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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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pariser IMscretionen.
ii.

Wenn aber Victor Noir dem Publieum seine fünfzig Centimesstücke aus
der Tasche lockte, so war er doch nur ein elender Stümper gegen andere Char-
latane ähnlicher Art, die sich freilich nicht blos auf die Ausnutzung des Pariser
Asphalts beschränkten, sondern in kosmopolitischer Weise ihre Wünschel¬
ruthe spielen ließen, um besonders auf dem Territorium der hohen Politik
Schätze zu heben. Einer der vollkommensten Typen dieser Stegreifritter war
Herr Pierre Baragnon, der langjährige Chefredacteur des Journal de
Constantin ople, der im Orient gelernt hatte, die Theorie des Backschisch
in ein geordnetes System zu bringen und in allen Tonarten zu singen oder,
wie der Franzose sich klassisch ausdrückt, singen zu machen (tairs c-Kautsr).
Solch ein Maitre Chanteur auf hochpolitischem Felde war also der nach
Paris zurückgekehrte Mann aus Konstantinopel, der bald in die Redaction
der " P resse" eintrat, nachdem Miros dies Blatt übernommen. Mirös und
Baragnon waren wie geschaffen, einander zu verstehen, und so war es ganz
natürlich, daß der Letztere sofort vom großen Finanzkünstler für die Specialität
der "Canards" engagirt wurde. Das ihm zugefallene Rollenfach füllte der
also Berufene mit größter Virtuosität aus und es gab gegen den Is. oder I.
jedes Monats keine noch so hirnverbrannte diplomatische und extradiplomatische
Combination, die nicht von Ehren - Baragnon zu Nutz und Frommen der Börsen-
speeulation in mehr oder minder stäatsweiser Einkleidung in der "Presse"
veröffentlicht worden wäre. Noch während Herr Baragnon dieses edlen und
nicht gewinnlosen Waidwerkes pflog, kam er in die Kreise der speciell hannö-
verschen und dessen-kasselschen Patrioten und da er damals gleichzeitig eine
antibonapartistische Ansicht zur Schau trug, mithin Parteien diente, welche
nur bet einem Umschwunge der Dinge etwas zu gewinnen hatten, so kam es
bald, daß seine kühnen politischen Erfindungen nicht mehr die Börse allein
zur Boussole hatten, sondern für einen politisch-bestimmten Plan eigens be¬
rechnet waren: den Krieg zwischen Frankreich und Preußen.

Wie es der Ehrenmann nun angestellt, für die unterschiedlichen Publi¬
cationen, die er zu diesem Zwecke ins Leben rief, sich die nöthigen Mittel zu


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pariser IMscretionen.
ii.

Wenn aber Victor Noir dem Publieum seine fünfzig Centimesstücke aus
der Tasche lockte, so war er doch nur ein elender Stümper gegen andere Char-
latane ähnlicher Art, die sich freilich nicht blos auf die Ausnutzung des Pariser
Asphalts beschränkten, sondern in kosmopolitischer Weise ihre Wünschel¬
ruthe spielen ließen, um besonders auf dem Territorium der hohen Politik
Schätze zu heben. Einer der vollkommensten Typen dieser Stegreifritter war
Herr Pierre Baragnon, der langjährige Chefredacteur des Journal de
Constantin ople, der im Orient gelernt hatte, die Theorie des Backschisch
in ein geordnetes System zu bringen und in allen Tonarten zu singen oder,
wie der Franzose sich klassisch ausdrückt, singen zu machen (tairs c-Kautsr).
Solch ein Maitre Chanteur auf hochpolitischem Felde war also der nach
Paris zurückgekehrte Mann aus Konstantinopel, der bald in die Redaction
der „ P resse" eintrat, nachdem Miros dies Blatt übernommen. Mirös und
Baragnon waren wie geschaffen, einander zu verstehen, und so war es ganz
natürlich, daß der Letztere sofort vom großen Finanzkünstler für die Specialität
der „Canards" engagirt wurde. Das ihm zugefallene Rollenfach füllte der
also Berufene mit größter Virtuosität aus und es gab gegen den Is. oder I.
jedes Monats keine noch so hirnverbrannte diplomatische und extradiplomatische
Combination, die nicht von Ehren - Baragnon zu Nutz und Frommen der Börsen-
speeulation in mehr oder minder stäatsweiser Einkleidung in der „Presse"
veröffentlicht worden wäre. Noch während Herr Baragnon dieses edlen und
nicht gewinnlosen Waidwerkes pflog, kam er in die Kreise der speciell hannö-
verschen und dessen-kasselschen Patrioten und da er damals gleichzeitig eine
antibonapartistische Ansicht zur Schau trug, mithin Parteien diente, welche
nur bet einem Umschwunge der Dinge etwas zu gewinnen hatten, so kam es
bald, daß seine kühnen politischen Erfindungen nicht mehr die Börse allein
zur Boussole hatten, sondern für einen politisch-bestimmten Plan eigens be¬
rechnet waren: den Krieg zwischen Frankreich und Preußen.

Wie es der Ehrenmann nun angestellt, für die unterschiedlichen Publi¬
cationen, die er zu diesem Zwecke ins Leben rief, sich die nöthigen Mittel zu


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[0049] pariser IMscretionen. ii. Wenn aber Victor Noir dem Publieum seine fünfzig Centimesstücke aus der Tasche lockte, so war er doch nur ein elender Stümper gegen andere Char- latane ähnlicher Art, die sich freilich nicht blos auf die Ausnutzung des Pariser Asphalts beschränkten, sondern in kosmopolitischer Weise ihre Wünschel¬ ruthe spielen ließen, um besonders auf dem Territorium der hohen Politik Schätze zu heben. Einer der vollkommensten Typen dieser Stegreifritter war Herr Pierre Baragnon, der langjährige Chefredacteur des Journal de Constantin ople, der im Orient gelernt hatte, die Theorie des Backschisch in ein geordnetes System zu bringen und in allen Tonarten zu singen oder, wie der Franzose sich klassisch ausdrückt, singen zu machen (tairs c-Kautsr). Solch ein Maitre Chanteur auf hochpolitischem Felde war also der nach Paris zurückgekehrte Mann aus Konstantinopel, der bald in die Redaction der „ P resse" eintrat, nachdem Miros dies Blatt übernommen. Mirös und Baragnon waren wie geschaffen, einander zu verstehen, und so war es ganz natürlich, daß der Letztere sofort vom großen Finanzkünstler für die Specialität der „Canards" engagirt wurde. Das ihm zugefallene Rollenfach füllte der also Berufene mit größter Virtuosität aus und es gab gegen den Is. oder I. jedes Monats keine noch so hirnverbrannte diplomatische und extradiplomatische Combination, die nicht von Ehren - Baragnon zu Nutz und Frommen der Börsen- speeulation in mehr oder minder stäatsweiser Einkleidung in der „Presse" veröffentlicht worden wäre. Noch während Herr Baragnon dieses edlen und nicht gewinnlosen Waidwerkes pflog, kam er in die Kreise der speciell hannö- verschen und dessen-kasselschen Patrioten und da er damals gleichzeitig eine antibonapartistische Ansicht zur Schau trug, mithin Parteien diente, welche nur bet einem Umschwunge der Dinge etwas zu gewinnen hatten, so kam es bald, daß seine kühnen politischen Erfindungen nicht mehr die Börse allein zur Boussole hatten, sondern für einen politisch-bestimmten Plan eigens be¬ rechnet waren: den Krieg zwischen Frankreich und Preußen. Wie es der Ehrenmann nun angestellt, für die unterschiedlichen Publi¬ cationen, die er zu diesem Zwecke ins Leben rief, sich die nöthigen Mittel zu GmiMen i. 187>. v

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/49>, abgerufen am 22.07.2024.