Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.der weitaus größere Theil steht auf dem großdeutschen Standpunkt, d. h. sieht der weitaus größere Theil steht auf dem großdeutschen Standpunkt, d. h. sieht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125907"/> <p xml:id="ID_411" prev="#ID_410" next="#ID_412"> der weitaus größere Theil steht auf dem großdeutschen Standpunkt, d. h. sieht<lb/> in Oestreich allein den Hort des Katholicismus für Deutschland, und die<lb/> Schwenkung des Ministeriums Hohenwart nach dem clericalen Lager hat in<lb/> den letzten Wochen Manche, welche der dort bisher herrschende Liberalismus<lb/> bestimmt hatte, ihre Blicke nach dem neuen deutschen Reich zu richten, wieder<lb/> in die alten Bahnen zurückgelenkt. Deshalb das Drängen nach einer Ent¬<lb/> scheidung in Berlin, von welcher man die Wiederherstellung der Einigkeit in<lb/> der ultramontanen Parteitaktik erwartet. Um so größer ist allenthalben die<lb/> Freude über das ablehnende Verhalten des Reichstags, welches zu der Hoff¬<lb/> nung berechtigt, daß er nicht nur die Zudringlichkeit der Ultramontanen auch<lb/> fernerhin zurückweisen, fondern schon jetzt eine moralische, in Zukunft wohl<lb/> auch eine legale Stütze bilden werde in dem unausbleiblichen Kampfe, welcher<lb/> besonders in den kleineren Staaten mit der Curie und ihren Anhängern be-<lb/> vorsteht. Es gilt dies speciell von Württemberg. Zwar gehören hier 2/z<lb/> der Bevölkerung der protestantischen Confession an, und auch unter den Katho¬<lb/> liken befindet sich eine große Zahl wirklich deutschgesinnter Männer, welche<lb/> die Zurückweisung aller clericalen Eingriffe in die Rechte der Staatsgewalt,<lb/> namentlich in den von der Kirche in Anspruch genommenen Grenzgebieten<lb/> verlangen. Dennoch verbreitet sich Angesichts der ultramontanen Bestrebungen<lb/> ein Gefühl der Beklemmung immer allgemeiner durch das Land. Die Regie¬<lb/> rung hat in den letzten Jahren den verdeckten Intriguen wie den offenen An¬<lb/> griffen dieser Partei gegenüber so wenig Muth und Selbstbewußtsein an den<lb/> Tag gelegt, aus fortwährender kläglicher Angst vor einem Conflict gegen die<lb/> Würdenträger der katholischen Kirche eine so demüthige Haltung eingenommen<lb/> daß man nur mit dem größten Mißtrauen ihren ferneren Schritten' entgegen¬<lb/> sehen kann. Erst die letzten Tage haben hierfür wieder einen neuen Beweis<lb/> geliefert. In demselben Augenblick, wo Döllingers Protest die Runde durch<lb/> die Blätter macht, wo die königl. bayrische Regierung in Uebereinstimmung<lb/> mit ihrer früheren Erklärung vom 9. August v, I. dem Erzbischof von<lb/> Bamberg das Planet für die Verkündigung des Concildeerets über die Jnfalli-<lb/> bilität verweigert, erhalten wir die verbürgte Nachricht, daß man an ma߬<lb/> gebender Stelle in Stuttgart einen dem Bischof Hefele in Rothenburg nahe¬<lb/> stehenden Professor der katholisch-theologischen Facultät in Tübingen in officieller<lb/> Audienz empfangen und demselben bedeutet hat, die Regierung erwarte von<lb/> Herrn Hefele, daß er sich den Weisungen der Curie füge und jenes Concil-<lb/> decret publicire. Man erklärt sich also nicht nur im Voraus bereit, das nach<lb/> Art. 1 des württembergischen Kirchengesetzes vom 30. Januar 1862 erforder¬<lb/> liche Planet zu ertheilen, sondern erwartet geradezu von dem Bischof die<lb/> Unterwerfung. Würde es sich hierbei nur um ein kirchliches Dogma i. e. S.<lb/> handeln, so könnte es von allen Denjenigen, welche außerhalb der clericalen<lb/> Partei sieben, nur mit Freude begrüßt werden, daß die Kirche jetzt selbst,<lb/> dem Beispiel der römischen Kaiserzeit folgend, die Apotheose ihrer Herrscher<lb/> ausspricht: denn es ist damit doch nur die letzte Consequenz einer Kirchenlehre<lb/> gezogen, welche in ihrer neueren Entwickelung die Göttlichkeit des Papstthums<lb/> längst zur logischen Voraussetzung hatte, wenn man auch aus Ovportunitäts-<lb/> rücksichten, namentlich um sich die Position in der Polemik nicht zu erschweren,<lb/> mit der Proclamirung des nackten Princips bisher zurückgehalten hatte.<lb/> Können wir deshalb auch dem Muth und der Ueberzeugungstreue eines<lb/> Döllinger die Anerkennung nicht versagen, so vermögen wir doch in ihm<lb/> nur einen Märtyrer seiner Ueberzeugung, ein Opfer des furchtbarsten Gewissens-<lb/> zwcmgs.,zu erblicken, ohne uns von feinem Widerstand den geringsten Erfolg</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0125]
der weitaus größere Theil steht auf dem großdeutschen Standpunkt, d. h. sieht
in Oestreich allein den Hort des Katholicismus für Deutschland, und die
Schwenkung des Ministeriums Hohenwart nach dem clericalen Lager hat in
den letzten Wochen Manche, welche der dort bisher herrschende Liberalismus
bestimmt hatte, ihre Blicke nach dem neuen deutschen Reich zu richten, wieder
in die alten Bahnen zurückgelenkt. Deshalb das Drängen nach einer Ent¬
scheidung in Berlin, von welcher man die Wiederherstellung der Einigkeit in
der ultramontanen Parteitaktik erwartet. Um so größer ist allenthalben die
Freude über das ablehnende Verhalten des Reichstags, welches zu der Hoff¬
nung berechtigt, daß er nicht nur die Zudringlichkeit der Ultramontanen auch
fernerhin zurückweisen, fondern schon jetzt eine moralische, in Zukunft wohl
auch eine legale Stütze bilden werde in dem unausbleiblichen Kampfe, welcher
besonders in den kleineren Staaten mit der Curie und ihren Anhängern be-
vorsteht. Es gilt dies speciell von Württemberg. Zwar gehören hier 2/z
der Bevölkerung der protestantischen Confession an, und auch unter den Katho¬
liken befindet sich eine große Zahl wirklich deutschgesinnter Männer, welche
die Zurückweisung aller clericalen Eingriffe in die Rechte der Staatsgewalt,
namentlich in den von der Kirche in Anspruch genommenen Grenzgebieten
verlangen. Dennoch verbreitet sich Angesichts der ultramontanen Bestrebungen
ein Gefühl der Beklemmung immer allgemeiner durch das Land. Die Regie¬
rung hat in den letzten Jahren den verdeckten Intriguen wie den offenen An¬
griffen dieser Partei gegenüber so wenig Muth und Selbstbewußtsein an den
Tag gelegt, aus fortwährender kläglicher Angst vor einem Conflict gegen die
Würdenträger der katholischen Kirche eine so demüthige Haltung eingenommen
daß man nur mit dem größten Mißtrauen ihren ferneren Schritten' entgegen¬
sehen kann. Erst die letzten Tage haben hierfür wieder einen neuen Beweis
geliefert. In demselben Augenblick, wo Döllingers Protest die Runde durch
die Blätter macht, wo die königl. bayrische Regierung in Uebereinstimmung
mit ihrer früheren Erklärung vom 9. August v, I. dem Erzbischof von
Bamberg das Planet für die Verkündigung des Concildeerets über die Jnfalli-
bilität verweigert, erhalten wir die verbürgte Nachricht, daß man an ma߬
gebender Stelle in Stuttgart einen dem Bischof Hefele in Rothenburg nahe¬
stehenden Professor der katholisch-theologischen Facultät in Tübingen in officieller
Audienz empfangen und demselben bedeutet hat, die Regierung erwarte von
Herrn Hefele, daß er sich den Weisungen der Curie füge und jenes Concil-
decret publicire. Man erklärt sich also nicht nur im Voraus bereit, das nach
Art. 1 des württembergischen Kirchengesetzes vom 30. Januar 1862 erforder¬
liche Planet zu ertheilen, sondern erwartet geradezu von dem Bischof die
Unterwerfung. Würde es sich hierbei nur um ein kirchliches Dogma i. e. S.
handeln, so könnte es von allen Denjenigen, welche außerhalb der clericalen
Partei sieben, nur mit Freude begrüßt werden, daß die Kirche jetzt selbst,
dem Beispiel der römischen Kaiserzeit folgend, die Apotheose ihrer Herrscher
ausspricht: denn es ist damit doch nur die letzte Consequenz einer Kirchenlehre
gezogen, welche in ihrer neueren Entwickelung die Göttlichkeit des Papstthums
längst zur logischen Voraussetzung hatte, wenn man auch aus Ovportunitäts-
rücksichten, namentlich um sich die Position in der Polemik nicht zu erschweren,
mit der Proclamirung des nackten Princips bisher zurückgehalten hatte.
Können wir deshalb auch dem Muth und der Ueberzeugungstreue eines
Döllinger die Anerkennung nicht versagen, so vermögen wir doch in ihm
nur einen Märtyrer seiner Ueberzeugung, ein Opfer des furchtbarsten Gewissens-
zwcmgs.,zu erblicken, ohne uns von feinem Widerstand den geringsten Erfolg
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