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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Hohenwart zum Minister des Innern und Vorsitzenden im Ministerrath, Ol-.
Habietinek zum Justizminister, Ministerialrath Jirecek zum Minister für
Cultus und Unterricht, Freiherr von scholl zum Minister für Landesverthei¬
digung ernannt, Dr, Schaffte als Handelsminister mit zeitweiliger Leitung
des Ackerbauministeriums betraut, und Freiherr von Holzgethan in dem Amt
des Finanzministers bestätigt wurde, da ging eine tiefe Bewegung durch das ganze
Reich, Wenn angesichts der weltbewegenden Ereignisse in Deutschland und der
verhängnisvollen Lage in Oestreich die deutsche Verfassungspartei vollständig
ausgeschlossen werden konnte, was hatte dann die Gesammtbevölkerung von
den Vertretern der czechischen Nation zu erwarten, und wenn die unscheinbare
Thätigkeit eines Statthalters, der durch nachsichtige Behandlung klerikaler
Umtriebe und Begünstigung feudaler Interessen allgemeines Mißtrauen er¬
regt hatte, in so hervorragender Weise belohnt wurde, welche Erwartungen
durften die Freunde der Freiheit fortan auf die Wirksamkeit des Minister¬
präsidenten setzen? -- Diese Fragen erhielten durch das Programm der Re¬
gierung und durch die Stimmen der Presse eine abweichende Beantwortung.
Die Rathgeber der Krone -- über Ziele und Mittel, über Grundsätze und
Aufgaben vollkommen einig -- beabsichtigten den Namen einer wahrhaft
östreichischen Regierung durch Ausschluß jeder Parteirichtung und Niederbeugung
aller staatsfeindlichen Bestrebungen, durch friedliches Verhalten nach außen,
freiheitliche Entwickelung nach innen und gleichmäßige Pflege aller gemein¬
samen Interessen zu verdienen; sie wollten ohne Opferung unentbehrlicher
staatseinheitlicher Attribute und ohne Begünstigung wilder Parteitriebe allen
berechtigten Eigenthümlichkeiten weiten und freien Spielraum gewähren, auf
dem Boden der Verfassung den Ländern in der Gesetzgebung und Verwaltung
Selbständigkeit, den Völkern -- nach Art. 19 des Staatsgrundgesetzes --
Gleichberechtigung gewähren, die Neichseinheit aufrecht halten und die Ein¬
führung directer Wahlen in allen Landtagsgruppen neben der Ausdehnung
des activen Wahlrechts zur Vollendung eines festen und freien Verfassungs¬
baues erstreben.

Die unabhängigen Blätter dagegen glaubten in der angekündigten Durch¬
führung des Artikels 19 eine Beeinträchtigung des deutschen Elements, in
der Berücksichtigung autonomer Bestrebungen eine Beschränkung des Reichs¬
raths zu erblicken und wollten weder die klerikalen Sympathien des Grafen
Hohenwart, noch den conservativen Geist des Unterrichtsministers Jirecek als
Bürgschaften einer freiheitlichen Fortentwickelung der Verfassung anerkennen.
Die "Neue Zeit" in Olmütz hält "die unbekannten Größen des politischen
Nichts" für Vermittler einer klerikal-feudalen Reaction; dem Mährischen Cor-
respondenten gilt die Berufung des Dr. Schäffle als ein unfreundlicher Act
gegen das deutsche Reich. Die "Presse" schreibt den Herren Habietinek und


Hohenwart zum Minister des Innern und Vorsitzenden im Ministerrath, Ol-.
Habietinek zum Justizminister, Ministerialrath Jirecek zum Minister für
Cultus und Unterricht, Freiherr von scholl zum Minister für Landesverthei¬
digung ernannt, Dr, Schaffte als Handelsminister mit zeitweiliger Leitung
des Ackerbauministeriums betraut, und Freiherr von Holzgethan in dem Amt
des Finanzministers bestätigt wurde, da ging eine tiefe Bewegung durch das ganze
Reich, Wenn angesichts der weltbewegenden Ereignisse in Deutschland und der
verhängnisvollen Lage in Oestreich die deutsche Verfassungspartei vollständig
ausgeschlossen werden konnte, was hatte dann die Gesammtbevölkerung von
den Vertretern der czechischen Nation zu erwarten, und wenn die unscheinbare
Thätigkeit eines Statthalters, der durch nachsichtige Behandlung klerikaler
Umtriebe und Begünstigung feudaler Interessen allgemeines Mißtrauen er¬
regt hatte, in so hervorragender Weise belohnt wurde, welche Erwartungen
durften die Freunde der Freiheit fortan auf die Wirksamkeit des Minister¬
präsidenten setzen? — Diese Fragen erhielten durch das Programm der Re¬
gierung und durch die Stimmen der Presse eine abweichende Beantwortung.
Die Rathgeber der Krone — über Ziele und Mittel, über Grundsätze und
Aufgaben vollkommen einig — beabsichtigten den Namen einer wahrhaft
östreichischen Regierung durch Ausschluß jeder Parteirichtung und Niederbeugung
aller staatsfeindlichen Bestrebungen, durch friedliches Verhalten nach außen,
freiheitliche Entwickelung nach innen und gleichmäßige Pflege aller gemein¬
samen Interessen zu verdienen; sie wollten ohne Opferung unentbehrlicher
staatseinheitlicher Attribute und ohne Begünstigung wilder Parteitriebe allen
berechtigten Eigenthümlichkeiten weiten und freien Spielraum gewähren, auf
dem Boden der Verfassung den Ländern in der Gesetzgebung und Verwaltung
Selbständigkeit, den Völkern — nach Art. 19 des Staatsgrundgesetzes —
Gleichberechtigung gewähren, die Neichseinheit aufrecht halten und die Ein¬
führung directer Wahlen in allen Landtagsgruppen neben der Ausdehnung
des activen Wahlrechts zur Vollendung eines festen und freien Verfassungs¬
baues erstreben.

Die unabhängigen Blätter dagegen glaubten in der angekündigten Durch¬
führung des Artikels 19 eine Beeinträchtigung des deutschen Elements, in
der Berücksichtigung autonomer Bestrebungen eine Beschränkung des Reichs¬
raths zu erblicken und wollten weder die klerikalen Sympathien des Grafen
Hohenwart, noch den conservativen Geist des Unterrichtsministers Jirecek als
Bürgschaften einer freiheitlichen Fortentwickelung der Verfassung anerkennen.
Die „Neue Zeit" in Olmütz hält „die unbekannten Größen des politischen
Nichts" für Vermittler einer klerikal-feudalen Reaction; dem Mährischen Cor-
respondenten gilt die Berufung des Dr. Schäffle als ein unfreundlicher Act
gegen das deutsche Reich. Die „Presse" schreibt den Herren Habietinek und


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[0444] Hohenwart zum Minister des Innern und Vorsitzenden im Ministerrath, Ol-. Habietinek zum Justizminister, Ministerialrath Jirecek zum Minister für Cultus und Unterricht, Freiherr von scholl zum Minister für Landesverthei¬ digung ernannt, Dr, Schaffte als Handelsminister mit zeitweiliger Leitung des Ackerbauministeriums betraut, und Freiherr von Holzgethan in dem Amt des Finanzministers bestätigt wurde, da ging eine tiefe Bewegung durch das ganze Reich, Wenn angesichts der weltbewegenden Ereignisse in Deutschland und der verhängnisvollen Lage in Oestreich die deutsche Verfassungspartei vollständig ausgeschlossen werden konnte, was hatte dann die Gesammtbevölkerung von den Vertretern der czechischen Nation zu erwarten, und wenn die unscheinbare Thätigkeit eines Statthalters, der durch nachsichtige Behandlung klerikaler Umtriebe und Begünstigung feudaler Interessen allgemeines Mißtrauen er¬ regt hatte, in so hervorragender Weise belohnt wurde, welche Erwartungen durften die Freunde der Freiheit fortan auf die Wirksamkeit des Minister¬ präsidenten setzen? — Diese Fragen erhielten durch das Programm der Re¬ gierung und durch die Stimmen der Presse eine abweichende Beantwortung. Die Rathgeber der Krone — über Ziele und Mittel, über Grundsätze und Aufgaben vollkommen einig — beabsichtigten den Namen einer wahrhaft östreichischen Regierung durch Ausschluß jeder Parteirichtung und Niederbeugung aller staatsfeindlichen Bestrebungen, durch friedliches Verhalten nach außen, freiheitliche Entwickelung nach innen und gleichmäßige Pflege aller gemein¬ samen Interessen zu verdienen; sie wollten ohne Opferung unentbehrlicher staatseinheitlicher Attribute und ohne Begünstigung wilder Parteitriebe allen berechtigten Eigenthümlichkeiten weiten und freien Spielraum gewähren, auf dem Boden der Verfassung den Ländern in der Gesetzgebung und Verwaltung Selbständigkeit, den Völkern — nach Art. 19 des Staatsgrundgesetzes — Gleichberechtigung gewähren, die Neichseinheit aufrecht halten und die Ein¬ führung directer Wahlen in allen Landtagsgruppen neben der Ausdehnung des activen Wahlrechts zur Vollendung eines festen und freien Verfassungs¬ baues erstreben. Die unabhängigen Blätter dagegen glaubten in der angekündigten Durch¬ führung des Artikels 19 eine Beeinträchtigung des deutschen Elements, in der Berücksichtigung autonomer Bestrebungen eine Beschränkung des Reichs¬ raths zu erblicken und wollten weder die klerikalen Sympathien des Grafen Hohenwart, noch den conservativen Geist des Unterrichtsministers Jirecek als Bürgschaften einer freiheitlichen Fortentwickelung der Verfassung anerkennen. Die „Neue Zeit" in Olmütz hält „die unbekannten Größen des politischen Nichts" für Vermittler einer klerikal-feudalen Reaction; dem Mährischen Cor- respondenten gilt die Berufung des Dr. Schäffle als ein unfreundlicher Act gegen das deutsche Reich. Die „Presse" schreibt den Herren Habietinek und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/444>, abgerufen am 23.07.2024.