Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ortspfarrer die Anerkennung der Unfehlbarkeit verweigerte, so sandte der Bi¬
schof von Augsburg einen Commissär ab, um ihn von allen geistlichen Func-
tionen zu suspendiren und zur Räumung der Pfarre zu veranlassen. Eine
Verschärfung dieser Maßregel aber lag noch darin, daß der Oberhirte sämmt¬
lichen Gläubigen, die bei dem excommumeirten Pfarrer die österliche Com¬
munion empfingen, zu wissen that, daß sie sich eines Sacrilegiums schuldig
machen würden. Trotz dieser Folter, die gegen die Gewissen versucht wurde,
ließ sich indeß die tapfere Gemeinde keineswegs erschrecken, sondern trat mit
ungeheurer Ueberzahl auf die Seite des Pfarrers. Der Regierungsbescheid,
der vom Staatsministerium des Cultus erging, billigte diese Haltung voll¬
kommen. Weder in der Verfassung noch im Concordate ist nämlich den Bi¬
schöfen die eigenmächtige Veröffentlichung ihrer Erlasse gestattet, sondern sie
bedürfen hierzu das königliche Plaeet. Diese Verpflichtung, die von den Bi¬
schöfen eidlich übernommen ward, wurde auf die gewissenloseste Weise mi߬
achtet, indem sie ohne Einholung der staatlichen Genehmigung die Lehre der
Unfehlbarkeit verkündeten. Rechtlich betrachtet existirt also diese Lehre
weder für den Staat selbst noch für die Staatsbürger und die Regierung
handelt vollkommen correct, wenn sie in der verweigerten Anerkennung
dieser Lehre keinen Grund sieht, einen Pfarrer seines Amtes zu entsetzen; ja,
man dürfte hinzusetzen, daß vielmehr die anderen Amtsbruder des Renitenten
ihre staatliche Pflicht überschritten und x zur Einschreitung der Staatsgewalt
Veranlassung gegeben haben. Dies war der Gedankengang, den die aus¬
führlich motivirte und äußerst gründliche Entschließung des Ministeriums ver¬
folgte ; wie sehr derselbe richtig ist, können wir getrost dem Rechtsgefühl und
dem gesunden Menschenverstand des Lesers überlassen. Der zweite Fall, in
welchem die Regierung eine Entscheidung traf, liegt ebenfalls im Gebiete die¬
ser Frage. Wir haben oben erwähnt, daß die Bischöfe, obwohl sie den Eid
auf die Verfassung geleistet, dennoch ohne Einholung des verfassungsmäßigen
Plaeet,' die Concilsbeschlüsfe veröffentlicht. Dieß gilt von sieben bairischen
Bischöfen mit einziger Ausnahme des achten, des Erzbischofs von Bamberg.
Schon auf dem Concile selbst hatte dieser zu den herbsten Gegnern der Un¬
fehlbarkeit gehört, er hatte es verweigert, den Hirtenbrief, den die Versamm¬
lung in Fulda erließ, zu unterzeichnen und zögerte am längsten mit der Ver¬
öffentlichung der Concilsbeschlüsfe. Er allein war es auch, der vor wenigen
Wochen endlich um die Genehmigung hierzu bei der Staatsregierung nach¬
suchte. Auch hier lag wieder eine Principienfrage von der. allerhöchsten Be¬
deutung vor der bairischen Regierung, auch hier fiel die Entscheidung des Königs
vollkommen im Sinne der Verfassung aus. Die Genehmigung wurde ver¬
weigert.

Ein dritter Fall von fast europäischer Berühmtheit spielt sich gleichfalls


Ortspfarrer die Anerkennung der Unfehlbarkeit verweigerte, so sandte der Bi¬
schof von Augsburg einen Commissär ab, um ihn von allen geistlichen Func-
tionen zu suspendiren und zur Räumung der Pfarre zu veranlassen. Eine
Verschärfung dieser Maßregel aber lag noch darin, daß der Oberhirte sämmt¬
lichen Gläubigen, die bei dem excommumeirten Pfarrer die österliche Com¬
munion empfingen, zu wissen that, daß sie sich eines Sacrilegiums schuldig
machen würden. Trotz dieser Folter, die gegen die Gewissen versucht wurde,
ließ sich indeß die tapfere Gemeinde keineswegs erschrecken, sondern trat mit
ungeheurer Ueberzahl auf die Seite des Pfarrers. Der Regierungsbescheid,
der vom Staatsministerium des Cultus erging, billigte diese Haltung voll¬
kommen. Weder in der Verfassung noch im Concordate ist nämlich den Bi¬
schöfen die eigenmächtige Veröffentlichung ihrer Erlasse gestattet, sondern sie
bedürfen hierzu das königliche Plaeet. Diese Verpflichtung, die von den Bi¬
schöfen eidlich übernommen ward, wurde auf die gewissenloseste Weise mi߬
achtet, indem sie ohne Einholung der staatlichen Genehmigung die Lehre der
Unfehlbarkeit verkündeten. Rechtlich betrachtet existirt also diese Lehre
weder für den Staat selbst noch für die Staatsbürger und die Regierung
handelt vollkommen correct, wenn sie in der verweigerten Anerkennung
dieser Lehre keinen Grund sieht, einen Pfarrer seines Amtes zu entsetzen; ja,
man dürfte hinzusetzen, daß vielmehr die anderen Amtsbruder des Renitenten
ihre staatliche Pflicht überschritten und x zur Einschreitung der Staatsgewalt
Veranlassung gegeben haben. Dies war der Gedankengang, den die aus¬
führlich motivirte und äußerst gründliche Entschließung des Ministeriums ver¬
folgte ; wie sehr derselbe richtig ist, können wir getrost dem Rechtsgefühl und
dem gesunden Menschenverstand des Lesers überlassen. Der zweite Fall, in
welchem die Regierung eine Entscheidung traf, liegt ebenfalls im Gebiete die¬
ser Frage. Wir haben oben erwähnt, daß die Bischöfe, obwohl sie den Eid
auf die Verfassung geleistet, dennoch ohne Einholung des verfassungsmäßigen
Plaeet,' die Concilsbeschlüsfe veröffentlicht. Dieß gilt von sieben bairischen
Bischöfen mit einziger Ausnahme des achten, des Erzbischofs von Bamberg.
Schon auf dem Concile selbst hatte dieser zu den herbsten Gegnern der Un¬
fehlbarkeit gehört, er hatte es verweigert, den Hirtenbrief, den die Versamm¬
lung in Fulda erließ, zu unterzeichnen und zögerte am längsten mit der Ver¬
öffentlichung der Concilsbeschlüsfe. Er allein war es auch, der vor wenigen
Wochen endlich um die Genehmigung hierzu bei der Staatsregierung nach¬
suchte. Auch hier lag wieder eine Principienfrage von der. allerhöchsten Be¬
deutung vor der bairischen Regierung, auch hier fiel die Entscheidung des Königs
vollkommen im Sinne der Verfassung aus. Die Genehmigung wurde ver¬
weigert.

Ein dritter Fall von fast europäischer Berühmtheit spielt sich gleichfalls


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125941"/>
          <p xml:id="ID_515" prev="#ID_514"> Ortspfarrer die Anerkennung der Unfehlbarkeit verweigerte, so sandte der Bi¬<lb/>
schof von Augsburg einen Commissär ab, um ihn von allen geistlichen Func-<lb/>
tionen zu suspendiren und zur Räumung der Pfarre zu veranlassen. Eine<lb/>
Verschärfung dieser Maßregel aber lag noch darin, daß der Oberhirte sämmt¬<lb/>
lichen Gläubigen, die bei dem excommumeirten Pfarrer die österliche Com¬<lb/>
munion empfingen, zu wissen that, daß sie sich eines Sacrilegiums schuldig<lb/>
machen würden. Trotz dieser Folter, die gegen die Gewissen versucht wurde,<lb/>
ließ sich indeß die tapfere Gemeinde keineswegs erschrecken, sondern trat mit<lb/>
ungeheurer Ueberzahl auf die Seite des Pfarrers. Der Regierungsbescheid,<lb/>
der vom Staatsministerium des Cultus erging, billigte diese Haltung voll¬<lb/>
kommen. Weder in der Verfassung noch im Concordate ist nämlich den Bi¬<lb/>
schöfen die eigenmächtige Veröffentlichung ihrer Erlasse gestattet, sondern sie<lb/>
bedürfen hierzu das königliche Plaeet. Diese Verpflichtung, die von den Bi¬<lb/>
schöfen eidlich übernommen ward, wurde auf die gewissenloseste Weise mi߬<lb/>
achtet, indem sie ohne Einholung der staatlichen Genehmigung die Lehre der<lb/>
Unfehlbarkeit verkündeten. Rechtlich betrachtet existirt also diese Lehre<lb/>
weder für den Staat selbst noch für die Staatsbürger und die Regierung<lb/>
handelt vollkommen correct, wenn sie in der verweigerten Anerkennung<lb/>
dieser Lehre keinen Grund sieht, einen Pfarrer seines Amtes zu entsetzen; ja,<lb/>
man dürfte hinzusetzen, daß vielmehr die anderen Amtsbruder des Renitenten<lb/>
ihre staatliche Pflicht überschritten und x zur Einschreitung der Staatsgewalt<lb/>
Veranlassung gegeben haben. Dies war der Gedankengang, den die aus¬<lb/>
führlich motivirte und äußerst gründliche Entschließung des Ministeriums ver¬<lb/>
folgte ; wie sehr derselbe richtig ist, können wir getrost dem Rechtsgefühl und<lb/>
dem gesunden Menschenverstand des Lesers überlassen. Der zweite Fall, in<lb/>
welchem die Regierung eine Entscheidung traf, liegt ebenfalls im Gebiete die¬<lb/>
ser Frage. Wir haben oben erwähnt, daß die Bischöfe, obwohl sie den Eid<lb/>
auf die Verfassung geleistet, dennoch ohne Einholung des verfassungsmäßigen<lb/>
Plaeet,' die Concilsbeschlüsfe veröffentlicht. Dieß gilt von sieben bairischen<lb/>
Bischöfen mit einziger Ausnahme des achten, des Erzbischofs von Bamberg.<lb/>
Schon auf dem Concile selbst hatte dieser zu den herbsten Gegnern der Un¬<lb/>
fehlbarkeit gehört, er hatte es verweigert, den Hirtenbrief, den die Versamm¬<lb/>
lung in Fulda erließ, zu unterzeichnen und zögerte am längsten mit der Ver¬<lb/>
öffentlichung der Concilsbeschlüsfe. Er allein war es auch, der vor wenigen<lb/>
Wochen endlich um die Genehmigung hierzu bei der Staatsregierung nach¬<lb/>
suchte. Auch hier lag wieder eine Principienfrage von der. allerhöchsten Be¬<lb/>
deutung vor der bairischen Regierung, auch hier fiel die Entscheidung des Königs<lb/>
vollkommen im Sinne der Verfassung aus. Die Genehmigung wurde ver¬<lb/>
weigert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516" next="#ID_517"> Ein dritter Fall von fast europäischer Berühmtheit spielt sich gleichfalls</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] Ortspfarrer die Anerkennung der Unfehlbarkeit verweigerte, so sandte der Bi¬ schof von Augsburg einen Commissär ab, um ihn von allen geistlichen Func- tionen zu suspendiren und zur Räumung der Pfarre zu veranlassen. Eine Verschärfung dieser Maßregel aber lag noch darin, daß der Oberhirte sämmt¬ lichen Gläubigen, die bei dem excommumeirten Pfarrer die österliche Com¬ munion empfingen, zu wissen that, daß sie sich eines Sacrilegiums schuldig machen würden. Trotz dieser Folter, die gegen die Gewissen versucht wurde, ließ sich indeß die tapfere Gemeinde keineswegs erschrecken, sondern trat mit ungeheurer Ueberzahl auf die Seite des Pfarrers. Der Regierungsbescheid, der vom Staatsministerium des Cultus erging, billigte diese Haltung voll¬ kommen. Weder in der Verfassung noch im Concordate ist nämlich den Bi¬ schöfen die eigenmächtige Veröffentlichung ihrer Erlasse gestattet, sondern sie bedürfen hierzu das königliche Plaeet. Diese Verpflichtung, die von den Bi¬ schöfen eidlich übernommen ward, wurde auf die gewissenloseste Weise mi߬ achtet, indem sie ohne Einholung der staatlichen Genehmigung die Lehre der Unfehlbarkeit verkündeten. Rechtlich betrachtet existirt also diese Lehre weder für den Staat selbst noch für die Staatsbürger und die Regierung handelt vollkommen correct, wenn sie in der verweigerten Anerkennung dieser Lehre keinen Grund sieht, einen Pfarrer seines Amtes zu entsetzen; ja, man dürfte hinzusetzen, daß vielmehr die anderen Amtsbruder des Renitenten ihre staatliche Pflicht überschritten und x zur Einschreitung der Staatsgewalt Veranlassung gegeben haben. Dies war der Gedankengang, den die aus¬ führlich motivirte und äußerst gründliche Entschließung des Ministeriums ver¬ folgte ; wie sehr derselbe richtig ist, können wir getrost dem Rechtsgefühl und dem gesunden Menschenverstand des Lesers überlassen. Der zweite Fall, in welchem die Regierung eine Entscheidung traf, liegt ebenfalls im Gebiete die¬ ser Frage. Wir haben oben erwähnt, daß die Bischöfe, obwohl sie den Eid auf die Verfassung geleistet, dennoch ohne Einholung des verfassungsmäßigen Plaeet,' die Concilsbeschlüsfe veröffentlicht. Dieß gilt von sieben bairischen Bischöfen mit einziger Ausnahme des achten, des Erzbischofs von Bamberg. Schon auf dem Concile selbst hatte dieser zu den herbsten Gegnern der Un¬ fehlbarkeit gehört, er hatte es verweigert, den Hirtenbrief, den die Versamm¬ lung in Fulda erließ, zu unterzeichnen und zögerte am längsten mit der Ver¬ öffentlichung der Concilsbeschlüsfe. Er allein war es auch, der vor wenigen Wochen endlich um die Genehmigung hierzu bei der Staatsregierung nach¬ suchte. Auch hier lag wieder eine Principienfrage von der. allerhöchsten Be¬ deutung vor der bairischen Regierung, auch hier fiel die Entscheidung des Königs vollkommen im Sinne der Verfassung aus. Die Genehmigung wurde ver¬ weigert. Ein dritter Fall von fast europäischer Berühmtheit spielt sich gleichfalls

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/159>, abgerufen am 29.09.2024.