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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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zwingt, so mag er leicht in Mitleidenschaft gerathen und so für das blinde
Uebermaß seiner Vorsicht bestraft werden.

Wer noch so weit zurückzudenken vermag wie Juli 1870. zweite Hälfte,
der wird sich erinnern, damals reichliche Spuren eines so beschaffenen Gemüths¬
zustandes wahrgenommen zu haben. Der Ausbruch des Krieges war bekannt¬
lich so jäh wie möglich. So folglich auch der der Geschäftsstörung und Ver-
trauensstockung. Aus einem Zustand leidlicher Blüthe, ja eines erträglichen
Sicherheitsgefühls -- da sich noch am 30. Juni ja der traurige Monsieur
Ollivier für den europäischen Frieden gleichsam verbürgt hatte -- stürzten
wir unvermittelt in das, was die Börsensprache panischen Schrecken nennt.
Zum ersten Male in der Geschichte mußten die Mündungen der deutschen
Ströme, die sonst jedem Schiffe offenstehen, künstlich verrammelt werden, damit
ein tückischer Feind nicht bis ins Herz unserer nördlichen Provinzen vordringe.
Die Seeschifffahrt war mithin auf einmal zu Ende. Mit dem, Landverkehr
im Großen ging es nicht viel anders, wenigstens so weit die Eisenbahnen
der Heerbeförderung nach der westlichen Gränze irgendwie dienen konnten.
Der Diseont stieg in wenigen Tagen von etwa 4 Procent bis zu 8 hinauf; die
Effectencurse machten mit gleicher Rapidität die entgegengesetzte Bewegung des
Fallens durch. Die sogenannten wilden Scheine, d. h. das Papiergeld der
kleinen Staaten und der kleinen Banken, büßten ihr Vagabundiren über die
Grenze hinaus, innerhalb deren ihre Aussteller Credit hatten und haben
konnten, mit einem Disagio von 5 bis 10 Procent.

Es war eine heftige, aber kurze Krisis. Ihre Wucht war sogar schon
gebrochen, bevor der Krieg noch eigentlich in Gang kam. Ihr Höhepunkt
fiel in die letzte Juli-Woche, und am 4. August sauste bekanntlich doch zuerst
das deutsche Schwert auf den übermüthigen Angreifer hernieder, der sich einen
leichten Siegeszug nach Berlin erträumt hatte.

Um das stockende Vertrauen wieder in Fluß zu bringen, hatte sich aus
dem Mittelpunkt der deutschen Politik ein Strom siegesgewisser Zuversicht
über den ganzen Norden und bald über den Süden ebenfalls ergossen. Zwar
auch die Börsen hatten, die Effectenbörsen zu Berlin und Frankfurt am Main
so gut wie die Waarenbörsen zu Hamburg und Bremen, die Köpfe nicht
geradezu hängen lassen, als die Thatsache des Krieges feststand. Sie waren
der langen Unsicherheit gründlich müde; lieber ein Ende mit Schrecken wollten
sie, als Schrecken ohne Ende. Rechneten sie auch nicht entfernt auf solche
sofortige, überwältigende, ununterbrochene Erfolge, wie unsere Heere wirklich
erfochten, so zweifelten sie doch nicht im entferntesten, daß am Ende deutsche
Beharrlichkeit über den vielgepriesenen Elan der Franzosen Herr werden würde.
Aber in den leitenden Kreisen zu Berlin war man zu noch genauerer Begleichung
der Kräfte befähigt und folglich noch weit zuversichtlicher gestimmt. Gerade wie


zwingt, so mag er leicht in Mitleidenschaft gerathen und so für das blinde
Uebermaß seiner Vorsicht bestraft werden.

Wer noch so weit zurückzudenken vermag wie Juli 1870. zweite Hälfte,
der wird sich erinnern, damals reichliche Spuren eines so beschaffenen Gemüths¬
zustandes wahrgenommen zu haben. Der Ausbruch des Krieges war bekannt¬
lich so jäh wie möglich. So folglich auch der der Geschäftsstörung und Ver-
trauensstockung. Aus einem Zustand leidlicher Blüthe, ja eines erträglichen
Sicherheitsgefühls — da sich noch am 30. Juni ja der traurige Monsieur
Ollivier für den europäischen Frieden gleichsam verbürgt hatte — stürzten
wir unvermittelt in das, was die Börsensprache panischen Schrecken nennt.
Zum ersten Male in der Geschichte mußten die Mündungen der deutschen
Ströme, die sonst jedem Schiffe offenstehen, künstlich verrammelt werden, damit
ein tückischer Feind nicht bis ins Herz unserer nördlichen Provinzen vordringe.
Die Seeschifffahrt war mithin auf einmal zu Ende. Mit dem, Landverkehr
im Großen ging es nicht viel anders, wenigstens so weit die Eisenbahnen
der Heerbeförderung nach der westlichen Gränze irgendwie dienen konnten.
Der Diseont stieg in wenigen Tagen von etwa 4 Procent bis zu 8 hinauf; die
Effectencurse machten mit gleicher Rapidität die entgegengesetzte Bewegung des
Fallens durch. Die sogenannten wilden Scheine, d. h. das Papiergeld der
kleinen Staaten und der kleinen Banken, büßten ihr Vagabundiren über die
Grenze hinaus, innerhalb deren ihre Aussteller Credit hatten und haben
konnten, mit einem Disagio von 5 bis 10 Procent.

Es war eine heftige, aber kurze Krisis. Ihre Wucht war sogar schon
gebrochen, bevor der Krieg noch eigentlich in Gang kam. Ihr Höhepunkt
fiel in die letzte Juli-Woche, und am 4. August sauste bekanntlich doch zuerst
das deutsche Schwert auf den übermüthigen Angreifer hernieder, der sich einen
leichten Siegeszug nach Berlin erträumt hatte.

Um das stockende Vertrauen wieder in Fluß zu bringen, hatte sich aus
dem Mittelpunkt der deutschen Politik ein Strom siegesgewisser Zuversicht
über den ganzen Norden und bald über den Süden ebenfalls ergossen. Zwar
auch die Börsen hatten, die Effectenbörsen zu Berlin und Frankfurt am Main
so gut wie die Waarenbörsen zu Hamburg und Bremen, die Köpfe nicht
geradezu hängen lassen, als die Thatsache des Krieges feststand. Sie waren
der langen Unsicherheit gründlich müde; lieber ein Ende mit Schrecken wollten
sie, als Schrecken ohne Ende. Rechneten sie auch nicht entfernt auf solche
sofortige, überwältigende, ununterbrochene Erfolge, wie unsere Heere wirklich
erfochten, so zweifelten sie doch nicht im entferntesten, daß am Ende deutsche
Beharrlichkeit über den vielgepriesenen Elan der Franzosen Herr werden würde.
Aber in den leitenden Kreisen zu Berlin war man zu noch genauerer Begleichung
der Kräfte befähigt und folglich noch weit zuversichtlicher gestimmt. Gerade wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/434>, abgerufen am 23.07.2024.