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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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da weder Hof, noch Stadt, wie er sich ausdrückt, exigeant seien und jeder
nach seiner Weise lebe, ohne zu Aufwand genöthigt zu sein.

Das ganze Bezeigen der Beamten war gemessen; namentlich die höheren
zeichneten sich durch ihr langsames Einherschreiten, durch ihre gravitätische
Haltung aus. schnelles Gehen durch die Straßen galt für unanständig.
Geistlichkeit und hohe Räthe gingen nur in Amtskleidung, sie zeigten sich in
ihren Mänteln und weiß gepuderten Perrücken. Ein Herder, der einst in sehr
modestem, dunkelfarbigem Anzug und ohne Perrücke sich im Theater zeigte,
fiel allgemein auf.

Im Ganzen war der Beamte mit seiner Lage zufrieden. Sehr bestimmt
drückt er dies am Scheiden des Jahrhunderts aus, daß er in "einem wohlgeord¬
neten Staate lebe." Die Zeiten, wo auch wir -- gerade für den Beamten
fühlbar -- eine wenig geordnete Finanzverwaltung hatten, waren vorüber;
er wartete nicht mehr vergeblich auf die richtige Abführung seines Gehaltes,
das der Staat früher oft auflaufen und in kleinen Raten abführen ließ.*) Für
das Nöthigste war also nach dem Urtheil dieser Kreise gesorgt, sogar in
Absicht des allgemeinen Vergnügens haben wir bereits "Vorzüge vor andern
Städten, im Winter Theater und Redouten."

Aber was 1800 Weimar immer noch fehlte, war eine geschlossene Ge¬
sellschaft.**) Denn das war ja nicht genug, daß jedes öffentliche Local immer
und immer wieder Räume für "gewöhnliche Gäste" und Honoratioren auf¬
zuweisen hatte. Es war überhaupt für den Beamtenstand nicht mehr Styl,
so zu verkehren und so kam es zur Gründung der Ressource in Weimar:
einer Gesellschaft, die bureaukratisch zugeschnitten war, deren 12 Gründer
allein die Macht hatten, über die Aufnahmefähigkeit zu entscheiden, und die
leider eben deshalb ihre Aufgabe, die gebildeten Elemente zu vereinigen, nicht
löste, weil Laune und Willkühr die besten gesellschaftlichen Kräfte in der
Regel abstieß. Ja, und wer sich unterhalten wollte, mußte es bis Schlag
V2II Uhr fertig gebracht haben. Da stob man dem Gesetz***) gemäß aus¬
einander, denn jede halbe Stunde wurde mit Strafen nach Progressionssätzen
belegt, und Halbweg redselige Leute würden im Stande gewesen sein, in wenigen
halben Stunden das Gehalt des Tages zu "verplaudern." Glaubt man da
Goethes Zeit vor sich zu haben und hält man für möglich, daß bei der Blüthe
unseres Theaters ein Schauspieler nicht Mitglied in dem 1801 errichteten





*) In Weimar finden wir schon um die Mitte des Jahrhunderts keine Spuren mehr davon.
") Die damals bestehende Armbrustgescllschaft zählt nicht, weil sie ein Schützenverein war,
der ursprünglich gesellschaftliche Tendenzen nicht hatte.
Gesetze der Ressource-Gesellschaft in Weimar §, XXIV: Wer langer als bis halb
11 Uhr in den Zimmern verweilt, zahlt für die erste halbe Stunde, nämlich bis 11 Uhr,
2 Gr.. -- bis halb 12 Uhr 4 Gr., und so verhältnißmäßig für jede halbe Stunde noch ein¬
mal so viel Strafgeld.

da weder Hof, noch Stadt, wie er sich ausdrückt, exigeant seien und jeder
nach seiner Weise lebe, ohne zu Aufwand genöthigt zu sein.

Das ganze Bezeigen der Beamten war gemessen; namentlich die höheren
zeichneten sich durch ihr langsames Einherschreiten, durch ihre gravitätische
Haltung aus. schnelles Gehen durch die Straßen galt für unanständig.
Geistlichkeit und hohe Räthe gingen nur in Amtskleidung, sie zeigten sich in
ihren Mänteln und weiß gepuderten Perrücken. Ein Herder, der einst in sehr
modestem, dunkelfarbigem Anzug und ohne Perrücke sich im Theater zeigte,
fiel allgemein auf.

Im Ganzen war der Beamte mit seiner Lage zufrieden. Sehr bestimmt
drückt er dies am Scheiden des Jahrhunderts aus, daß er in „einem wohlgeord¬
neten Staate lebe." Die Zeiten, wo auch wir — gerade für den Beamten
fühlbar — eine wenig geordnete Finanzverwaltung hatten, waren vorüber;
er wartete nicht mehr vergeblich auf die richtige Abführung seines Gehaltes,
das der Staat früher oft auflaufen und in kleinen Raten abführen ließ.*) Für
das Nöthigste war also nach dem Urtheil dieser Kreise gesorgt, sogar in
Absicht des allgemeinen Vergnügens haben wir bereits „Vorzüge vor andern
Städten, im Winter Theater und Redouten."

Aber was 1800 Weimar immer noch fehlte, war eine geschlossene Ge¬
sellschaft.**) Denn das war ja nicht genug, daß jedes öffentliche Local immer
und immer wieder Räume für „gewöhnliche Gäste" und Honoratioren auf¬
zuweisen hatte. Es war überhaupt für den Beamtenstand nicht mehr Styl,
so zu verkehren und so kam es zur Gründung der Ressource in Weimar:
einer Gesellschaft, die bureaukratisch zugeschnitten war, deren 12 Gründer
allein die Macht hatten, über die Aufnahmefähigkeit zu entscheiden, und die
leider eben deshalb ihre Aufgabe, die gebildeten Elemente zu vereinigen, nicht
löste, weil Laune und Willkühr die besten gesellschaftlichen Kräfte in der
Regel abstieß. Ja, und wer sich unterhalten wollte, mußte es bis Schlag
V2II Uhr fertig gebracht haben. Da stob man dem Gesetz***) gemäß aus¬
einander, denn jede halbe Stunde wurde mit Strafen nach Progressionssätzen
belegt, und Halbweg redselige Leute würden im Stande gewesen sein, in wenigen
halben Stunden das Gehalt des Tages zu „verplaudern." Glaubt man da
Goethes Zeit vor sich zu haben und hält man für möglich, daß bei der Blüthe
unseres Theaters ein Schauspieler nicht Mitglied in dem 1801 errichteten





*) In Weimar finden wir schon um die Mitte des Jahrhunderts keine Spuren mehr davon.
") Die damals bestehende Armbrustgescllschaft zählt nicht, weil sie ein Schützenverein war,
der ursprünglich gesellschaftliche Tendenzen nicht hatte.
Gesetze der Ressource-Gesellschaft in Weimar §, XXIV: Wer langer als bis halb
11 Uhr in den Zimmern verweilt, zahlt für die erste halbe Stunde, nämlich bis 11 Uhr,
2 Gr.. — bis halb 12 Uhr 4 Gr., und so verhältnißmäßig für jede halbe Stunde noch ein¬
mal so viel Strafgeld.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/133>, abgerufen am 29.09.2024.