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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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warum Döllinger seine Erklärung verschob, so war derselbe außerordentlich
naheliegend. Der berühmte Gelehrte wollte in einer Sache von so eminenter
Bedeutung nicht mit trockenen kurzen Worten, sondern mit einer wissenschaft¬
lichen Arbeit Antwort geben, oder um die Rechtssprache zu gebrauchen, er
wollte von seinem Urtheil nicht bloß den Tenor geben, sondern die eingehend¬
sten Entscheidungsgründe. Die Zeit, die er sich dafür vorgesetzt, traf zufällig
nicht mit der ihm angebotenen Frist zusammen und so begehrte er denn in
ganz formeller Weise eine Verlängerung, ohne damit ein sachliches Zugeständ-
niß zu machen. Die Erklärung Döllingers, welche in der ganzen gebildeten
Welt den tiefsten Eindruck hervorrief, erschien am 28. März; sie war ein
Meisterstück, das der Menschheit und der Wissenschaft zur Ehre gereicht.

Der Gedankengang dieser denkwürdigen Arbeit ist einfach; er betont, daß
weder in der Schrift noch in der Tradition eine Spur der Unfehlbarkeit zu
finden sei; daß die Decrete, auf die man die neue Lehre gründen wolle, ge¬
fälscht und erdichtet seien; daß die Pflicht des Staatsbürgers und der Eid,
den er geschworen habe, ihm unmöglich machten, nun zu einer Lehre zu
schwören, die den Staat verneint. Zugleich stellt er die Bitte, die Richtigkeit
der obigen Bemerkungen vor einer bischöflichen Conferenz oder wenigstens vor
dem versammelten Domcapitel erhärten zu dürfen und fügt mit feiner Ironie
hinzu, daß doch der hochwürdige Herr Erzbischof daselbst den Borsitz führen
und sich herablassen möge, ihn über seine Irrthümer aufzuklären. Ueberhaupt
darf man aussprechen: wenn der sachliche Theil der Erklärung auf der vollen
Höhe der Wissenschaft steht, so haben wir in Hinsicht auf die Formalien ein
wahrhaft diplomatisches Meisterstück. Mit derselben kraftvollen Höflichkeit,
die wir an manchen Ackerstücken des vergangenen Jahres bewundert haben,
wahrt hier der greise Gelehrte die uralten Menschenrechte der persönlichen
Freiheit. Wie prächtig ist jene Wendung, wo er den donnernden Sentenzen
und Drohungen des Erzbischofs gegenüber, daß er die ganze Amtsgewalt zur
Geltung bringen werde, mit ruhiger Würde entgegnet: der wichtigste Theil
des kirchlichen Amtes sei von jeher das Lehramt gewesen und offenbar meine
der Herr Erzbischof, seine Aeußerungen nur in jenem edlen Sinne, daß er zu¬
nächst sein Lehramt zur Geltung bringen und durch bessere Gründe den irren¬
den Mitbruder belehren werde.

Die Illustration zu diesem glänzenden Passus zu beschaffen, übernahm
der Herr Erzbischof selber in der kläglichen Antwort, die er auf Döllinger's
Bescheid erließ. Wenn er beabsichtigt hätte, den letzteren in noch helleres
Licht zu setzen, so hätte er kaum treffender schreiben können, als er schrieb,
denn auf das kolossale Material, das Döllinger bot, auf die heroische Ruhe
desselben, hatte er keine Antwort als ein erzürntes Jammergeschrei, als die
billigen Phrasen vom "verirrten Schäflein." Döllinger hatte Gehör, nicht


warum Döllinger seine Erklärung verschob, so war derselbe außerordentlich
naheliegend. Der berühmte Gelehrte wollte in einer Sache von so eminenter
Bedeutung nicht mit trockenen kurzen Worten, sondern mit einer wissenschaft¬
lichen Arbeit Antwort geben, oder um die Rechtssprache zu gebrauchen, er
wollte von seinem Urtheil nicht bloß den Tenor geben, sondern die eingehend¬
sten Entscheidungsgründe. Die Zeit, die er sich dafür vorgesetzt, traf zufällig
nicht mit der ihm angebotenen Frist zusammen und so begehrte er denn in
ganz formeller Weise eine Verlängerung, ohne damit ein sachliches Zugeständ-
niß zu machen. Die Erklärung Döllingers, welche in der ganzen gebildeten
Welt den tiefsten Eindruck hervorrief, erschien am 28. März; sie war ein
Meisterstück, das der Menschheit und der Wissenschaft zur Ehre gereicht.

Der Gedankengang dieser denkwürdigen Arbeit ist einfach; er betont, daß
weder in der Schrift noch in der Tradition eine Spur der Unfehlbarkeit zu
finden sei; daß die Decrete, auf die man die neue Lehre gründen wolle, ge¬
fälscht und erdichtet seien; daß die Pflicht des Staatsbürgers und der Eid,
den er geschworen habe, ihm unmöglich machten, nun zu einer Lehre zu
schwören, die den Staat verneint. Zugleich stellt er die Bitte, die Richtigkeit
der obigen Bemerkungen vor einer bischöflichen Conferenz oder wenigstens vor
dem versammelten Domcapitel erhärten zu dürfen und fügt mit feiner Ironie
hinzu, daß doch der hochwürdige Herr Erzbischof daselbst den Borsitz führen
und sich herablassen möge, ihn über seine Irrthümer aufzuklären. Ueberhaupt
darf man aussprechen: wenn der sachliche Theil der Erklärung auf der vollen
Höhe der Wissenschaft steht, so haben wir in Hinsicht auf die Formalien ein
wahrhaft diplomatisches Meisterstück. Mit derselben kraftvollen Höflichkeit,
die wir an manchen Ackerstücken des vergangenen Jahres bewundert haben,
wahrt hier der greise Gelehrte die uralten Menschenrechte der persönlichen
Freiheit. Wie prächtig ist jene Wendung, wo er den donnernden Sentenzen
und Drohungen des Erzbischofs gegenüber, daß er die ganze Amtsgewalt zur
Geltung bringen werde, mit ruhiger Würde entgegnet: der wichtigste Theil
des kirchlichen Amtes sei von jeher das Lehramt gewesen und offenbar meine
der Herr Erzbischof, seine Aeußerungen nur in jenem edlen Sinne, daß er zu¬
nächst sein Lehramt zur Geltung bringen und durch bessere Gründe den irren¬
den Mitbruder belehren werde.

Die Illustration zu diesem glänzenden Passus zu beschaffen, übernahm
der Herr Erzbischof selber in der kläglichen Antwort, die er auf Döllinger's
Bescheid erließ. Wenn er beabsichtigt hätte, den letzteren in noch helleres
Licht zu setzen, so hätte er kaum treffender schreiben können, als er schrieb,
denn auf das kolossale Material, das Döllinger bot, auf die heroische Ruhe
desselben, hatte er keine Antwort als ein erzürntes Jammergeschrei, als die
billigen Phrasen vom „verirrten Schäflein." Döllinger hatte Gehör, nicht


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[0194] warum Döllinger seine Erklärung verschob, so war derselbe außerordentlich naheliegend. Der berühmte Gelehrte wollte in einer Sache von so eminenter Bedeutung nicht mit trockenen kurzen Worten, sondern mit einer wissenschaft¬ lichen Arbeit Antwort geben, oder um die Rechtssprache zu gebrauchen, er wollte von seinem Urtheil nicht bloß den Tenor geben, sondern die eingehend¬ sten Entscheidungsgründe. Die Zeit, die er sich dafür vorgesetzt, traf zufällig nicht mit der ihm angebotenen Frist zusammen und so begehrte er denn in ganz formeller Weise eine Verlängerung, ohne damit ein sachliches Zugeständ- niß zu machen. Die Erklärung Döllingers, welche in der ganzen gebildeten Welt den tiefsten Eindruck hervorrief, erschien am 28. März; sie war ein Meisterstück, das der Menschheit und der Wissenschaft zur Ehre gereicht. Der Gedankengang dieser denkwürdigen Arbeit ist einfach; er betont, daß weder in der Schrift noch in der Tradition eine Spur der Unfehlbarkeit zu finden sei; daß die Decrete, auf die man die neue Lehre gründen wolle, ge¬ fälscht und erdichtet seien; daß die Pflicht des Staatsbürgers und der Eid, den er geschworen habe, ihm unmöglich machten, nun zu einer Lehre zu schwören, die den Staat verneint. Zugleich stellt er die Bitte, die Richtigkeit der obigen Bemerkungen vor einer bischöflichen Conferenz oder wenigstens vor dem versammelten Domcapitel erhärten zu dürfen und fügt mit feiner Ironie hinzu, daß doch der hochwürdige Herr Erzbischof daselbst den Borsitz führen und sich herablassen möge, ihn über seine Irrthümer aufzuklären. Ueberhaupt darf man aussprechen: wenn der sachliche Theil der Erklärung auf der vollen Höhe der Wissenschaft steht, so haben wir in Hinsicht auf die Formalien ein wahrhaft diplomatisches Meisterstück. Mit derselben kraftvollen Höflichkeit, die wir an manchen Ackerstücken des vergangenen Jahres bewundert haben, wahrt hier der greise Gelehrte die uralten Menschenrechte der persönlichen Freiheit. Wie prächtig ist jene Wendung, wo er den donnernden Sentenzen und Drohungen des Erzbischofs gegenüber, daß er die ganze Amtsgewalt zur Geltung bringen werde, mit ruhiger Würde entgegnet: der wichtigste Theil des kirchlichen Amtes sei von jeher das Lehramt gewesen und offenbar meine der Herr Erzbischof, seine Aeußerungen nur in jenem edlen Sinne, daß er zu¬ nächst sein Lehramt zur Geltung bringen und durch bessere Gründe den irren¬ den Mitbruder belehren werde. Die Illustration zu diesem glänzenden Passus zu beschaffen, übernahm der Herr Erzbischof selber in der kläglichen Antwort, die er auf Döllinger's Bescheid erließ. Wenn er beabsichtigt hätte, den letzteren in noch helleres Licht zu setzen, so hätte er kaum treffender schreiben können, als er schrieb, denn auf das kolossale Material, das Döllinger bot, auf die heroische Ruhe desselben, hatte er keine Antwort als ein erzürntes Jammergeschrei, als die billigen Phrasen vom „verirrten Schäflein." Döllinger hatte Gehör, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/194>, abgerufen am 29.09.2024.