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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Maske eines "Rächers der Freiheit Germaniens" und in unnatürlichem Doppel-
bündniß mit dem türkischen Sultan und den Fürsten des Reichs.*)

Es darf Karl V. nicht vergessen werden, daß er, sobald als nur mög¬
lich, einen ernsten Versuch machte zur Wiedergewinnung von Metz. -- Vom
20. October 1552 bis Anfang nächsten Jahres hat das kaiserliche Heer die
siebenthorige Stadt belagert, also gerade 70 Tage, d. h. genau eben so lange
wie im vorigen Jahre Prinz Friedrich Karl's Armee. Wie dieß Mal, so
richtete auch damals ganz Europa das Auge auf die gewaltige Belagerung;
aber keine Capitulation krönte den Kampf. Bewunderungswürdig wurde Metz
von Franz von Guise, einem lothringischen Prinzen vertheidigt. Uneinnehmbar
erwiesen sich Citadelle und Guisenschanze; die reißenden Ströme, welche die
Stadtmauern bespülen, schwollen an durch unaufhörlichen Regen und traten
weit über ihre Ufer; die Zufuhr zum kaiserlichen Heer gerieth in's Stocken;
die Kälte dauerte fort, pestartige Krankheiten brachen im Lager aus; kurz
die Energie und Umsicht der Vertheidigung im Bunde mit Witterung. Mangel
und Elend zwangen endlich Karl V., die Belagerung aufzuheben.


Die Metz und die Magd

Haben dem Kaiser den Tanz versagt.


Seitdem war Metz dem deutschen Reich verloren.

Mancherlei Anläufe sind gemacht worden, um "die Stifts. Fürstenthum
und Städte, so dem Reich gehörig und in der Krone Frankreich Gewalt"
wieder zu erlangen; alle verstiegen sich jedoch nicht höher als zu papierener
Reichstagsgutachten; Frankreich dagegen trieb die Dreistigkeit so weit, daß
es versuchte, durch die protestantischen Fürsten seinen Karl IX. auf den Kaiser¬
thron zu heben. An der Handlangerschaft König Karls bei der Bluthochzeit
in der Bartholomäusnacht scheiterte indessen dieser Plan, und die Hugenotten¬
kriege zwangen Frankreich für einige Zeit zur Enthaltung von großer Politik.
Doch schon Heinrich IV. geberdete sich wieder als "Beschützer deutscher Frei¬
heit" und trachtete abermals nach der Krone des heiligen Reichs, und mit
voller Entschiedenheit nahm Frankreich seine räuberischen Anschläge bei dem
Ausbruch des dreißigjährigen Krieges wieder auf. Dieselbe Macht, welche
daheim vor keiner Grausamkeit gegen die "Ketzer" zurückgeschaudert ist, be¬
nahm sich in Deutschland als Verbündete der protestantischen Stände und
des Schwedenkönigs; denn die Parteiung und Ohnmacht des Reiches zu er¬
halten, das war das oberste Gesetz der französischen Staatskunst.



") Ja einem offenen Sendschreiben an die Deutschen, an dessen Spitze über zwei Schwer¬
tern ein Freiheitshut und das Wort "I.iboi'tÄs" prangte, bezeugte er vor Gott dem Allmächti¬
gen, daß er aus diesem mühseligen und schweren Vorhaben, großen Unkosten und Gefahr für
seine eigene Person keinen andern Nutzen und Gewinn suche, als aus freiem "königlichen Ge¬
müthe der deutschen Nation die Freiheit zu bringen."

Maske eines „Rächers der Freiheit Germaniens" und in unnatürlichem Doppel-
bündniß mit dem türkischen Sultan und den Fürsten des Reichs.*)

Es darf Karl V. nicht vergessen werden, daß er, sobald als nur mög¬
lich, einen ernsten Versuch machte zur Wiedergewinnung von Metz. — Vom
20. October 1552 bis Anfang nächsten Jahres hat das kaiserliche Heer die
siebenthorige Stadt belagert, also gerade 70 Tage, d. h. genau eben so lange
wie im vorigen Jahre Prinz Friedrich Karl's Armee. Wie dieß Mal, so
richtete auch damals ganz Europa das Auge auf die gewaltige Belagerung;
aber keine Capitulation krönte den Kampf. Bewunderungswürdig wurde Metz
von Franz von Guise, einem lothringischen Prinzen vertheidigt. Uneinnehmbar
erwiesen sich Citadelle und Guisenschanze; die reißenden Ströme, welche die
Stadtmauern bespülen, schwollen an durch unaufhörlichen Regen und traten
weit über ihre Ufer; die Zufuhr zum kaiserlichen Heer gerieth in's Stocken;
die Kälte dauerte fort, pestartige Krankheiten brachen im Lager aus; kurz
die Energie und Umsicht der Vertheidigung im Bunde mit Witterung. Mangel
und Elend zwangen endlich Karl V., die Belagerung aufzuheben.


Die Metz und die Magd

Haben dem Kaiser den Tanz versagt.


Seitdem war Metz dem deutschen Reich verloren.

Mancherlei Anläufe sind gemacht worden, um „die Stifts. Fürstenthum
und Städte, so dem Reich gehörig und in der Krone Frankreich Gewalt"
wieder zu erlangen; alle verstiegen sich jedoch nicht höher als zu papierener
Reichstagsgutachten; Frankreich dagegen trieb die Dreistigkeit so weit, daß
es versuchte, durch die protestantischen Fürsten seinen Karl IX. auf den Kaiser¬
thron zu heben. An der Handlangerschaft König Karls bei der Bluthochzeit
in der Bartholomäusnacht scheiterte indessen dieser Plan, und die Hugenotten¬
kriege zwangen Frankreich für einige Zeit zur Enthaltung von großer Politik.
Doch schon Heinrich IV. geberdete sich wieder als „Beschützer deutscher Frei¬
heit" und trachtete abermals nach der Krone des heiligen Reichs, und mit
voller Entschiedenheit nahm Frankreich seine räuberischen Anschläge bei dem
Ausbruch des dreißigjährigen Krieges wieder auf. Dieselbe Macht, welche
daheim vor keiner Grausamkeit gegen die „Ketzer" zurückgeschaudert ist, be¬
nahm sich in Deutschland als Verbündete der protestantischen Stände und
des Schwedenkönigs; denn die Parteiung und Ohnmacht des Reiches zu er¬
halten, das war das oberste Gesetz der französischen Staatskunst.



") Ja einem offenen Sendschreiben an die Deutschen, an dessen Spitze über zwei Schwer¬
tern ein Freiheitshut und das Wort „I.iboi'tÄs" prangte, bezeugte er vor Gott dem Allmächti¬
gen, daß er aus diesem mühseligen und schweren Vorhaben, großen Unkosten und Gefahr für
seine eigene Person keinen andern Nutzen und Gewinn suche, als aus freiem „königlichen Ge¬
müthe der deutschen Nation die Freiheit zu bringen."
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[0459] Maske eines „Rächers der Freiheit Germaniens" und in unnatürlichem Doppel- bündniß mit dem türkischen Sultan und den Fürsten des Reichs.*) Es darf Karl V. nicht vergessen werden, daß er, sobald als nur mög¬ lich, einen ernsten Versuch machte zur Wiedergewinnung von Metz. — Vom 20. October 1552 bis Anfang nächsten Jahres hat das kaiserliche Heer die siebenthorige Stadt belagert, also gerade 70 Tage, d. h. genau eben so lange wie im vorigen Jahre Prinz Friedrich Karl's Armee. Wie dieß Mal, so richtete auch damals ganz Europa das Auge auf die gewaltige Belagerung; aber keine Capitulation krönte den Kampf. Bewunderungswürdig wurde Metz von Franz von Guise, einem lothringischen Prinzen vertheidigt. Uneinnehmbar erwiesen sich Citadelle und Guisenschanze; die reißenden Ströme, welche die Stadtmauern bespülen, schwollen an durch unaufhörlichen Regen und traten weit über ihre Ufer; die Zufuhr zum kaiserlichen Heer gerieth in's Stocken; die Kälte dauerte fort, pestartige Krankheiten brachen im Lager aus; kurz die Energie und Umsicht der Vertheidigung im Bunde mit Witterung. Mangel und Elend zwangen endlich Karl V., die Belagerung aufzuheben. Die Metz und die Magd Haben dem Kaiser den Tanz versagt. Seitdem war Metz dem deutschen Reich verloren. Mancherlei Anläufe sind gemacht worden, um „die Stifts. Fürstenthum und Städte, so dem Reich gehörig und in der Krone Frankreich Gewalt" wieder zu erlangen; alle verstiegen sich jedoch nicht höher als zu papierener Reichstagsgutachten; Frankreich dagegen trieb die Dreistigkeit so weit, daß es versuchte, durch die protestantischen Fürsten seinen Karl IX. auf den Kaiser¬ thron zu heben. An der Handlangerschaft König Karls bei der Bluthochzeit in der Bartholomäusnacht scheiterte indessen dieser Plan, und die Hugenotten¬ kriege zwangen Frankreich für einige Zeit zur Enthaltung von großer Politik. Doch schon Heinrich IV. geberdete sich wieder als „Beschützer deutscher Frei¬ heit" und trachtete abermals nach der Krone des heiligen Reichs, und mit voller Entschiedenheit nahm Frankreich seine räuberischen Anschläge bei dem Ausbruch des dreißigjährigen Krieges wieder auf. Dieselbe Macht, welche daheim vor keiner Grausamkeit gegen die „Ketzer" zurückgeschaudert ist, be¬ nahm sich in Deutschland als Verbündete der protestantischen Stände und des Schwedenkönigs; denn die Parteiung und Ohnmacht des Reiches zu er¬ halten, das war das oberste Gesetz der französischen Staatskunst. ") Ja einem offenen Sendschreiben an die Deutschen, an dessen Spitze über zwei Schwer¬ tern ein Freiheitshut und das Wort „I.iboi'tÄs" prangte, bezeugte er vor Gott dem Allmächti¬ gen, daß er aus diesem mühseligen und schweren Vorhaben, großen Unkosten und Gefahr für seine eigene Person keinen andern Nutzen und Gewinn suche, als aus freiem „königlichen Ge¬ müthe der deutschen Nation die Freiheit zu bringen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/459>, abgerufen am 23.07.2024.