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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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auf Seiten Oestreichs. So großartige Systemwechsel sind nicht die Folge
kleinlicher Aeußerlichkeiten; eine spöttelnde Bemerkung über Madame de Pom-
padour bringt dergleichen nicht zu Wege. Das sind Strömungen, die in der
Luft liegen, tiefe geheimnißvolle Jnstincte: es ist als wären die französischen
Staatsmänner angeweht worden von einer Ahnung des Geistes von 1813
und 70, und daß auch ihre Kriegsmänner einen Vorschmack dieser Zeit er¬
hielten, dafür haben gesorgt Roßbach und Minden.

Ihren eclatantesten Ausdruck fand die Verbindung Oestreichs und
Frankreichs in der Vermählung Maria Antoinettes mit dem Dauphin, durch
welche die Schwester Kaiser Leopolds ebenso in den Strudel französischer
Revolution gezogen wurde, wie einst Gerberga, die Schwester Otto's des
Großen. Doch nicht Oestreich, sondern Preußen trat in erster Linie als
Vorkämpfer des legitimen Königthums in die Schranken. Zu einer Zeit, als
Friedrich Wilhelm schon fest entschlossen war, das Schwert zu ziehn, hoffte
der Kaiser noch immer auf die versöhnende Wirkung eines europäischen Con-
gresses. Aber die fanatisch erregten Franzosen erklärten Jeden der Ihrigen,
der an einem solchen Kongresse theilnehmen würde, für "ehrlos" und sandten
150,000 Mann an die Grenze. Ohne diesen Druck von französischer Seite
wäre das Bündniß zwischen Oestreich und Preußen vielleicht nie zu Stande
gekommen; denn die Collision der Interessen beider Staaten, namentlich in
der polnischen Frage, war so tief greifend, daß an ihr und aus dem ihr
entspringenden Mißtrauen auch die abgeschlossene Allianz später fortwährend
krankte. Am 20. April 1792 wurde Ludwig XVI. in der Nationalversamm¬
lung genöthigt, einen Antrag einzubringen, an König Franz von Ungarn
und Böhmen den Krieg zu erklären; und ohne Debatte mit brausender Accla-
mation erhob die stürmische Versammlung den mit thränenerstickter Stimme
ausgesprochenen Antrag zum Beschluß. So ging die Kriegserklärung, wenig¬
stens die an Oestreich, nicht von Deutschland, sondern von Frankreich aus,
wenn auch zugegeben werden muß, daß die drohende Haltung der deutschen
Monarchien den Anlaß gab.

Auf französischer Seite debütirte Dumouriez mit einem Versuch auf die
östreichischen Niederlande, der freilich in geradezu scandalöser Art scheiterte.
Dieser Mißerfolg steigerte die Hoffnungen der Emigranten und die Illusionen
der deutschen Kriegspartei, und so beschloß man denn im Mai zu Sanssouci
den Angriff. Herzog Ferdinand von Braunschweig, der so allgemein für den
ausgezeichnetsten Feldherrn seiner Zeit galt, daß französische Factionen sogar
den abenteuerlichen Gedanken gehegt, ihn an die Spitze ihrer Heere zu
stellen, wurde mit dem Oberbefehl betraut. Er war dem Kriege abgeneigt
und glaubte namentlich den prahlerischer Versprechungen der Emigranten in
keiner Weise. Wenn jedoch einmal angegriffen werden sollte, so mußte es.


auf Seiten Oestreichs. So großartige Systemwechsel sind nicht die Folge
kleinlicher Aeußerlichkeiten; eine spöttelnde Bemerkung über Madame de Pom-
padour bringt dergleichen nicht zu Wege. Das sind Strömungen, die in der
Luft liegen, tiefe geheimnißvolle Jnstincte: es ist als wären die französischen
Staatsmänner angeweht worden von einer Ahnung des Geistes von 1813
und 70, und daß auch ihre Kriegsmänner einen Vorschmack dieser Zeit er¬
hielten, dafür haben gesorgt Roßbach und Minden.

Ihren eclatantesten Ausdruck fand die Verbindung Oestreichs und
Frankreichs in der Vermählung Maria Antoinettes mit dem Dauphin, durch
welche die Schwester Kaiser Leopolds ebenso in den Strudel französischer
Revolution gezogen wurde, wie einst Gerberga, die Schwester Otto's des
Großen. Doch nicht Oestreich, sondern Preußen trat in erster Linie als
Vorkämpfer des legitimen Königthums in die Schranken. Zu einer Zeit, als
Friedrich Wilhelm schon fest entschlossen war, das Schwert zu ziehn, hoffte
der Kaiser noch immer auf die versöhnende Wirkung eines europäischen Con-
gresses. Aber die fanatisch erregten Franzosen erklärten Jeden der Ihrigen,
der an einem solchen Kongresse theilnehmen würde, für „ehrlos" und sandten
150,000 Mann an die Grenze. Ohne diesen Druck von französischer Seite
wäre das Bündniß zwischen Oestreich und Preußen vielleicht nie zu Stande
gekommen; denn die Collision der Interessen beider Staaten, namentlich in
der polnischen Frage, war so tief greifend, daß an ihr und aus dem ihr
entspringenden Mißtrauen auch die abgeschlossene Allianz später fortwährend
krankte. Am 20. April 1792 wurde Ludwig XVI. in der Nationalversamm¬
lung genöthigt, einen Antrag einzubringen, an König Franz von Ungarn
und Böhmen den Krieg zu erklären; und ohne Debatte mit brausender Accla-
mation erhob die stürmische Versammlung den mit thränenerstickter Stimme
ausgesprochenen Antrag zum Beschluß. So ging die Kriegserklärung, wenig¬
stens die an Oestreich, nicht von Deutschland, sondern von Frankreich aus,
wenn auch zugegeben werden muß, daß die drohende Haltung der deutschen
Monarchien den Anlaß gab.

Auf französischer Seite debütirte Dumouriez mit einem Versuch auf die
östreichischen Niederlande, der freilich in geradezu scandalöser Art scheiterte.
Dieser Mißerfolg steigerte die Hoffnungen der Emigranten und die Illusionen
der deutschen Kriegspartei, und so beschloß man denn im Mai zu Sanssouci
den Angriff. Herzog Ferdinand von Braunschweig, der so allgemein für den
ausgezeichnetsten Feldherrn seiner Zeit galt, daß französische Factionen sogar
den abenteuerlichen Gedanken gehegt, ihn an die Spitze ihrer Heere zu
stellen, wurde mit dem Oberbefehl betraut. Er war dem Kriege abgeneigt
und glaubte namentlich den prahlerischer Versprechungen der Emigranten in
keiner Weise. Wenn jedoch einmal angegriffen werden sollte, so mußte es.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/497>, abgerufen am 23.07.2024.