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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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wirklich großen Organ der Presse würde jede Partei aufbringen, selbst wenn
es in sich selbst nicht rentirte. Aber bis auf den heutigen Tag existirt nicht
eine große Zeitung in der Schweiz, in dem Sinne, wie die übrigen Kultur¬
völker Europa's das Wort verstehen. Welche Eurer Zeitungen hält in allen
Centren der gebildeten Menschheit ihre ständigen eigenen Korrespondenten?
welche kann von sich sagen, daß sie eine bestimmte, über die ganze Schweiz
verbreitete Partei hinter sich habe? welche unter allen räumt den innern An¬
gelegenheiten der Schweiz, des Kantons, der Stadt, einen ihrer verschwinden¬
den Bedeutung in der Tagesgeschichte auch nur einigermaßen entsprechenden
Raum ein? Ueberall, im Gegentheil, die Spalten mit Bundes-, Kantons¬
und Stadtklatsch gefüllt, "das Ausland" dagegen mit ein paar raschen groben
Strichen abgethan. Ueberall, mit Ausnahme weniger sehr ehrenwerther und
tüchtig redigirter Blätter,*) ein journalistischer Hochmuth, gepaart mit einer
politischen Ignoranz ohne Gleichen. Die Zahl der Organe dieser hochfahren¬
den Beschränktheit ist Legion, aber sie sind in ihren Kreisen sehr maßgebend,
meist allein maßgebend. Die gröbere Sorte dieser Winkelpresse schreckt vor
der plumpsten Fälschung nicht zurück. In wie viel schweizer Blättern hat
der in Basel fabricirte schamlose angebliche "Brief eines deutschen Soldaten"
Mitte Januar nicht als echte Waare Abdruck gefunden, obwohl das Fabrikat
so namenlos frech den Stempel der Fälschung an der Stirn trug, daß man
alles Anstandsgefühl verloren haben mußte, um ein Blatt ferner auch nur
anzuführen, welches so ungeheuerliche Lügen verbreitet. Nur eine Partei und
nur eine Art von Presse erfreut sich durch die ganze Schweiz einer strammen
Organisation, überall derselben Strebungen zur nämlichen Zeit: die ultra¬
montane, lieber Freund. Die Organe, die den Römlingen notorisch huldigen,
sind allerdings bald gezählt, und üben eben deshalb wenig Einfluß auf die
Schweizer, die an der Schwelle zu ihrem jetzigen Bundesstaat gerade mit
diesen schwarzen Seelen aus Tod und Leben zu kämpfen hatten. Aber wenn
bald hier bald da ein Organ von untadelhaft radicaler Färbung, das an den
Deutschen und ihrem Krieg keinen guten Fetzen läßt, und deshalb gewiß über
jeden Zweifel erhaben ist, sich einer kleinen ultramontanen Lüge und Fälschung
gesinnungstüchtig erschließt, dann ist der Pferdefuß weit schwieriger zu finden. Am
schwierigsten vielleicht für den biedern Redacteur, der nie über den nächsten Kanton
hinausgekommen ist, der gewiß jedem Ultramontanen, der ihm in dem vor¬
schriftsmäßigen Jesuiteneostüm entgegenträte, sein Tintenfaß, die Quelle seiner
Gesinnungstüchtigkeit und seines hohen literarischen Ruhmes an den Kopf
schleudern würde, der aber entzückt ist von dem feinen Weltmann an der geht-



-) Wir nennen hier vor Allem, ohne zu erschöpfen, die "Neue Züricher Zeitung," den
"Bund," die "Schweizer Tagespost" in Basel, die von A. Bitzius redigirten Reformvlätter,
das Journal de Genöve u. s. w.

wirklich großen Organ der Presse würde jede Partei aufbringen, selbst wenn
es in sich selbst nicht rentirte. Aber bis auf den heutigen Tag existirt nicht
eine große Zeitung in der Schweiz, in dem Sinne, wie die übrigen Kultur¬
völker Europa's das Wort verstehen. Welche Eurer Zeitungen hält in allen
Centren der gebildeten Menschheit ihre ständigen eigenen Korrespondenten?
welche kann von sich sagen, daß sie eine bestimmte, über die ganze Schweiz
verbreitete Partei hinter sich habe? welche unter allen räumt den innern An¬
gelegenheiten der Schweiz, des Kantons, der Stadt, einen ihrer verschwinden¬
den Bedeutung in der Tagesgeschichte auch nur einigermaßen entsprechenden
Raum ein? Ueberall, im Gegentheil, die Spalten mit Bundes-, Kantons¬
und Stadtklatsch gefüllt, „das Ausland" dagegen mit ein paar raschen groben
Strichen abgethan. Ueberall, mit Ausnahme weniger sehr ehrenwerther und
tüchtig redigirter Blätter,*) ein journalistischer Hochmuth, gepaart mit einer
politischen Ignoranz ohne Gleichen. Die Zahl der Organe dieser hochfahren¬
den Beschränktheit ist Legion, aber sie sind in ihren Kreisen sehr maßgebend,
meist allein maßgebend. Die gröbere Sorte dieser Winkelpresse schreckt vor
der plumpsten Fälschung nicht zurück. In wie viel schweizer Blättern hat
der in Basel fabricirte schamlose angebliche „Brief eines deutschen Soldaten"
Mitte Januar nicht als echte Waare Abdruck gefunden, obwohl das Fabrikat
so namenlos frech den Stempel der Fälschung an der Stirn trug, daß man
alles Anstandsgefühl verloren haben mußte, um ein Blatt ferner auch nur
anzuführen, welches so ungeheuerliche Lügen verbreitet. Nur eine Partei und
nur eine Art von Presse erfreut sich durch die ganze Schweiz einer strammen
Organisation, überall derselben Strebungen zur nämlichen Zeit: die ultra¬
montane, lieber Freund. Die Organe, die den Römlingen notorisch huldigen,
sind allerdings bald gezählt, und üben eben deshalb wenig Einfluß auf die
Schweizer, die an der Schwelle zu ihrem jetzigen Bundesstaat gerade mit
diesen schwarzen Seelen aus Tod und Leben zu kämpfen hatten. Aber wenn
bald hier bald da ein Organ von untadelhaft radicaler Färbung, das an den
Deutschen und ihrem Krieg keinen guten Fetzen läßt, und deshalb gewiß über
jeden Zweifel erhaben ist, sich einer kleinen ultramontanen Lüge und Fälschung
gesinnungstüchtig erschließt, dann ist der Pferdefuß weit schwieriger zu finden. Am
schwierigsten vielleicht für den biedern Redacteur, der nie über den nächsten Kanton
hinausgekommen ist, der gewiß jedem Ultramontanen, der ihm in dem vor¬
schriftsmäßigen Jesuiteneostüm entgegenträte, sein Tintenfaß, die Quelle seiner
Gesinnungstüchtigkeit und seines hohen literarischen Ruhmes an den Kopf
schleudern würde, der aber entzückt ist von dem feinen Weltmann an der geht-



-) Wir nennen hier vor Allem, ohne zu erschöpfen, die „Neue Züricher Zeitung," den
„Bund," die „Schweizer Tagespost" in Basel, die von A. Bitzius redigirten Reformvlätter,
das Journal de Genöve u. s. w.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/181>, abgerufen am 29.09.2024.