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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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vor allem diese Theilung keineswegs ein Aufgeben des gemeinsamen Stand¬
punktes bedeute, den sie im bairischen Landtag eingenommen. Zum Schlüsse
gibt die Erklärung der Hoffnung Raum, daß sich sehr bald auch die äußere
Einigung aller liberalen Fractionen vollziehen werde. Der Beitritt der ein¬
zelnen Abgeordneten vermehrte zunächst die Fortschrittspartei und die neu¬
gebildete Reichspartei, den Nationalliberalen schlössen sich nie Deputirte an,
obwohl die meisten sachlich dieser Partei sehr nahestehen.

Von besonderem Interesse für Baiern ist der Entwurf, der die Über¬
tragung zahlreicher norddeutscher Gesetze auf Baiern zum Gegenstande hat.
Die Gesammtzahl derselben beläuft sich auf vierundzwanzig; der Inhalt be¬
rührt zum Theil finanzielle Fragen und Grundsätze für das Rechtsleben im
engeren Sinne, zum andern Theil aber finden wir Bestimmungen, die von
höchster Bedeutung für die politische und nationale Einheit sind. Wenn
einerseits schon das nationale Band durch diese legislative Gemein¬
schaft unendlich gestärkt wird, so erlangen wir auch andererseits eine Reihe
von positiven Bestimmungen, die in unserem bisherigen öffentlichen Leben
empfindlich vermißt wurden. Für den Aufschwung von Handel und Verkehr
verspricht das Gesetz über die Freizügigkeit und jenes über die Errichtung der
Bundesconsulate segensreich zu wirken; denn gerade in letzterer Beziehung
waren die Angehörigen der kleineren deutschen Staaten bisher sehr übel be¬
rathen; sie lebten im Auslande nahezu schutzlos. Noch andere Gesetze dienen
in gleicher Weise den materiellen Interessen z. B. jenes über die Gewährung
einer einheitlichen Rechtshilfe, über die Ausgabe von Banknoten und Papier¬
geld :c. Auf dem social-politischen Gebiet ist die Erwerbung der deutschen
Bundes- und Staatsangehörigkeit, sowie die Eheschließung der Deutschen im
Ausland eine Frage von großer Bedeutung, in sittlicher Beziehung die Gleich¬
berechtigung der Konfessionen, die Einführung eines gemeinsamen Strafgesetz¬
buchs und andere mehr. Der Fürsprecher, der die Uebertragung dieser Gesetze
auf Baiern im Bundesrath am wärmsten vertritt, ist Herr von Lutz, der bai-
rische Justiz- und Cultusminister.

Ist es gestattet vom Minister auf das Ministerium zu kommen, so dürfen
wir das Gerücht nicht unerwähnt lassen, das einen Cabinetswechsel in nahe
Aussicht stellt, und sich trotz alles Widerspruchs hartnäckig behauptet. Aus
diesem Grunde müssen wir wenigstens das Bestehen desselben namhaft machen,
wenn diese politische Uebersicht der bairischen Verhältnisse vollständig sein will.
Man spricht davon, daß es der Wunsch des Königs sei, den Fürsten Hohen-
lohe wieder mit der Leitung des auswärtigen Amtes zu betrauen und jeden¬
falls steht soviel fest, daß Graf Bray sehr gerne auf die Bürde dieses Amtes
verzichten würde. Hohenlohe's Eintritt dagegen soll an dem Umstände scheitern,


Grenzboten I. 1871. 86

vor allem diese Theilung keineswegs ein Aufgeben des gemeinsamen Stand¬
punktes bedeute, den sie im bairischen Landtag eingenommen. Zum Schlüsse
gibt die Erklärung der Hoffnung Raum, daß sich sehr bald auch die äußere
Einigung aller liberalen Fractionen vollziehen werde. Der Beitritt der ein¬
zelnen Abgeordneten vermehrte zunächst die Fortschrittspartei und die neu¬
gebildete Reichspartei, den Nationalliberalen schlössen sich nie Deputirte an,
obwohl die meisten sachlich dieser Partei sehr nahestehen.

Von besonderem Interesse für Baiern ist der Entwurf, der die Über¬
tragung zahlreicher norddeutscher Gesetze auf Baiern zum Gegenstande hat.
Die Gesammtzahl derselben beläuft sich auf vierundzwanzig; der Inhalt be¬
rührt zum Theil finanzielle Fragen und Grundsätze für das Rechtsleben im
engeren Sinne, zum andern Theil aber finden wir Bestimmungen, die von
höchster Bedeutung für die politische und nationale Einheit sind. Wenn
einerseits schon das nationale Band durch diese legislative Gemein¬
schaft unendlich gestärkt wird, so erlangen wir auch andererseits eine Reihe
von positiven Bestimmungen, die in unserem bisherigen öffentlichen Leben
empfindlich vermißt wurden. Für den Aufschwung von Handel und Verkehr
verspricht das Gesetz über die Freizügigkeit und jenes über die Errichtung der
Bundesconsulate segensreich zu wirken; denn gerade in letzterer Beziehung
waren die Angehörigen der kleineren deutschen Staaten bisher sehr übel be¬
rathen; sie lebten im Auslande nahezu schutzlos. Noch andere Gesetze dienen
in gleicher Weise den materiellen Interessen z. B. jenes über die Gewährung
einer einheitlichen Rechtshilfe, über die Ausgabe von Banknoten und Papier¬
geld :c. Auf dem social-politischen Gebiet ist die Erwerbung der deutschen
Bundes- und Staatsangehörigkeit, sowie die Eheschließung der Deutschen im
Ausland eine Frage von großer Bedeutung, in sittlicher Beziehung die Gleich¬
berechtigung der Konfessionen, die Einführung eines gemeinsamen Strafgesetz¬
buchs und andere mehr. Der Fürsprecher, der die Uebertragung dieser Gesetze
auf Baiern im Bundesrath am wärmsten vertritt, ist Herr von Lutz, der bai-
rische Justiz- und Cultusminister.

Ist es gestattet vom Minister auf das Ministerium zu kommen, so dürfen
wir das Gerücht nicht unerwähnt lassen, das einen Cabinetswechsel in nahe
Aussicht stellt, und sich trotz alles Widerspruchs hartnäckig behauptet. Aus
diesem Grunde müssen wir wenigstens das Bestehen desselben namhaft machen,
wenn diese politische Uebersicht der bairischen Verhältnisse vollständig sein will.
Man spricht davon, daß es der Wunsch des Königs sei, den Fürsten Hohen-
lohe wieder mit der Leitung des auswärtigen Amtes zu betrauen und jeden¬
falls steht soviel fest, daß Graf Bray sehr gerne auf die Bürde dieses Amtes
verzichten würde. Hohenlohe's Eintritt dagegen soll an dem Umstände scheitern,


Grenzboten I. 1871. 86
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/161>, abgerufen am 28.12.2024.