betrachtungen veranlassen. In der Decoration dieser Säle zeigt sich jene üppige
vegetabilische Pracht, die auch für die späte Gothik charakteristisch ist und die
in diesem Styl gleichsam wieder zum Ausbruch kam. Wir möchten in diesen
beiden Perioden das unbewußt zur Geltung Gelangen und Überhandneh¬
men des Organischen in der Baukunst erkennen.

Es ist hierbei gleichgültig, ob diese Formengebung erst mit einer hohen
Virtuosität des Meißels oder mit einem wenig spröden Materiale auftritt.
Dieses verführerische Material ist jedenfalls doch nur der fruchtbare Boden
in dem sich der schon vorhandene Keim der pflanzlichen Ornamentik zu
tropischer Ueppigkeit entwickelt. Es ist dies, wenn man will, eine verwilderte
Baukunst, malerisch wie die wilde oder verwilderte Natur. -- Die hellenische
Architektur beantwortet selbst jede Frage, die an sie gestellt werden kann.
In dieser Formensprache dagegen schließt gleichsam jeder Satz mit einem
Fragezeichen und unsre Phantasie wird lebhaft angeregt, indem wir!in ihr
die Auflösung dieser Räthsel suchen.

Alles im Gebäude belebt sich. Vom Boden bis zur Wölbung decken
die Wände 'Blätter und Ranken, die in den traditionellen Säulenbau der rö¬
mischen Baukunst sich kühn hineindrängen. Ueberall dominiren die elastischen
pflanzlichen Formen; selbst im Gewölbe wird die weiche Linie des Korbhen¬
kels dem strengeren Gefüge des Halbkreisbogens vorgezogen, und je höher,
je üppiger verdecken die Ranken, Festons und Gewinde die bauliche Construc-
tion; Guirlanden haften an Kapitellen und Consolen und hängen über den
Architrav herab und die Ranken wachsen über Spiegel und Wandflächen hin¬
weg und ragen hinein in die bemalten Felder der Decke. Auf den Zweigen
und in den Blätterkronen aber nisten märchenhafte Vögel und schalkhafte
Amoretten.

Hatte nun der Baumeister den Saal zu einem idealen Haine umgebildet,
so schuf der Maler in der Wölbung der Decke einen kleinen Privathimmel,
in dem sich neben den historischen Personen, deren Apotheose hiermit voll¬
zogen wurde, die Gestalten herumtummeln, welche in der Phantasie der
Palastbewohner und in ihren verschnörkelten Redensarten figurirten. Es
ist eine gemischte Gesellschaft, wo die Würdenträger der Römischen
Kirche und die Gottheiten des heidnischen Olymps friedlich zusammenleben.
-- Im Gewölbe des Treppenhauses z. B. sitzt auf hohem Throne, zu dem
Terrassen und breite Marmortreppen hinaufführen, der Fürstbischof im festlichen


hindurch in die blaue Lust hinaus und auf die schwankenden Aeste der
Bäume. Nun folgen vom großen Saale aus rechts und links lange Reihen
von Gemächern, prunkvolle Empfangsräume und kleine trauliche Boudoirs,
Corridore und Schlupfwinkel, die zu allerlei interessanten kulturhistorischen
Betrachtungen veranlassen. In der Decoration dieser Säle zeigt sich jene üppige
vegetabilische Pracht, die auch für die späte Gothik charakteristisch ist und die
in diesem Styl gleichsam wieder zum Ausbruch kam. Wir möchten in diesen
beiden Perioden das unbewußt zur Geltung Gelangen und Überhandneh¬
men des Organischen in der Baukunst erkennen.

Es ist hierbei gleichgültig, ob diese Formengebung erst mit einer hohen
Virtuosität des Meißels oder mit einem wenig spröden Materiale auftritt.
Dieses verführerische Material ist jedenfalls doch nur der fruchtbare Boden
in dem sich der schon vorhandene Keim der pflanzlichen Ornamentik zu
tropischer Ueppigkeit entwickelt. Es ist dies, wenn man will, eine verwilderte
Baukunst, malerisch wie die wilde oder verwilderte Natur. — Die hellenische
Architektur beantwortet selbst jede Frage, die an sie gestellt werden kann.
In dieser Formensprache dagegen schließt gleichsam jeder Satz mit einem
Fragezeichen und unsre Phantasie wird lebhaft angeregt, indem wir!in ihr
die Auflösung dieser Räthsel suchen.

Alles im Gebäude belebt sich. Vom Boden bis zur Wölbung decken
die Wände 'Blätter und Ranken, die in den traditionellen Säulenbau der rö¬
mischen Baukunst sich kühn hineindrängen. Ueberall dominiren die elastischen
pflanzlichen Formen; selbst im Gewölbe wird die weiche Linie des Korbhen¬
kels dem strengeren Gefüge des Halbkreisbogens vorgezogen, und je höher,
je üppiger verdecken die Ranken, Festons und Gewinde die bauliche Construc-
tion; Guirlanden haften an Kapitellen und Consolen und hängen über den
Architrav herab und die Ranken wachsen über Spiegel und Wandflächen hin¬
weg und ragen hinein in die bemalten Felder der Decke. Auf den Zweigen
und in den Blätterkronen aber nisten märchenhafte Vögel und schalkhafte
Amoretten.

Hatte nun der Baumeister den Saal zu einem idealen Haine umgebildet,
so schuf der Maler in der Wölbung der Decke einen kleinen Privathimmel,
in dem sich neben den historischen Personen, deren Apotheose hiermit voll¬
zogen wurde, die Gestalten herumtummeln, welche in der Phantasie der
Palastbewohner und in ihren verschnörkelten Redensarten figurirten. Es
ist eine gemischte Gesellschaft, wo die Würdenträger der Römischen
Kirche und die Gottheiten des heidnischen Olymps friedlich zusammenleben.
— Im Gewölbe des Treppenhauses z. B. sitzt auf hohem Throne, zu dem
Terrassen und breite Marmortreppen hinaufführen, der Fürstbischof im festlichen


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[0229] hindurch in die blaue Lust hinaus und auf die schwankenden Aeste der Bäume. Nun folgen vom großen Saale aus rechts und links lange Reihen von Gemächern, prunkvolle Empfangsräume und kleine trauliche Boudoirs, Corridore und Schlupfwinkel, die zu allerlei interessanten kulturhistorischen Betrachtungen veranlassen. In der Decoration dieser Säle zeigt sich jene üppige vegetabilische Pracht, die auch für die späte Gothik charakteristisch ist und die in diesem Styl gleichsam wieder zum Ausbruch kam. Wir möchten in diesen beiden Perioden das unbewußt zur Geltung Gelangen und Überhandneh¬ men des Organischen in der Baukunst erkennen. Es ist hierbei gleichgültig, ob diese Formengebung erst mit einer hohen Virtuosität des Meißels oder mit einem wenig spröden Materiale auftritt. Dieses verführerische Material ist jedenfalls doch nur der fruchtbare Boden in dem sich der schon vorhandene Keim der pflanzlichen Ornamentik zu tropischer Ueppigkeit entwickelt. Es ist dies, wenn man will, eine verwilderte Baukunst, malerisch wie die wilde oder verwilderte Natur. — Die hellenische Architektur beantwortet selbst jede Frage, die an sie gestellt werden kann. In dieser Formensprache dagegen schließt gleichsam jeder Satz mit einem Fragezeichen und unsre Phantasie wird lebhaft angeregt, indem wir!in ihr die Auflösung dieser Räthsel suchen. Alles im Gebäude belebt sich. Vom Boden bis zur Wölbung decken die Wände 'Blätter und Ranken, die in den traditionellen Säulenbau der rö¬ mischen Baukunst sich kühn hineindrängen. Ueberall dominiren die elastischen pflanzlichen Formen; selbst im Gewölbe wird die weiche Linie des Korbhen¬ kels dem strengeren Gefüge des Halbkreisbogens vorgezogen, und je höher, je üppiger verdecken die Ranken, Festons und Gewinde die bauliche Construc- tion; Guirlanden haften an Kapitellen und Consolen und hängen über den Architrav herab und die Ranken wachsen über Spiegel und Wandflächen hin¬ weg und ragen hinein in die bemalten Felder der Decke. Auf den Zweigen und in den Blätterkronen aber nisten märchenhafte Vögel und schalkhafte Amoretten. Hatte nun der Baumeister den Saal zu einem idealen Haine umgebildet, so schuf der Maler in der Wölbung der Decke einen kleinen Privathimmel, in dem sich neben den historischen Personen, deren Apotheose hiermit voll¬ zogen wurde, die Gestalten herumtummeln, welche in der Phantasie der Palastbewohner und in ihren verschnörkelten Redensarten figurirten. Es ist eine gemischte Gesellschaft, wo die Würdenträger der Römischen Kirche und die Gottheiten des heidnischen Olymps friedlich zusammenleben. — Im Gewölbe des Treppenhauses z. B. sitzt auf hohem Throne, zu dem Terrassen und breite Marmortreppen hinaufführen, der Fürstbischof im festlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/229>, abgerufen am 29.09.2024.