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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Hand in Hand mit der Reformation der Kirche ging nun die Reform des
Unterrichts. Freilich Erasmus sah in der Reformation die Barbarei und
fürchtete für das Gedeihen der classischen Studien und doch hat der Pro¬
testantismus erst die wahre Wissenschaft ermöglicht und dem Humanismus
die rechten Bahnen vorgezeichnet. Er hat Schulen gegründet, weil er wohl
begriff, daß von unten herauf reformatorisch gewirkt werden müsse. Zu der
bereits im Anfang des Jahrhunderts errichteten Schule am Münster kam in
Straßburg schon 1324 eine zweite bei den Karmelitern, an der Otto Braun¬
fels und Dasypodius wirkten und eine dritte bei den Dominikanern, für die Hans
Witz (LaMus) von Schlettstadt berufen wurde; auch bei Se. Peter bestand
eine Schule und die Mitglieder des Thomaskapitels hielten wissenschaftliche
Borlesungen, die den Besuch der Universität ersetzen sollten. Im Jahre 1526
schrieb Gerbel an Melanchthon von dem Eifer des Rathes für Errichtung
eines Gymnasiums; diesen Eifer bekundet auch 1328 die Errichtung des Kol¬
legiums der Scholarchen, in welches der Städtemeister Jacob Sturm von
Sturmeck, Nicolaus Kniebs und Jacob Meyer gewählt wurden. Noch heute
verehrt Straßburg den ersten, der dem Familienleben entsagte, um nur für
das Gemeinwohl wirken zu können, der als Diplomat bei den Verhandlungen
in Speier und Augsburg und auf unzähligen anderen Conventen, als An¬
hänger der neuen Kirche bei der Einführung der Reformation und bei den
Ausgleichungsversuchen der streitenden Parteien, als tüchtiger Schüler Wim-
phelings und kräftiger Vertreter des Humanismus bei der Einrichtung der
Schulen sich glänzend bewährte, den die dankbaren Mitbürger ihren Heros
nannten, dessen Verlust am 30. Oetober 1553 sie tief beklagten, dem aber
späte Nachkommen erst im vorigen Jahre ein würdiges Denkmal errichtet
haben. Es konnte einem Manne von Sturms Einsicht nicht entgehen, daß
die Verwendung der durch die Säkularisation gewonnenen reichen Mittel zu
Schulzwecken allein nicht genüge, daß Plan und Ordnung, innerer Zusammen¬
hang, kurz eine zweckmäßige Organisation erforderlich sei, um ein tüchtiges Gym¬
nasium zu schaffen.

Und der Mann dazu ward gefunden. Der Domcapitular Schenk von
Limburg lenkte die Aufmerksamkeit auf Johannes Sturm, der 1507 zu Schlei-
den in der Eifel geboren, in Lüttich bei den Hieronymianern und in Löwen
gebildet war und seit 1529 in Paris sich aufhielt. Je mehr Religionsstrei¬
tigkeiten ihm den dortigen Aufenthalt verleidet hatten, um so freudiger folgte
er dem Rufe. Am 14. Januar 1537 traf er in Straßburg ein, im März
begann er Vorlesungen, zu deren eifrigsten Zuhörern die Lehrer gehörten.
Die Vereinigung der vorhandenen Lateinschulen zu einem großen Gymnasium
in den Räumen des Dominikanerklosters (die am 29. Juni 1860 das
Feuer verheert hat) wurde nach seinen Vorschlägen genehmigt, im Mai 1538


Hand in Hand mit der Reformation der Kirche ging nun die Reform des
Unterrichts. Freilich Erasmus sah in der Reformation die Barbarei und
fürchtete für das Gedeihen der classischen Studien und doch hat der Pro¬
testantismus erst die wahre Wissenschaft ermöglicht und dem Humanismus
die rechten Bahnen vorgezeichnet. Er hat Schulen gegründet, weil er wohl
begriff, daß von unten herauf reformatorisch gewirkt werden müsse. Zu der
bereits im Anfang des Jahrhunderts errichteten Schule am Münster kam in
Straßburg schon 1324 eine zweite bei den Karmelitern, an der Otto Braun¬
fels und Dasypodius wirkten und eine dritte bei den Dominikanern, für die Hans
Witz (LaMus) von Schlettstadt berufen wurde; auch bei Se. Peter bestand
eine Schule und die Mitglieder des Thomaskapitels hielten wissenschaftliche
Borlesungen, die den Besuch der Universität ersetzen sollten. Im Jahre 1526
schrieb Gerbel an Melanchthon von dem Eifer des Rathes für Errichtung
eines Gymnasiums; diesen Eifer bekundet auch 1328 die Errichtung des Kol¬
legiums der Scholarchen, in welches der Städtemeister Jacob Sturm von
Sturmeck, Nicolaus Kniebs und Jacob Meyer gewählt wurden. Noch heute
verehrt Straßburg den ersten, der dem Familienleben entsagte, um nur für
das Gemeinwohl wirken zu können, der als Diplomat bei den Verhandlungen
in Speier und Augsburg und auf unzähligen anderen Conventen, als An¬
hänger der neuen Kirche bei der Einführung der Reformation und bei den
Ausgleichungsversuchen der streitenden Parteien, als tüchtiger Schüler Wim-
phelings und kräftiger Vertreter des Humanismus bei der Einrichtung der
Schulen sich glänzend bewährte, den die dankbaren Mitbürger ihren Heros
nannten, dessen Verlust am 30. Oetober 1553 sie tief beklagten, dem aber
späte Nachkommen erst im vorigen Jahre ein würdiges Denkmal errichtet
haben. Es konnte einem Manne von Sturms Einsicht nicht entgehen, daß
die Verwendung der durch die Säkularisation gewonnenen reichen Mittel zu
Schulzwecken allein nicht genüge, daß Plan und Ordnung, innerer Zusammen¬
hang, kurz eine zweckmäßige Organisation erforderlich sei, um ein tüchtiges Gym¬
nasium zu schaffen.

Und der Mann dazu ward gefunden. Der Domcapitular Schenk von
Limburg lenkte die Aufmerksamkeit auf Johannes Sturm, der 1507 zu Schlei-
den in der Eifel geboren, in Lüttich bei den Hieronymianern und in Löwen
gebildet war und seit 1529 in Paris sich aufhielt. Je mehr Religionsstrei¬
tigkeiten ihm den dortigen Aufenthalt verleidet hatten, um so freudiger folgte
er dem Rufe. Am 14. Januar 1537 traf er in Straßburg ein, im März
begann er Vorlesungen, zu deren eifrigsten Zuhörern die Lehrer gehörten.
Die Vereinigung der vorhandenen Lateinschulen zu einem großen Gymnasium
in den Räumen des Dominikanerklosters (die am 29. Juni 1860 das
Feuer verheert hat) wurde nach seinen Vorschlägen genehmigt, im Mai 1538


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/218>, abgerufen am 29.09.2024.