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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Leute ganz toll geworden und die Sänger faseln von nichts Andrem als
Recitativen, Andante's und Allegro's :c. Dies ist denn auch dem Braham
in den Kopf gestiegen und er bettelt um eine große Scene statt seiner ersten
Arie, die allerdings etwas hoch ist. Erst war mir der Gedanke ganz fatal
und ich wollte nichts davon hören. Endlich versprach ich, wenn die Oper
fertig sei, und mir so viel Zeit übrig bliebe, wolle ich's thun. Nun habe
ich also diese große Scene, ein Schlachtengemälde und was weiß ich alles,
vor mir liegen und gehe mit dem größten Widerwillen daran. Was ist aber
zu thun? Braham kennt sein Publicum und ist der Abgott desselben. Ich
muß dem Erfolg zu Liebe überhaupt ein Stück Arbeit mehr nicht scheuen --
also -- frisch hineingebissen in den sauren Apfel. Und die erste Arie hab'
ich so lieb! -- für Deutschland lasse ich alles, wie es ist, denn ich hasse die
Arie im Voraus, die ich -- hoffentlich heute noch -- machen werde. -- So!
nun habe ich dir auch mein Leiden geklagt; -- will mir auch ein Herz fassen
und gleich dran gehn! Also Ade für jetzt! Ich gehe in die Schlacht!" --
Noch am Bormittage schreibt er wieder: "-- Nun! Die Schlacht ist zu Ende,
d. h. die Hälfte der Scene. Nachmittag hoffe ich noch, die Türkinnen jammern,
die Französinnen jubeln und die Krieger Victoria schreien zu lassen."

3) Aus eigner wie fremder Sphäre von W. zum Oberon Benutztes
liegt Mehreres vor, das zu interessanten Betrachtungen Veranlassung gibt.
Das namentlich, was fremder Abstammung ist, stellt hier, wie nirgends
sonst wo, W.'s geniale Aneignungs- und Umbildungsweise in das hellste
Licht. Von dem ihm eigens Zugehörigen zuerst. -- Bei Composition
des Schlußchors seines Oberon griff er sehr weit, in das Jahr 1801, zurück.
Die Tacte S bis 32 -- also die Stelle von "Heil dem Helden" bis "Mähr'
soll erblühn" (2tes Mal) finden sich in den ersten 20 Tacten des Schlußchors
"Vivace" seiner Jugendoper Peter Schmolk j4801j vor, und zwar ganz
unverändert, für Oberon nur reicher instrumentirt. Wer ahnt wohl bei die¬
sem glänzenden Musikstücke, daß dessen wesentlichsten Theil die Hand eines
kaum ISjährigen Jünglings schrieb? -- Der prachtvolle Marsch des 3. Fi¬
nales, wie die im Clavier-Auszuge fehlende kurze 9 L im Oberon verdan¬
ken schon einer späteren Zeit ihre Entstehung. W. componirte Beides -- den
Marsch zum größesten Theile -- 1818 zu E. Gehe's Trauerspiel "Heinrich
IV." -- Die reizende N. 21 im Oberon, Chor und Ballet mit Huon "Für
dich hat Schönheit", ist dagegen entnommen der großen italienischen Fest-
cantate "I/^eeogliLv/ii" in der sie sich als N. 6 ursprünglich, und zwar ganz
unverändert, vorfindet; nur 24 Tacte mit neuem Inhalte 'und Huon's Zwi¬
schensätze sind hinzugekommen. -- Aber noch einmal wendete W. sich dieser
Cantate zu. Die reizende Cabaletta Rezia's in Tact 37 bis 47 des Isten
Finales zum Chor der Haremswächter im Hintergrunde der Scene "Seele,


Leute ganz toll geworden und die Sänger faseln von nichts Andrem als
Recitativen, Andante's und Allegro's :c. Dies ist denn auch dem Braham
in den Kopf gestiegen und er bettelt um eine große Scene statt seiner ersten
Arie, die allerdings etwas hoch ist. Erst war mir der Gedanke ganz fatal
und ich wollte nichts davon hören. Endlich versprach ich, wenn die Oper
fertig sei, und mir so viel Zeit übrig bliebe, wolle ich's thun. Nun habe
ich also diese große Scene, ein Schlachtengemälde und was weiß ich alles,
vor mir liegen und gehe mit dem größten Widerwillen daran. Was ist aber
zu thun? Braham kennt sein Publicum und ist der Abgott desselben. Ich
muß dem Erfolg zu Liebe überhaupt ein Stück Arbeit mehr nicht scheuen —
also — frisch hineingebissen in den sauren Apfel. Und die erste Arie hab'
ich so lieb! — für Deutschland lasse ich alles, wie es ist, denn ich hasse die
Arie im Voraus, die ich — hoffentlich heute noch — machen werde. — So!
nun habe ich dir auch mein Leiden geklagt; — will mir auch ein Herz fassen
und gleich dran gehn! Also Ade für jetzt! Ich gehe in die Schlacht!" —
Noch am Bormittage schreibt er wieder: „— Nun! Die Schlacht ist zu Ende,
d. h. die Hälfte der Scene. Nachmittag hoffe ich noch, die Türkinnen jammern,
die Französinnen jubeln und die Krieger Victoria schreien zu lassen."

3) Aus eigner wie fremder Sphäre von W. zum Oberon Benutztes
liegt Mehreres vor, das zu interessanten Betrachtungen Veranlassung gibt.
Das namentlich, was fremder Abstammung ist, stellt hier, wie nirgends
sonst wo, W.'s geniale Aneignungs- und Umbildungsweise in das hellste
Licht. Von dem ihm eigens Zugehörigen zuerst. — Bei Composition
des Schlußchors seines Oberon griff er sehr weit, in das Jahr 1801, zurück.
Die Tacte S bis 32 — also die Stelle von „Heil dem Helden" bis „Mähr'
soll erblühn" (2tes Mal) finden sich in den ersten 20 Tacten des Schlußchors
„Vivace" seiner Jugendoper Peter Schmolk j4801j vor, und zwar ganz
unverändert, für Oberon nur reicher instrumentirt. Wer ahnt wohl bei die¬
sem glänzenden Musikstücke, daß dessen wesentlichsten Theil die Hand eines
kaum ISjährigen Jünglings schrieb? — Der prachtvolle Marsch des 3. Fi¬
nales, wie die im Clavier-Auszuge fehlende kurze 9 L im Oberon verdan¬
ken schon einer späteren Zeit ihre Entstehung. W. componirte Beides — den
Marsch zum größesten Theile — 1818 zu E. Gehe's Trauerspiel „Heinrich
IV." — Die reizende N. 21 im Oberon, Chor und Ballet mit Huon „Für
dich hat Schönheit", ist dagegen entnommen der großen italienischen Fest-
cantate „I/^eeogliLv/ii" in der sie sich als N. 6 ursprünglich, und zwar ganz
unverändert, vorfindet; nur 24 Tacte mit neuem Inhalte 'und Huon's Zwi¬
schensätze sind hinzugekommen. — Aber noch einmal wendete W. sich dieser
Cantate zu. Die reizende Cabaletta Rezia's in Tact 37 bis 47 des Isten
Finales zum Chor der Haremswächter im Hintergrunde der Scene „Seele,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/476>, abgerufen am 23.07.2024.