Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Aas Ministerium Kohenwart.

Seit dem Rücktritt des Fürsten Metternich, der durch beharrliche Verfol¬
gung einseitiger Grundsätze einen bestimmenden Einfluß auf die Weltgeschichte ge¬
übt, und Oestreich zu einer hervorragenden Stellung in Europa geführt hatte, ist
der einheitliche Charakter der östreichischen Politik einem ruhelosen Wechsel von
Personen und Systemen gewichen. Die Ministerliste des Kaiserstaats von 1848 bis
1871 zeigt eine lange Reihe von Namen, deren Träger bald in absolutistischen,
bald in constitutionellen Formen das Heil der Völker zu begründen, den
Einfluß des Reichs zu befestigen gedachten, in Wahrheit aber durch die Gegen¬
sätze der innern Verwaltung und die Widersprüche der äußern Politik eine
chaotische Verwirrung aller Verhältnisse herbeigeführt, die Machtstellung des
Staats tief erschüttert haben. Allerdings war der Glanz, den die Staats¬
kunst des Fürsten auf die Habsburgische Krone gelegt, nur ein trügerischer
Schein, der die unerfreulichen Zustände im Innern fremden Blicken verbarg;
aber die Regungen der nationalen Opposition in Ungarn und Italien, in
Siebenbürgen und Croatien, und die geistige Bewegung, welche damals von
Deutschland her die Bundesländer durchzitterte und in der Forderung frei¬
sinniger Reformen bezeichnenden Ausdruck fand, waren für das Reich doch
minder gefahrvoll gewesen, als die stürmischen Angriffe der Nationalitäten
und Parteien auf das Bürgerministerium und den Bestand der Dezember-
Verfassung, und als die unheilvollen Wirren, denen jetzt das Ministerium
Hohenwart gegenübersteht.

Am 4. April 1870 ward Graf Potocki zur Bildung eines neuen Cabinets
berufen und mit der Aufgabe betraut, die Verwickelungen der Lage und die
schroffen Gegensätze der Rechtsverhältnisse durch friedliche Einfügung aller
widerstrebenden Elemente auf dem Boden der Verfassung auszugleichen, durch
Befestigung und Weiterbildung der Freiheitsrechte den östreichischen Staats¬
gedanken zu verwirklichen. Aber während sich das deutsche Reich in dem
Riesenkampf mit seinem gewaltigen Erbfeinde zu fester Einheit verband,
drohten die Sonderbestrebungen der Polen, Czechen, Slovenen und Tiroler,
der Ultramontanen und Feudalen die östreichische Monarchie in eine Gruppe
kleiner Einzelstaaten zu zersplittern; der Rechtsbestand der Verfassung ward
von dem böhmischen Landtag nach wie vor bestritten, in Innsbruck und Lai¬
bach nur mit Vorbehalt anerkannt, und die Thronrede des Kaisers vom
17- September hatte nicht blos die Abwesenheit der böhmischen Abgeordneten,
sondern auch die erfolglosen Bemühungen des Ministeriums für die Beseitigung


Aas Ministerium Kohenwart.

Seit dem Rücktritt des Fürsten Metternich, der durch beharrliche Verfol¬
gung einseitiger Grundsätze einen bestimmenden Einfluß auf die Weltgeschichte ge¬
übt, und Oestreich zu einer hervorragenden Stellung in Europa geführt hatte, ist
der einheitliche Charakter der östreichischen Politik einem ruhelosen Wechsel von
Personen und Systemen gewichen. Die Ministerliste des Kaiserstaats von 1848 bis
1871 zeigt eine lange Reihe von Namen, deren Träger bald in absolutistischen,
bald in constitutionellen Formen das Heil der Völker zu begründen, den
Einfluß des Reichs zu befestigen gedachten, in Wahrheit aber durch die Gegen¬
sätze der innern Verwaltung und die Widersprüche der äußern Politik eine
chaotische Verwirrung aller Verhältnisse herbeigeführt, die Machtstellung des
Staats tief erschüttert haben. Allerdings war der Glanz, den die Staats¬
kunst des Fürsten auf die Habsburgische Krone gelegt, nur ein trügerischer
Schein, der die unerfreulichen Zustände im Innern fremden Blicken verbarg;
aber die Regungen der nationalen Opposition in Ungarn und Italien, in
Siebenbürgen und Croatien, und die geistige Bewegung, welche damals von
Deutschland her die Bundesländer durchzitterte und in der Forderung frei¬
sinniger Reformen bezeichnenden Ausdruck fand, waren für das Reich doch
minder gefahrvoll gewesen, als die stürmischen Angriffe der Nationalitäten
und Parteien auf das Bürgerministerium und den Bestand der Dezember-
Verfassung, und als die unheilvollen Wirren, denen jetzt das Ministerium
Hohenwart gegenübersteht.

Am 4. April 1870 ward Graf Potocki zur Bildung eines neuen Cabinets
berufen und mit der Aufgabe betraut, die Verwickelungen der Lage und die
schroffen Gegensätze der Rechtsverhältnisse durch friedliche Einfügung aller
widerstrebenden Elemente auf dem Boden der Verfassung auszugleichen, durch
Befestigung und Weiterbildung der Freiheitsrechte den östreichischen Staats¬
gedanken zu verwirklichen. Aber während sich das deutsche Reich in dem
Riesenkampf mit seinem gewaltigen Erbfeinde zu fester Einheit verband,
drohten die Sonderbestrebungen der Polen, Czechen, Slovenen und Tiroler,
der Ultramontanen und Feudalen die östreichische Monarchie in eine Gruppe
kleiner Einzelstaaten zu zersplittern; der Rechtsbestand der Verfassung ward
von dem böhmischen Landtag nach wie vor bestritten, in Innsbruck und Lai¬
bach nur mit Vorbehalt anerkannt, und die Thronrede des Kaisers vom
17- September hatte nicht blos die Abwesenheit der böhmischen Abgeordneten,
sondern auch die erfolglosen Bemühungen des Ministeriums für die Beseitigung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0439" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125683"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aas Ministerium Kohenwart.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1493"> Seit dem Rücktritt des Fürsten Metternich, der durch beharrliche Verfol¬<lb/>
gung einseitiger Grundsätze einen bestimmenden Einfluß auf die Weltgeschichte ge¬<lb/>
übt, und Oestreich zu einer hervorragenden Stellung in Europa geführt hatte, ist<lb/>
der einheitliche Charakter der östreichischen Politik einem ruhelosen Wechsel von<lb/>
Personen und Systemen gewichen. Die Ministerliste des Kaiserstaats von 1848 bis<lb/>
1871 zeigt eine lange Reihe von Namen, deren Träger bald in absolutistischen,<lb/>
bald in constitutionellen Formen das Heil der Völker zu begründen, den<lb/>
Einfluß des Reichs zu befestigen gedachten, in Wahrheit aber durch die Gegen¬<lb/>
sätze der innern Verwaltung und die Widersprüche der äußern Politik eine<lb/>
chaotische Verwirrung aller Verhältnisse herbeigeführt, die Machtstellung des<lb/>
Staats tief erschüttert haben. Allerdings war der Glanz, den die Staats¬<lb/>
kunst des Fürsten auf die Habsburgische Krone gelegt, nur ein trügerischer<lb/>
Schein, der die unerfreulichen Zustände im Innern fremden Blicken verbarg;<lb/>
aber die Regungen der nationalen Opposition in Ungarn und Italien, in<lb/>
Siebenbürgen und Croatien, und die geistige Bewegung, welche damals von<lb/>
Deutschland her die Bundesländer durchzitterte und in der Forderung frei¬<lb/>
sinniger Reformen bezeichnenden Ausdruck fand, waren für das Reich doch<lb/>
minder gefahrvoll gewesen, als die stürmischen Angriffe der Nationalitäten<lb/>
und Parteien auf das Bürgerministerium und den Bestand der Dezember-<lb/>
Verfassung, und als die unheilvollen Wirren, denen jetzt das Ministerium<lb/>
Hohenwart gegenübersteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1494" next="#ID_1495"> Am 4. April 1870 ward Graf Potocki zur Bildung eines neuen Cabinets<lb/>
berufen und mit der Aufgabe betraut, die Verwickelungen der Lage und die<lb/>
schroffen Gegensätze der Rechtsverhältnisse durch friedliche Einfügung aller<lb/>
widerstrebenden Elemente auf dem Boden der Verfassung auszugleichen, durch<lb/>
Befestigung und Weiterbildung der Freiheitsrechte den östreichischen Staats¬<lb/>
gedanken zu verwirklichen. Aber während sich das deutsche Reich in dem<lb/>
Riesenkampf mit seinem gewaltigen Erbfeinde zu fester Einheit verband,<lb/>
drohten die Sonderbestrebungen der Polen, Czechen, Slovenen und Tiroler,<lb/>
der Ultramontanen und Feudalen die östreichische Monarchie in eine Gruppe<lb/>
kleiner Einzelstaaten zu zersplittern; der Rechtsbestand der Verfassung ward<lb/>
von dem böhmischen Landtag nach wie vor bestritten, in Innsbruck und Lai¬<lb/>
bach nur mit Vorbehalt anerkannt, und die Thronrede des Kaisers vom<lb/>
17- September hatte nicht blos die Abwesenheit der böhmischen Abgeordneten,<lb/>
sondern auch die erfolglosen Bemühungen des Ministeriums für die Beseitigung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0439] Aas Ministerium Kohenwart. Seit dem Rücktritt des Fürsten Metternich, der durch beharrliche Verfol¬ gung einseitiger Grundsätze einen bestimmenden Einfluß auf die Weltgeschichte ge¬ übt, und Oestreich zu einer hervorragenden Stellung in Europa geführt hatte, ist der einheitliche Charakter der östreichischen Politik einem ruhelosen Wechsel von Personen und Systemen gewichen. Die Ministerliste des Kaiserstaats von 1848 bis 1871 zeigt eine lange Reihe von Namen, deren Träger bald in absolutistischen, bald in constitutionellen Formen das Heil der Völker zu begründen, den Einfluß des Reichs zu befestigen gedachten, in Wahrheit aber durch die Gegen¬ sätze der innern Verwaltung und die Widersprüche der äußern Politik eine chaotische Verwirrung aller Verhältnisse herbeigeführt, die Machtstellung des Staats tief erschüttert haben. Allerdings war der Glanz, den die Staats¬ kunst des Fürsten auf die Habsburgische Krone gelegt, nur ein trügerischer Schein, der die unerfreulichen Zustände im Innern fremden Blicken verbarg; aber die Regungen der nationalen Opposition in Ungarn und Italien, in Siebenbürgen und Croatien, und die geistige Bewegung, welche damals von Deutschland her die Bundesländer durchzitterte und in der Forderung frei¬ sinniger Reformen bezeichnenden Ausdruck fand, waren für das Reich doch minder gefahrvoll gewesen, als die stürmischen Angriffe der Nationalitäten und Parteien auf das Bürgerministerium und den Bestand der Dezember- Verfassung, und als die unheilvollen Wirren, denen jetzt das Ministerium Hohenwart gegenübersteht. Am 4. April 1870 ward Graf Potocki zur Bildung eines neuen Cabinets berufen und mit der Aufgabe betraut, die Verwickelungen der Lage und die schroffen Gegensätze der Rechtsverhältnisse durch friedliche Einfügung aller widerstrebenden Elemente auf dem Boden der Verfassung auszugleichen, durch Befestigung und Weiterbildung der Freiheitsrechte den östreichischen Staats¬ gedanken zu verwirklichen. Aber während sich das deutsche Reich in dem Riesenkampf mit seinem gewaltigen Erbfeinde zu fester Einheit verband, drohten die Sonderbestrebungen der Polen, Czechen, Slovenen und Tiroler, der Ultramontanen und Feudalen die östreichische Monarchie in eine Gruppe kleiner Einzelstaaten zu zersplittern; der Rechtsbestand der Verfassung ward von dem böhmischen Landtag nach wie vor bestritten, in Innsbruck und Lai¬ bach nur mit Vorbehalt anerkannt, und die Thronrede des Kaisers vom 17- September hatte nicht blos die Abwesenheit der böhmischen Abgeordneten, sondern auch die erfolglosen Bemühungen des Ministeriums für die Beseitigung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/439
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/439>, abgerufen am 22.07.2024.