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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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nicht Vertrauensmänner sind; sie gehen nicht aus der Wahl ihrer Mitbürger
hervor, sondern werden in allen etwas größeren Gemeinden (von wenigstens
3000 Seelen) unmittelbar vom Kaiser oder König, in kleineren vom Präfekten
ernannt, sie können ebenso willkürlich vom Präfekten außer Thätigkeit gesetzt
(suspendirt), vom Staatsoberhaupt abgesetzt werden. Sonach haben sie, um
in das Amt zu gelangen und sich darin zu behaupten, einzig nur die Gunst
des zeitweiligen Throninhabers, noch mehr (weil dieser sich nicht um jedes
Mitglied eines Gemeindevorstandes bekümmern kann) die Gunst des noch
zeitweiligeren Präfekten nothwendig. Es kommt dazu, daß alle diese obersten
Gemeindebeamten ihre Aemter ohne Besoldung verwalten, also Vermögen oder
doch einen anderen Broderwerb haben müssen, und das Gemeindeamt nur
nebenbei wahrnehmen. Ist möglich, daß die Wohlfahrt der Gemeinde dabei
sorgfältig behütet wird? Dabei ist der Maire so ohnmächtig, daß er nicht den
geringsten Neu- oder Ausbesserungsbau genehmigen kann, vielmehr die Ge¬
nehmigung unmittelbar von Paris kommen muß. Dagegen hat er in anderer
Beziehung wieder eine so willkürliche Gewalt, daß es bei deren Anwendung
nicht ohne Mißbräuche abgehen kann; wenn er "im Namen der regelnden
Macht der Gesellschaft" (an noir Zu xouvoir r^ni^taire as ig. Lveiet6) Ver¬
fügungen trifft, so ist gegen sie der Rechtsweg verschlossen und nur der
" Gnadenweg" (vois xi-aeisuse) an den Präfekten (!) und an den Minister frei.
Da der Maire einen anderen Hauptberuf haben muß wegen der Unentgeltlich¬
keit seiner Amtsverwaltung, und da er überdies immer nur auf fünf Jahre
ernannt wird, so ist endlich gar nicht möglich, daß er seine Geschäfte genau
kennt; wenn er sich eben erst etwas hineingearbeitet hat, ist seine Ver¬
waltungszeit abgelaufen, und es folgt ihm in der Regel ein anderer, der wie¬
der ebenso unerfahren in das Amt eintritt.

Eine traurige Rolle spielen die gewählten Gemeindevertreter.
Nur vier Mal im Jahre dürfen sie sich versammeln, wenn nicht der Herr
Präfekt oder Unterpräfekt eine außerordentliche Versammlung beruft. Daß
die Befugniß beliebiger Zusammenberufungen nicht dem Maire und ebenso
wenig dem Vorsitzenden der Körperschaft zusteht, ist eine höchst anstößige,
ungerechtfertigte Einschränkung. Die Befugnisse der Gemeindevertretung wer¬
den in 3 Kategorien getheilt: sie "setzt fest", sie "beräth", sie "giebt Gut¬
achten ab" sie conseil munieixal reZiö, clölidere, äomw son s.vis). Man
kann sich vorstellen, daß die Festsetzungen sich nur auf die geringfügigsten
Angelegenheiten beziehen; zu den Gegenständen der bloßen Berathungen ge¬
hört dagegen der Haushalt der Gemeinde. Festgestellt dagegen wird er durch
Niemand Anderen, als den Präfekten, und gegen dessen Entscheidung steht
wiederum nur "der Weg der Gnade" an den Minister offen. Solche Ein¬
richtungen erscheinen dem Deutschen unerträglich, und insofern die Elsasser


nicht Vertrauensmänner sind; sie gehen nicht aus der Wahl ihrer Mitbürger
hervor, sondern werden in allen etwas größeren Gemeinden (von wenigstens
3000 Seelen) unmittelbar vom Kaiser oder König, in kleineren vom Präfekten
ernannt, sie können ebenso willkürlich vom Präfekten außer Thätigkeit gesetzt
(suspendirt), vom Staatsoberhaupt abgesetzt werden. Sonach haben sie, um
in das Amt zu gelangen und sich darin zu behaupten, einzig nur die Gunst
des zeitweiligen Throninhabers, noch mehr (weil dieser sich nicht um jedes
Mitglied eines Gemeindevorstandes bekümmern kann) die Gunst des noch
zeitweiligeren Präfekten nothwendig. Es kommt dazu, daß alle diese obersten
Gemeindebeamten ihre Aemter ohne Besoldung verwalten, also Vermögen oder
doch einen anderen Broderwerb haben müssen, und das Gemeindeamt nur
nebenbei wahrnehmen. Ist möglich, daß die Wohlfahrt der Gemeinde dabei
sorgfältig behütet wird? Dabei ist der Maire so ohnmächtig, daß er nicht den
geringsten Neu- oder Ausbesserungsbau genehmigen kann, vielmehr die Ge¬
nehmigung unmittelbar von Paris kommen muß. Dagegen hat er in anderer
Beziehung wieder eine so willkürliche Gewalt, daß es bei deren Anwendung
nicht ohne Mißbräuche abgehen kann; wenn er „im Namen der regelnden
Macht der Gesellschaft" (an noir Zu xouvoir r^ni^taire as ig. Lveiet6) Ver¬
fügungen trifft, so ist gegen sie der Rechtsweg verschlossen und nur der
„ Gnadenweg" (vois xi-aeisuse) an den Präfekten (!) und an den Minister frei.
Da der Maire einen anderen Hauptberuf haben muß wegen der Unentgeltlich¬
keit seiner Amtsverwaltung, und da er überdies immer nur auf fünf Jahre
ernannt wird, so ist endlich gar nicht möglich, daß er seine Geschäfte genau
kennt; wenn er sich eben erst etwas hineingearbeitet hat, ist seine Ver¬
waltungszeit abgelaufen, und es folgt ihm in der Regel ein anderer, der wie¬
der ebenso unerfahren in das Amt eintritt.

Eine traurige Rolle spielen die gewählten Gemeindevertreter.
Nur vier Mal im Jahre dürfen sie sich versammeln, wenn nicht der Herr
Präfekt oder Unterpräfekt eine außerordentliche Versammlung beruft. Daß
die Befugniß beliebiger Zusammenberufungen nicht dem Maire und ebenso
wenig dem Vorsitzenden der Körperschaft zusteht, ist eine höchst anstößige,
ungerechtfertigte Einschränkung. Die Befugnisse der Gemeindevertretung wer¬
den in 3 Kategorien getheilt: sie „setzt fest", sie „beräth", sie „giebt Gut¬
achten ab" sie conseil munieixal reZiö, clölidere, äomw son s.vis). Man
kann sich vorstellen, daß die Festsetzungen sich nur auf die geringfügigsten
Angelegenheiten beziehen; zu den Gegenständen der bloßen Berathungen ge¬
hört dagegen der Haushalt der Gemeinde. Festgestellt dagegen wird er durch
Niemand Anderen, als den Präfekten, und gegen dessen Entscheidung steht
wiederum nur „der Weg der Gnade" an den Minister offen. Solche Ein¬
richtungen erscheinen dem Deutschen unerträglich, und insofern die Elsasser


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[0149] nicht Vertrauensmänner sind; sie gehen nicht aus der Wahl ihrer Mitbürger hervor, sondern werden in allen etwas größeren Gemeinden (von wenigstens 3000 Seelen) unmittelbar vom Kaiser oder König, in kleineren vom Präfekten ernannt, sie können ebenso willkürlich vom Präfekten außer Thätigkeit gesetzt (suspendirt), vom Staatsoberhaupt abgesetzt werden. Sonach haben sie, um in das Amt zu gelangen und sich darin zu behaupten, einzig nur die Gunst des zeitweiligen Throninhabers, noch mehr (weil dieser sich nicht um jedes Mitglied eines Gemeindevorstandes bekümmern kann) die Gunst des noch zeitweiligeren Präfekten nothwendig. Es kommt dazu, daß alle diese obersten Gemeindebeamten ihre Aemter ohne Besoldung verwalten, also Vermögen oder doch einen anderen Broderwerb haben müssen, und das Gemeindeamt nur nebenbei wahrnehmen. Ist möglich, daß die Wohlfahrt der Gemeinde dabei sorgfältig behütet wird? Dabei ist der Maire so ohnmächtig, daß er nicht den geringsten Neu- oder Ausbesserungsbau genehmigen kann, vielmehr die Ge¬ nehmigung unmittelbar von Paris kommen muß. Dagegen hat er in anderer Beziehung wieder eine so willkürliche Gewalt, daß es bei deren Anwendung nicht ohne Mißbräuche abgehen kann; wenn er „im Namen der regelnden Macht der Gesellschaft" (an noir Zu xouvoir r^ni^taire as ig. Lveiet6) Ver¬ fügungen trifft, so ist gegen sie der Rechtsweg verschlossen und nur der „ Gnadenweg" (vois xi-aeisuse) an den Präfekten (!) und an den Minister frei. Da der Maire einen anderen Hauptberuf haben muß wegen der Unentgeltlich¬ keit seiner Amtsverwaltung, und da er überdies immer nur auf fünf Jahre ernannt wird, so ist endlich gar nicht möglich, daß er seine Geschäfte genau kennt; wenn er sich eben erst etwas hineingearbeitet hat, ist seine Ver¬ waltungszeit abgelaufen, und es folgt ihm in der Regel ein anderer, der wie¬ der ebenso unerfahren in das Amt eintritt. Eine traurige Rolle spielen die gewählten Gemeindevertreter. Nur vier Mal im Jahre dürfen sie sich versammeln, wenn nicht der Herr Präfekt oder Unterpräfekt eine außerordentliche Versammlung beruft. Daß die Befugniß beliebiger Zusammenberufungen nicht dem Maire und ebenso wenig dem Vorsitzenden der Körperschaft zusteht, ist eine höchst anstößige, ungerechtfertigte Einschränkung. Die Befugnisse der Gemeindevertretung wer¬ den in 3 Kategorien getheilt: sie „setzt fest", sie „beräth", sie „giebt Gut¬ achten ab" sie conseil munieixal reZiö, clölidere, äomw son s.vis). Man kann sich vorstellen, daß die Festsetzungen sich nur auf die geringfügigsten Angelegenheiten beziehen; zu den Gegenständen der bloßen Berathungen ge¬ hört dagegen der Haushalt der Gemeinde. Festgestellt dagegen wird er durch Niemand Anderen, als den Präfekten, und gegen dessen Entscheidung steht wiederum nur „der Weg der Gnade" an den Minister offen. Solche Ein¬ richtungen erscheinen dem Deutschen unerträglich, und insofern die Elsasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/149>, abgerufen am 29.09.2024.