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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Aas neue Strafgesetzbuch für Deutschland.

Fast unbemerkt von der großen Mehrzahl der Deutschen inmitten der
kriegerischen Gegenwart, ist mit dem Neuen Jahre ein Gesetz in Kraft ge¬
treten für das Gebiet des bisherigen Norddeutschen Bundes, welches, als es im
Werden begriffen war, die öffentliche Meinung reichlich in so hohem Grade
beschäftigte, als jetzt die neueste Siegesdepesche oder die jüngste Note in einer
der ringsum brennenden Fragen: das Deutsche Strafgesetzbuch. Heute
denken die Wenigsten daran, daß sie vor kaum dreiviertel Jahren den wahren
Werth eines Abgeordneten, ja eines Menschen überhaupt, danach bemaßen, ob
er für oder gegen die Todesstrafe stimmte, gleichviel was sonst von dieser Ab¬
stimmung abhing. In der That, eine unendlich ereigniß- und folgenreiche Zeit
liegt zwischen dem Monat Mai 1870, wo der norddeutsche Reichstag das
damals nur für Norddeutschland bestimmte Strafgesetzbuch zum Abschluß
brachte, und der Gegenwart. So kann heute um Vieles unbefangener über
jenes Gesetz geurtheilt werden, als damals. Und da das bisher nur
norddeutsche Strafgesetz längstens zu Ende dieses Jahres Anwendung finden
wird in allen zum Deutschen Reiche verbündeten Staaten, so ist eine noch¬
malige Würdigung des Gesetzes in diesen Blättern wohl gerechtfertigt.

Das eine vor Allem haben ihm auch die Gegner nachgerühmt, daß es
der deutschen Rechtseinheit eine breite Gasse bahne. Das war schon aner¬
kannt, als es nur für dreißig Millionen norddeutsche Geltung haben sollte;
wieviel mehr nun, da es auch für ganz Süddeutschland und für keine viel ge¬
ringere Zahl von Quadratmeilen gemeines deutsches Recht schaffen soll, als
weiland die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karl's V. Dem Verfasser
liegen Briefe vor von den mit Recht gefeiertsten Criminalisten Deutschlands,
die geschrieben sind, als der Streit um den politischen und wissenschaftlichen
Werth des neuen Gesetzes, namentlich mit Rücksicht auf die beschlossene Bei¬
behaltung der Todesstrafe, noch große Spalten der Tageszeitungen füllte.
Aber auch diese Männer, die vor allen Anderen berufen waren, nach dem
Maße der strengen wissenschaftlichen Doctrin zu messen, und daher in der


GrmzboKn I. 187l. 11
Aas neue Strafgesetzbuch für Deutschland.

Fast unbemerkt von der großen Mehrzahl der Deutschen inmitten der
kriegerischen Gegenwart, ist mit dem Neuen Jahre ein Gesetz in Kraft ge¬
treten für das Gebiet des bisherigen Norddeutschen Bundes, welches, als es im
Werden begriffen war, die öffentliche Meinung reichlich in so hohem Grade
beschäftigte, als jetzt die neueste Siegesdepesche oder die jüngste Note in einer
der ringsum brennenden Fragen: das Deutsche Strafgesetzbuch. Heute
denken die Wenigsten daran, daß sie vor kaum dreiviertel Jahren den wahren
Werth eines Abgeordneten, ja eines Menschen überhaupt, danach bemaßen, ob
er für oder gegen die Todesstrafe stimmte, gleichviel was sonst von dieser Ab¬
stimmung abhing. In der That, eine unendlich ereigniß- und folgenreiche Zeit
liegt zwischen dem Monat Mai 1870, wo der norddeutsche Reichstag das
damals nur für Norddeutschland bestimmte Strafgesetzbuch zum Abschluß
brachte, und der Gegenwart. So kann heute um Vieles unbefangener über
jenes Gesetz geurtheilt werden, als damals. Und da das bisher nur
norddeutsche Strafgesetz längstens zu Ende dieses Jahres Anwendung finden
wird in allen zum Deutschen Reiche verbündeten Staaten, so ist eine noch¬
malige Würdigung des Gesetzes in diesen Blättern wohl gerechtfertigt.

Das eine vor Allem haben ihm auch die Gegner nachgerühmt, daß es
der deutschen Rechtseinheit eine breite Gasse bahne. Das war schon aner¬
kannt, als es nur für dreißig Millionen norddeutsche Geltung haben sollte;
wieviel mehr nun, da es auch für ganz Süddeutschland und für keine viel ge¬
ringere Zahl von Quadratmeilen gemeines deutsches Recht schaffen soll, als
weiland die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karl's V. Dem Verfasser
liegen Briefe vor von den mit Recht gefeiertsten Criminalisten Deutschlands,
die geschrieben sind, als der Streit um den politischen und wissenschaftlichen
Werth des neuen Gesetzes, namentlich mit Rücksicht auf die beschlossene Bei¬
behaltung der Todesstrafe, noch große Spalten der Tageszeitungen füllte.
Aber auch diese Männer, die vor allen Anderen berufen waren, nach dem
Maße der strengen wissenschaftlichen Doctrin zu messen, und daher in der


GrmzboKn I. 187l. 11
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[0089] Aas neue Strafgesetzbuch für Deutschland. Fast unbemerkt von der großen Mehrzahl der Deutschen inmitten der kriegerischen Gegenwart, ist mit dem Neuen Jahre ein Gesetz in Kraft ge¬ treten für das Gebiet des bisherigen Norddeutschen Bundes, welches, als es im Werden begriffen war, die öffentliche Meinung reichlich in so hohem Grade beschäftigte, als jetzt die neueste Siegesdepesche oder die jüngste Note in einer der ringsum brennenden Fragen: das Deutsche Strafgesetzbuch. Heute denken die Wenigsten daran, daß sie vor kaum dreiviertel Jahren den wahren Werth eines Abgeordneten, ja eines Menschen überhaupt, danach bemaßen, ob er für oder gegen die Todesstrafe stimmte, gleichviel was sonst von dieser Ab¬ stimmung abhing. In der That, eine unendlich ereigniß- und folgenreiche Zeit liegt zwischen dem Monat Mai 1870, wo der norddeutsche Reichstag das damals nur für Norddeutschland bestimmte Strafgesetzbuch zum Abschluß brachte, und der Gegenwart. So kann heute um Vieles unbefangener über jenes Gesetz geurtheilt werden, als damals. Und da das bisher nur norddeutsche Strafgesetz längstens zu Ende dieses Jahres Anwendung finden wird in allen zum Deutschen Reiche verbündeten Staaten, so ist eine noch¬ malige Würdigung des Gesetzes in diesen Blättern wohl gerechtfertigt. Das eine vor Allem haben ihm auch die Gegner nachgerühmt, daß es der deutschen Rechtseinheit eine breite Gasse bahne. Das war schon aner¬ kannt, als es nur für dreißig Millionen norddeutsche Geltung haben sollte; wieviel mehr nun, da es auch für ganz Süddeutschland und für keine viel ge¬ ringere Zahl von Quadratmeilen gemeines deutsches Recht schaffen soll, als weiland die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karl's V. Dem Verfasser liegen Briefe vor von den mit Recht gefeiertsten Criminalisten Deutschlands, die geschrieben sind, als der Streit um den politischen und wissenschaftlichen Werth des neuen Gesetzes, namentlich mit Rücksicht auf die beschlossene Bei¬ behaltung der Todesstrafe, noch große Spalten der Tageszeitungen füllte. Aber auch diese Männer, die vor allen Anderen berufen waren, nach dem Maße der strengen wissenschaftlichen Doctrin zu messen, und daher in der GrmzboKn I. 187l. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/89>, abgerufen am 22.07.2024.