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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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ten, als nehmen auch sie an dein "Wettlauf nach Berlin" Antheil, Es blie¬
ben somit für den Wahlkampf nur die großdeutsch-demokratische und die ultra¬
montane Partei übrig.

Die erstere, welche seit sedem in ihren Preßorganen, der Frankfurter
Zeitung und dem -- übrigens seit einem halben Jahr nur noch von den -
Abfällen anderer Blätter lebenden -- Stuttgarter Beobachter offen für die
französische Republik Partei nahm, die deutsche Armee als eine Bande von
Räubern und Mordbrennern charakterisirte und durch weinerliche Klagen über
die diesseitigen Verluste, so wie durch Verkleinerung der deutschen Erfolge den
nationalen Aufschwung abzuschwächen suchte, mußte seit der Auferstehung des
Reichs die Wahrnehmung machen, daß ihr treuester Allurter seit 1866, die
Ultramontanen, einer gemeinsamen Losung folgend, ihr plötzlich den Rücken
kehrten, um im deutschen Reich selbständige Politik zu treiben. Damit war
die vollständige Vernichtung der demokratischen Partei besiegelt, und, wenn es
eines solchen noch bedürfte, der Beweis geliefert, daß alle scheinbaren Resul¬
tate, welche diese Partei des fanatischen Preußenhasses unter der thatsächlichen
Leitung von C. Mayer, Schäffle und Sonnemann in den letzten Jahren bei
uns errungen hatte, einzig dem Zusammenwirken der Ultramontanen und der
konservativen Particularisten zu verdanken waren. Auf der Landesversamm¬
lung der Volkspartei am ü. Februar fand denn auch die allenthalben herr¬
schende Verzweiflung an der Zukunft ihren Ausdruck. C. Mayer plaidirte für
Wahlenthaltung, um bei der offenbaren Aussichtslosigkeit des demokratischen
Kandidaten nicht durch die Theilnahme an der Wahl den neuen Rechtszustand,
"die Verpreußung," anzuerkennen; ein anderer Theil unter der Führung von
Walesrode, und den Weisungen der Frankfurter Demokratie folgend, erkannte
die Nutzlosigkeit der ferneren Jsolirung der süddeutschen Volkspartei, und
sprach für den Eintritt in den Wahlkampf in der Hoffnung, sich künftighin
außer mit den Jacobiten auch mit der Fortschrittspartei des Nordens, welche
der "Beobachter" bisher als sclavische Anbeter der "Machtpolitik" verachtet
hatte, in Verbindung zu treten. Man vereinigte sich schließlich, wie zur Zeit
der Zollparlamentswahl, auf den Ausweg, sich als Partei der Wahl zu
enthalten, den einzelnen Parteigenossen aber zu überlassen, etwa auftretenden
demokratischen oder großdeutschen Candidaten ihre Stimmen zu geben.

Die vereinigten Großdeutschen und Demokraten stellten auch wirklich in
L Wahlbezirken Bewerber, darunter die aus dem Zollparlament bekannten
Auermüller, Mohl und Tafel, auf. Sie bekannten sich sämmtlich zu dem von
den Frankfurter Parteigenossen festgestellten Programm, welches in 7 Ziffern:
Aufnahme der Grundrechte in die Reichsverfassung, ein verantwortliches
Reichsministerium, Mitentscheidung des Reichstags über Krieg und Frieden,
Herabsetzung der Präsenzzeit (für Württemberg, wo man zu Agitativnszwecken


ten, als nehmen auch sie an dein „Wettlauf nach Berlin" Antheil, Es blie¬
ben somit für den Wahlkampf nur die großdeutsch-demokratische und die ultra¬
montane Partei übrig.

Die erstere, welche seit sedem in ihren Preßorganen, der Frankfurter
Zeitung und dem — übrigens seit einem halben Jahr nur noch von den -
Abfällen anderer Blätter lebenden — Stuttgarter Beobachter offen für die
französische Republik Partei nahm, die deutsche Armee als eine Bande von
Räubern und Mordbrennern charakterisirte und durch weinerliche Klagen über
die diesseitigen Verluste, so wie durch Verkleinerung der deutschen Erfolge den
nationalen Aufschwung abzuschwächen suchte, mußte seit der Auferstehung des
Reichs die Wahrnehmung machen, daß ihr treuester Allurter seit 1866, die
Ultramontanen, einer gemeinsamen Losung folgend, ihr plötzlich den Rücken
kehrten, um im deutschen Reich selbständige Politik zu treiben. Damit war
die vollständige Vernichtung der demokratischen Partei besiegelt, und, wenn es
eines solchen noch bedürfte, der Beweis geliefert, daß alle scheinbaren Resul¬
tate, welche diese Partei des fanatischen Preußenhasses unter der thatsächlichen
Leitung von C. Mayer, Schäffle und Sonnemann in den letzten Jahren bei
uns errungen hatte, einzig dem Zusammenwirken der Ultramontanen und der
konservativen Particularisten zu verdanken waren. Auf der Landesversamm¬
lung der Volkspartei am ü. Februar fand denn auch die allenthalben herr¬
schende Verzweiflung an der Zukunft ihren Ausdruck. C. Mayer plaidirte für
Wahlenthaltung, um bei der offenbaren Aussichtslosigkeit des demokratischen
Kandidaten nicht durch die Theilnahme an der Wahl den neuen Rechtszustand,
„die Verpreußung," anzuerkennen; ein anderer Theil unter der Führung von
Walesrode, und den Weisungen der Frankfurter Demokratie folgend, erkannte
die Nutzlosigkeit der ferneren Jsolirung der süddeutschen Volkspartei, und
sprach für den Eintritt in den Wahlkampf in der Hoffnung, sich künftighin
außer mit den Jacobiten auch mit der Fortschrittspartei des Nordens, welche
der „Beobachter" bisher als sclavische Anbeter der „Machtpolitik" verachtet
hatte, in Verbindung zu treten. Man vereinigte sich schließlich, wie zur Zeit
der Zollparlamentswahl, auf den Ausweg, sich als Partei der Wahl zu
enthalten, den einzelnen Parteigenossen aber zu überlassen, etwa auftretenden
demokratischen oder großdeutschen Candidaten ihre Stimmen zu geben.

Die vereinigten Großdeutschen und Demokraten stellten auch wirklich in
L Wahlbezirken Bewerber, darunter die aus dem Zollparlament bekannten
Auermüller, Mohl und Tafel, auf. Sie bekannten sich sämmtlich zu dem von
den Frankfurter Parteigenossen festgestellten Programm, welches in 7 Ziffern:
Aufnahme der Grundrechte in die Reichsverfassung, ein verantwortliches
Reichsministerium, Mitentscheidung des Reichstags über Krieg und Frieden,
Herabsetzung der Präsenzzeit (für Württemberg, wo man zu Agitativnszwecken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/520>, abgerufen am 23.07.2024.