Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Am Geburtstage des Kaisers entbrannte die Schlacht. Der spanischen
Hakenschützen wohlgezieltes Feuer schleuderte den Tod in die adlige Gendar¬
merie der Franzosen, und "wie mit eiserner Zange" packte Georg v. Frunds-
berg, der "liebe Vater der Landsknechte", "der Leutefresser" die schwarzen
Fahnen der geächteten Deutschen und die Schaaren der Schweizer, so daß sie
fast bis auf den letzten Mann erlagen. Bald stand König Franz verlassen
im Grauen des Schlachtfeldes, mit dem Schwert in der Faust sich ritterlich
vertheidigend. Endlich übergab er seinen Degen dem Mcekönige Charles de
Lcmoy, der ihn ehrfurchtsvoll knieend entgegennahm; unter dem Victoriage-
schrei der Deutschen ward der Monarch Frankreichs gefangen von bannen ge¬
führt. -- Es mahnt an Sedan! --Aber der deutsche Kaiser war bei Pavia
nicht wie bei Sedan selbst zur Stelle. Er saß fern zu Madrid. "Sire!"
rief der eintretende Bote "die französische Armee ist geschlagen und der König
Franz ist Ihr Gefangener!" Und wie in Bestürzung wiederholte der Kaiser
langsam die Worte des Hauptmanns: "Die französische Armee ist geschlagen
und König Franz ist mein Gefangener!" Stumm ging er in ein Nebenge¬
mach und warf sich vor dem Bild der Jungfrau nieder. -- Wieviel kriegs¬
herrlicher und freudiger klang unsres Königs Wort vom Schlachtfeld
her: "Ich werde seinen Aufenthalt bestimmen! Welch eine Wendung durch
die Führung Gottes!"

Es ist bekannt, wie König Franz lange Zeit gefangen gehalten wurde
und sich endlich für seine Erlösung harten, unköniglichen Bedingungen unter¬
warf, wie er dann nach seiner Freilassung Eid und Ehrenwort sogleich ausdrück¬
lich gebrochen und wie harmlos das französische Volk diesem unrühmlichen
Handel zugestimmt hat. -- Fast zwei Decennien lang setzten sich nun wieder
die Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I., selten unterbrochen, fort; doch
fehlt ihnen der Charakter deutscher Kriege, und ein Feldzug in Frankreich
ist erst wieder i. 1.1844 zu verzeichnen. Damals drang der Kaiser im Bunde
mit England an der Spitze eines vorzugsweise deutschen Heeres von Luxem¬
burg her in die Champagne ein; aber anstatt geradewegs auf Chalons los-
zugehn, belagerte er Se. Dizier und verlor damit viel Zeit. Auch Heinrich VIII.
von England, welcher indessen bei Calais gelandet war, ging sehr langsam
vorwärts; denn beide Herrscher beargwöhnten einander und jeder von ihnen
besorgte, er möchte mit seinen Kräften des Andern Zwecke fördern. Man
berechnete, daß wenn beide Heere vereinigt auf Paris losgingen, sie mit
100,000 Mann davor erscheinen könnten, und die größeste Verzweiflung
herrschte in der üppigen, höchst rathlosen Hauptstadt. Aber obgleich der Kaiser
Epernay und Chateau Thierry nahm und Paris aus nächster Nähe bedrohte,
so war Heinrich, dem es auf Eroberung der Küstenstädte ankam, doch nicht
zu bewegen, sich mit ihm zu vereinigen. Die Coalition also rettete Frank-


— Am Geburtstage des Kaisers entbrannte die Schlacht. Der spanischen
Hakenschützen wohlgezieltes Feuer schleuderte den Tod in die adlige Gendar¬
merie der Franzosen, und „wie mit eiserner Zange" packte Georg v. Frunds-
berg, der „liebe Vater der Landsknechte", „der Leutefresser" die schwarzen
Fahnen der geächteten Deutschen und die Schaaren der Schweizer, so daß sie
fast bis auf den letzten Mann erlagen. Bald stand König Franz verlassen
im Grauen des Schlachtfeldes, mit dem Schwert in der Faust sich ritterlich
vertheidigend. Endlich übergab er seinen Degen dem Mcekönige Charles de
Lcmoy, der ihn ehrfurchtsvoll knieend entgegennahm; unter dem Victoriage-
schrei der Deutschen ward der Monarch Frankreichs gefangen von bannen ge¬
führt. — Es mahnt an Sedan! —Aber der deutsche Kaiser war bei Pavia
nicht wie bei Sedan selbst zur Stelle. Er saß fern zu Madrid. „Sire!"
rief der eintretende Bote „die französische Armee ist geschlagen und der König
Franz ist Ihr Gefangener!" Und wie in Bestürzung wiederholte der Kaiser
langsam die Worte des Hauptmanns: „Die französische Armee ist geschlagen
und König Franz ist mein Gefangener!" Stumm ging er in ein Nebenge¬
mach und warf sich vor dem Bild der Jungfrau nieder. — Wieviel kriegs¬
herrlicher und freudiger klang unsres Königs Wort vom Schlachtfeld
her: „Ich werde seinen Aufenthalt bestimmen! Welch eine Wendung durch
die Führung Gottes!"

Es ist bekannt, wie König Franz lange Zeit gefangen gehalten wurde
und sich endlich für seine Erlösung harten, unköniglichen Bedingungen unter¬
warf, wie er dann nach seiner Freilassung Eid und Ehrenwort sogleich ausdrück¬
lich gebrochen und wie harmlos das französische Volk diesem unrühmlichen
Handel zugestimmt hat. — Fast zwei Decennien lang setzten sich nun wieder
die Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I., selten unterbrochen, fort; doch
fehlt ihnen der Charakter deutscher Kriege, und ein Feldzug in Frankreich
ist erst wieder i. 1.1844 zu verzeichnen. Damals drang der Kaiser im Bunde
mit England an der Spitze eines vorzugsweise deutschen Heeres von Luxem¬
burg her in die Champagne ein; aber anstatt geradewegs auf Chalons los-
zugehn, belagerte er Se. Dizier und verlor damit viel Zeit. Auch Heinrich VIII.
von England, welcher indessen bei Calais gelandet war, ging sehr langsam
vorwärts; denn beide Herrscher beargwöhnten einander und jeder von ihnen
besorgte, er möchte mit seinen Kräften des Andern Zwecke fördern. Man
berechnete, daß wenn beide Heere vereinigt auf Paris losgingen, sie mit
100,000 Mann davor erscheinen könnten, und die größeste Verzweiflung
herrschte in der üppigen, höchst rathlosen Hauptstadt. Aber obgleich der Kaiser
Epernay und Chateau Thierry nahm und Paris aus nächster Nähe bedrohte,
so war Heinrich, dem es auf Eroberung der Küstenstädte ankam, doch nicht
zu bewegen, sich mit ihm zu vereinigen. Die Coalition also rettete Frank-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125701"/>
            <p xml:id="ID_1544" prev="#ID_1543"> &#x2014; Am Geburtstage des Kaisers entbrannte die Schlacht. Der spanischen<lb/>
Hakenschützen wohlgezieltes Feuer schleuderte den Tod in die adlige Gendar¬<lb/>
merie der Franzosen, und &#x201E;wie mit eiserner Zange" packte Georg v. Frunds-<lb/>
berg, der &#x201E;liebe Vater der Landsknechte", &#x201E;der Leutefresser" die schwarzen<lb/>
Fahnen der geächteten Deutschen und die Schaaren der Schweizer, so daß sie<lb/>
fast bis auf den letzten Mann erlagen. Bald stand König Franz verlassen<lb/>
im Grauen des Schlachtfeldes, mit dem Schwert in der Faust sich ritterlich<lb/>
vertheidigend. Endlich übergab er seinen Degen dem Mcekönige Charles de<lb/>
Lcmoy, der ihn ehrfurchtsvoll knieend entgegennahm; unter dem Victoriage-<lb/>
schrei der Deutschen ward der Monarch Frankreichs gefangen von bannen ge¬<lb/>
führt. &#x2014; Es mahnt an Sedan! &#x2014;Aber der deutsche Kaiser war bei Pavia<lb/>
nicht wie bei Sedan selbst zur Stelle. Er saß fern zu Madrid. &#x201E;Sire!"<lb/>
rief der eintretende Bote &#x201E;die französische Armee ist geschlagen und der König<lb/>
Franz ist Ihr Gefangener!" Und wie in Bestürzung wiederholte der Kaiser<lb/>
langsam die Worte des Hauptmanns: &#x201E;Die französische Armee ist geschlagen<lb/>
und König Franz ist mein Gefangener!" Stumm ging er in ein Nebenge¬<lb/>
mach und warf sich vor dem Bild der Jungfrau nieder. &#x2014; Wieviel kriegs¬<lb/>
herrlicher und freudiger klang unsres Königs Wort vom Schlachtfeld<lb/>
her: &#x201E;Ich werde seinen Aufenthalt bestimmen! Welch eine Wendung durch<lb/>
die Führung Gottes!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1545" next="#ID_1546"> Es ist bekannt, wie König Franz lange Zeit gefangen gehalten wurde<lb/>
und sich endlich für seine Erlösung harten, unköniglichen Bedingungen unter¬<lb/>
warf, wie er dann nach seiner Freilassung Eid und Ehrenwort sogleich ausdrück¬<lb/>
lich gebrochen und wie harmlos das französische Volk diesem unrühmlichen<lb/>
Handel zugestimmt hat. &#x2014; Fast zwei Decennien lang setzten sich nun wieder<lb/>
die Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I., selten unterbrochen, fort; doch<lb/>
fehlt ihnen der Charakter deutscher Kriege, und ein Feldzug in Frankreich<lb/>
ist erst wieder i. 1.1844 zu verzeichnen. Damals drang der Kaiser im Bunde<lb/>
mit England an der Spitze eines vorzugsweise deutschen Heeres von Luxem¬<lb/>
burg her in die Champagne ein; aber anstatt geradewegs auf Chalons los-<lb/>
zugehn, belagerte er Se. Dizier und verlor damit viel Zeit. Auch Heinrich VIII.<lb/>
von England, welcher indessen bei Calais gelandet war, ging sehr langsam<lb/>
vorwärts; denn beide Herrscher beargwöhnten einander und jeder von ihnen<lb/>
besorgte, er möchte mit seinen Kräften des Andern Zwecke fördern. Man<lb/>
berechnete, daß wenn beide Heere vereinigt auf Paris losgingen, sie mit<lb/>
100,000 Mann davor erscheinen könnten, und die größeste Verzweiflung<lb/>
herrschte in der üppigen, höchst rathlosen Hauptstadt. Aber obgleich der Kaiser<lb/>
Epernay und Chateau Thierry nahm und Paris aus nächster Nähe bedrohte,<lb/>
so war Heinrich, dem es auf Eroberung der Küstenstädte ankam, doch nicht<lb/>
zu bewegen, sich mit ihm zu vereinigen. Die Coalition also rettete Frank-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] — Am Geburtstage des Kaisers entbrannte die Schlacht. Der spanischen Hakenschützen wohlgezieltes Feuer schleuderte den Tod in die adlige Gendar¬ merie der Franzosen, und „wie mit eiserner Zange" packte Georg v. Frunds- berg, der „liebe Vater der Landsknechte", „der Leutefresser" die schwarzen Fahnen der geächteten Deutschen und die Schaaren der Schweizer, so daß sie fast bis auf den letzten Mann erlagen. Bald stand König Franz verlassen im Grauen des Schlachtfeldes, mit dem Schwert in der Faust sich ritterlich vertheidigend. Endlich übergab er seinen Degen dem Mcekönige Charles de Lcmoy, der ihn ehrfurchtsvoll knieend entgegennahm; unter dem Victoriage- schrei der Deutschen ward der Monarch Frankreichs gefangen von bannen ge¬ führt. — Es mahnt an Sedan! —Aber der deutsche Kaiser war bei Pavia nicht wie bei Sedan selbst zur Stelle. Er saß fern zu Madrid. „Sire!" rief der eintretende Bote „die französische Armee ist geschlagen und der König Franz ist Ihr Gefangener!" Und wie in Bestürzung wiederholte der Kaiser langsam die Worte des Hauptmanns: „Die französische Armee ist geschlagen und König Franz ist mein Gefangener!" Stumm ging er in ein Nebenge¬ mach und warf sich vor dem Bild der Jungfrau nieder. — Wieviel kriegs¬ herrlicher und freudiger klang unsres Königs Wort vom Schlachtfeld her: „Ich werde seinen Aufenthalt bestimmen! Welch eine Wendung durch die Führung Gottes!" Es ist bekannt, wie König Franz lange Zeit gefangen gehalten wurde und sich endlich für seine Erlösung harten, unköniglichen Bedingungen unter¬ warf, wie er dann nach seiner Freilassung Eid und Ehrenwort sogleich ausdrück¬ lich gebrochen und wie harmlos das französische Volk diesem unrühmlichen Handel zugestimmt hat. — Fast zwei Decennien lang setzten sich nun wieder die Kämpfe zwischen Karl V. und Franz I., selten unterbrochen, fort; doch fehlt ihnen der Charakter deutscher Kriege, und ein Feldzug in Frankreich ist erst wieder i. 1.1844 zu verzeichnen. Damals drang der Kaiser im Bunde mit England an der Spitze eines vorzugsweise deutschen Heeres von Luxem¬ burg her in die Champagne ein; aber anstatt geradewegs auf Chalons los- zugehn, belagerte er Se. Dizier und verlor damit viel Zeit. Auch Heinrich VIII. von England, welcher indessen bei Calais gelandet war, ging sehr langsam vorwärts; denn beide Herrscher beargwöhnten einander und jeder von ihnen besorgte, er möchte mit seinen Kräften des Andern Zwecke fördern. Man berechnete, daß wenn beide Heere vereinigt auf Paris losgingen, sie mit 100,000 Mann davor erscheinen könnten, und die größeste Verzweiflung herrschte in der üppigen, höchst rathlosen Hauptstadt. Aber obgleich der Kaiser Epernay und Chateau Thierry nahm und Paris aus nächster Nähe bedrohte, so war Heinrich, dem es auf Eroberung der Küstenstädte ankam, doch nicht zu bewegen, sich mit ihm zu vereinigen. Die Coalition also rettete Frank-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/457>, abgerufen am 23.07.2024.