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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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eine stärkere Dosis für nöthig erachtete, Herabsetzung auf ein Jahr-- ander¬
wärts auf 2 Jahre!), jährliche Feststellung des Militärbudgets durch den
Reichstag, Diätenzahlung und ausreichende Sorge für die Invaliden ver¬
langte. Dazu kam dann auch noch als besonderes Lockmittel für die süd¬
deutschen Wähler möglichste Erhaltung der Stammesselbstständigkeit und Ab¬
schluß eines Bündnisses mit Oesterreich. Darüber, daß das verantwortliche
Neichsministerium mit der Selbständigkeit der Einzelstaaten in directen Wi¬
derspruch stand, machte man sich keine Scrupel, so wenig als aus den Schwie¬
rigkeiten eines Bündnisses mit Oesterreich durch Vermittlung des Reichstags.
War es doch eben erst "Freund Schäffle" gelungen, mit seinem großdeutsch-
demokratischen Programm den Eintritt in ein Ministerium Habietinek-Jirecek,
die Maßregelung der Presse und die Verfolgung der deutschnationalen Be¬
strebungen in Oesterreich in Einklang zu bringen!

Der Erfolg war die gänzliche Niederlage der Partei, welche, wie in Baden
und Bayern, keinen einzigen ihrer Kandidaten durchzusetzen vermochte.

Nicht viel besser erging es den Ultramontanen. Sie verlangten in erster
Linie Aufnahme der in der preußischen Verfassung enthaltenen Bestimmungen
über die staatsrechtliche Stellung der katholischen Kirche in die deutsche Reichs¬
verfassung, sowie das Bündniß mit Oesterreich, außerdem accommodirte man sich,
um die demokratischen Wähler zu gewinnen, mehr oder weniger den 7 Punkten
des Sonnemann'schen Programms. Von 4 Wahlkreisen, in welchen diese
Partei Kandidaten aufstellte, errang sie nur in Einem, allerdings mit ihrem
Führer Probst, dem verbissensten Anhänger der Großdeutschen und ultra¬
montanen Politik, den Sieg. Probst ist vom Zollparlament her als würdiger
Genosse von Lucas und Ewald bekannt, er war es, der s. Z. dem Reichs¬
kanzler die Drohung mit der französischen Lawine in's Gesicht geschleudert,
bei dessen Geburtstagsfeier in Berlin die süddeutsche Fraction das Großher-
zogthum Baden als Brautgabe für den Südbund zwischen Württemberg und
Bayern vertheilt hatte. Auch jetzt wieder erregten seine Wahlreden durch ihre
Frömmelei und durch ihre Maßlosigkeiten gegenüber den Preußen allge¬
meines Aufsehen. So sagte er, nach den nicht widersprochmen Berichten der
Presse, in einer Wahlversammlung zu Ravensburg, Preußen habe seine Siege
in diesem Krieg nur Bayern zu verdanken, diese hätten sich am tapfersten
bewiesen, bei Gravelotte seien sie nicht dabei gewesen, deßwegen habe man dort
eine Schlappe erlitten, über welche man noch jetzt mit den Verlustangaben
zurückhalte und Aehnliches mehr! Von zwei weiteren Katholiken, welche ge¬
wählt wurden, dem Fürsten Waldb urg-Zeil und dem Kreisgerichtsrath
Streich, hat der erstere ein entschieden nationales Programm aufgestellt,
auch mit Unterstützung der nationalen Partei den Wahlkampf mit einem
ultramontanen Bewerber (Wahlkreis 16) aufgenommen; Streich dagegen galt


eine stärkere Dosis für nöthig erachtete, Herabsetzung auf ein Jahr— ander¬
wärts auf 2 Jahre!), jährliche Feststellung des Militärbudgets durch den
Reichstag, Diätenzahlung und ausreichende Sorge für die Invaliden ver¬
langte. Dazu kam dann auch noch als besonderes Lockmittel für die süd¬
deutschen Wähler möglichste Erhaltung der Stammesselbstständigkeit und Ab¬
schluß eines Bündnisses mit Oesterreich. Darüber, daß das verantwortliche
Neichsministerium mit der Selbständigkeit der Einzelstaaten in directen Wi¬
derspruch stand, machte man sich keine Scrupel, so wenig als aus den Schwie¬
rigkeiten eines Bündnisses mit Oesterreich durch Vermittlung des Reichstags.
War es doch eben erst „Freund Schäffle" gelungen, mit seinem großdeutsch-
demokratischen Programm den Eintritt in ein Ministerium Habietinek-Jirecek,
die Maßregelung der Presse und die Verfolgung der deutschnationalen Be¬
strebungen in Oesterreich in Einklang zu bringen!

Der Erfolg war die gänzliche Niederlage der Partei, welche, wie in Baden
und Bayern, keinen einzigen ihrer Kandidaten durchzusetzen vermochte.

Nicht viel besser erging es den Ultramontanen. Sie verlangten in erster
Linie Aufnahme der in der preußischen Verfassung enthaltenen Bestimmungen
über die staatsrechtliche Stellung der katholischen Kirche in die deutsche Reichs¬
verfassung, sowie das Bündniß mit Oesterreich, außerdem accommodirte man sich,
um die demokratischen Wähler zu gewinnen, mehr oder weniger den 7 Punkten
des Sonnemann'schen Programms. Von 4 Wahlkreisen, in welchen diese
Partei Kandidaten aufstellte, errang sie nur in Einem, allerdings mit ihrem
Führer Probst, dem verbissensten Anhänger der Großdeutschen und ultra¬
montanen Politik, den Sieg. Probst ist vom Zollparlament her als würdiger
Genosse von Lucas und Ewald bekannt, er war es, der s. Z. dem Reichs¬
kanzler die Drohung mit der französischen Lawine in's Gesicht geschleudert,
bei dessen Geburtstagsfeier in Berlin die süddeutsche Fraction das Großher-
zogthum Baden als Brautgabe für den Südbund zwischen Württemberg und
Bayern vertheilt hatte. Auch jetzt wieder erregten seine Wahlreden durch ihre
Frömmelei und durch ihre Maßlosigkeiten gegenüber den Preußen allge¬
meines Aufsehen. So sagte er, nach den nicht widersprochmen Berichten der
Presse, in einer Wahlversammlung zu Ravensburg, Preußen habe seine Siege
in diesem Krieg nur Bayern zu verdanken, diese hätten sich am tapfersten
bewiesen, bei Gravelotte seien sie nicht dabei gewesen, deßwegen habe man dort
eine Schlappe erlitten, über welche man noch jetzt mit den Verlustangaben
zurückhalte und Aehnliches mehr! Von zwei weiteren Katholiken, welche ge¬
wählt wurden, dem Fürsten Waldb urg-Zeil und dem Kreisgerichtsrath
Streich, hat der erstere ein entschieden nationales Programm aufgestellt,
auch mit Unterstützung der nationalen Partei den Wahlkampf mit einem
ultramontanen Bewerber (Wahlkreis 16) aufgenommen; Streich dagegen galt


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[0521] eine stärkere Dosis für nöthig erachtete, Herabsetzung auf ein Jahr— ander¬ wärts auf 2 Jahre!), jährliche Feststellung des Militärbudgets durch den Reichstag, Diätenzahlung und ausreichende Sorge für die Invaliden ver¬ langte. Dazu kam dann auch noch als besonderes Lockmittel für die süd¬ deutschen Wähler möglichste Erhaltung der Stammesselbstständigkeit und Ab¬ schluß eines Bündnisses mit Oesterreich. Darüber, daß das verantwortliche Neichsministerium mit der Selbständigkeit der Einzelstaaten in directen Wi¬ derspruch stand, machte man sich keine Scrupel, so wenig als aus den Schwie¬ rigkeiten eines Bündnisses mit Oesterreich durch Vermittlung des Reichstags. War es doch eben erst „Freund Schäffle" gelungen, mit seinem großdeutsch- demokratischen Programm den Eintritt in ein Ministerium Habietinek-Jirecek, die Maßregelung der Presse und die Verfolgung der deutschnationalen Be¬ strebungen in Oesterreich in Einklang zu bringen! Der Erfolg war die gänzliche Niederlage der Partei, welche, wie in Baden und Bayern, keinen einzigen ihrer Kandidaten durchzusetzen vermochte. Nicht viel besser erging es den Ultramontanen. Sie verlangten in erster Linie Aufnahme der in der preußischen Verfassung enthaltenen Bestimmungen über die staatsrechtliche Stellung der katholischen Kirche in die deutsche Reichs¬ verfassung, sowie das Bündniß mit Oesterreich, außerdem accommodirte man sich, um die demokratischen Wähler zu gewinnen, mehr oder weniger den 7 Punkten des Sonnemann'schen Programms. Von 4 Wahlkreisen, in welchen diese Partei Kandidaten aufstellte, errang sie nur in Einem, allerdings mit ihrem Führer Probst, dem verbissensten Anhänger der Großdeutschen und ultra¬ montanen Politik, den Sieg. Probst ist vom Zollparlament her als würdiger Genosse von Lucas und Ewald bekannt, er war es, der s. Z. dem Reichs¬ kanzler die Drohung mit der französischen Lawine in's Gesicht geschleudert, bei dessen Geburtstagsfeier in Berlin die süddeutsche Fraction das Großher- zogthum Baden als Brautgabe für den Südbund zwischen Württemberg und Bayern vertheilt hatte. Auch jetzt wieder erregten seine Wahlreden durch ihre Frömmelei und durch ihre Maßlosigkeiten gegenüber den Preußen allge¬ meines Aufsehen. So sagte er, nach den nicht widersprochmen Berichten der Presse, in einer Wahlversammlung zu Ravensburg, Preußen habe seine Siege in diesem Krieg nur Bayern zu verdanken, diese hätten sich am tapfersten bewiesen, bei Gravelotte seien sie nicht dabei gewesen, deßwegen habe man dort eine Schlappe erlitten, über welche man noch jetzt mit den Verlustangaben zurückhalte und Aehnliches mehr! Von zwei weiteren Katholiken, welche ge¬ wählt wurden, dem Fürsten Waldb urg-Zeil und dem Kreisgerichtsrath Streich, hat der erstere ein entschieden nationales Programm aufgestellt, auch mit Unterstützung der nationalen Partei den Wahlkampf mit einem ultramontanen Bewerber (Wahlkreis 16) aufgenommen; Streich dagegen galt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/521>, abgerufen am 23.07.2024.