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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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nach Dover (London). Der andere Weg führt bei den klassischen Eilanden
des Ionischen Archipels vorbei in's Adriatische Meer nach Brindisi (dem alten
Brundusium der Römer), läuft von dort längs der italienischen Ostküste,
ebenfalls auf Schienenstraßen, an die Alpen, übersteigt dieselben im Brenner-
Paß, geht durch Deutschland über München, sodann an den Ufern des Rheins ent¬
lang, um Belgien bis Ostende zu durchschneiden, von wo die Ueberfahrt nach
Dover stattfindet.

Bei der Wahl des Weges für die Britisch-Indische Post waren die wich¬
tigsten politischen und wirthschaftlichen Interessen der Europäischen Staaten,
namentlich Englands, Frankreichs, Deutschlands und Italiens, betheiligt;
denn der Besitz des Transits der Ueberlcmdpost zieht zugleich den gewaltigen
Waaren- und Reiseverkehr zwischen Europa und dem central-asiatischen, sowie
Indischen Verkehrsgebiete nach sich, Brennpunkte genug, auf welche die An¬
strengungen der leitenden Staatsmänner sich concentriren mußten.

Lange Zeit befand Frankreich sich im ausschließlichen und unangefochtenen
Besitze des Transits der Britisch-Indischen Post; seine mächtigen Hülfs¬
quellen, sein einheitlich verwaltetes Eisenbahnnetz und der große Einfluß der
französischen Mediterranean-Compagnie, deren Dampfer die Linie Marseille-
Alexandrien bedienen, siegten immer wieder über die Concurrenzversuche an¬
derer Staaten, namentlich Oestreichs, welches in den vierziger Jahren dieses
Jahrhunderts große Anstrengungen machte, dem Hafen von Triest durch den
Indischen Transit neuen Aufschwung zu geben; ferner Italiens, das nach
und nach fein Eisenbahnnetz entwickelt hatte, und endlich des übrigen Deutsch¬
lands, welches nach Wiederbelebung seiner alten blühenden Weltverkehrsstraße
nach der Levante und Ostasien trachtete. Oestreich konnte die Arena nicht
mit Erfolg halten, weil der Weg über Wien und Triest die Rachtheile der
Entlegenheit bietet. Italien wollte anfangs den Kampf mit Frankreich auf
diesem Gebiete nicht aufnehmen, weil es die Empfindlichkeit der gi-Äuclcz na-lion
fürchtete. Zudem hatte Italien auf alle Fälle die günstigsten Chancen; denn
nach Vollendung des Mont-Cenis-Durchstichs schien der Indische Transit
sich der Route durch Italien ohnehin zuwenden zu müssen. Inzwischen bot
die Vollendung der Brenner-Eisenbahn einen erwünschten Anlaß, Verhand¬
lungen anzuknüpfen, welche die Ablenkung des Transits der Ueberlcmdpost
von der Route Marseille-Calais auf den Weg über Brindisi durch Italien
und Deutschland nach Ostende zum Zwecke hatten. Das Verdienst der Ini¬
tiative gebührt hierbei dem Württembergischen Staatsminister von Varnbüler,
welcher zuerst im Jahre 1868 dem Italienischen Ministerpräsidenten Menabrea
bezüglich der Benutzung der Transitlinie Brindisi-Brenner, und zwar auf der
Route über Verona, München, Stuttgart. Darmstadt und Cöln für den
Postverkehr zwischen Ostindien und England Vorschläge abgeben ließ. Me-


nach Dover (London). Der andere Weg führt bei den klassischen Eilanden
des Ionischen Archipels vorbei in's Adriatische Meer nach Brindisi (dem alten
Brundusium der Römer), läuft von dort längs der italienischen Ostküste,
ebenfalls auf Schienenstraßen, an die Alpen, übersteigt dieselben im Brenner-
Paß, geht durch Deutschland über München, sodann an den Ufern des Rheins ent¬
lang, um Belgien bis Ostende zu durchschneiden, von wo die Ueberfahrt nach
Dover stattfindet.

Bei der Wahl des Weges für die Britisch-Indische Post waren die wich¬
tigsten politischen und wirthschaftlichen Interessen der Europäischen Staaten,
namentlich Englands, Frankreichs, Deutschlands und Italiens, betheiligt;
denn der Besitz des Transits der Ueberlcmdpost zieht zugleich den gewaltigen
Waaren- und Reiseverkehr zwischen Europa und dem central-asiatischen, sowie
Indischen Verkehrsgebiete nach sich, Brennpunkte genug, auf welche die An¬
strengungen der leitenden Staatsmänner sich concentriren mußten.

Lange Zeit befand Frankreich sich im ausschließlichen und unangefochtenen
Besitze des Transits der Britisch-Indischen Post; seine mächtigen Hülfs¬
quellen, sein einheitlich verwaltetes Eisenbahnnetz und der große Einfluß der
französischen Mediterranean-Compagnie, deren Dampfer die Linie Marseille-
Alexandrien bedienen, siegten immer wieder über die Concurrenzversuche an¬
derer Staaten, namentlich Oestreichs, welches in den vierziger Jahren dieses
Jahrhunderts große Anstrengungen machte, dem Hafen von Triest durch den
Indischen Transit neuen Aufschwung zu geben; ferner Italiens, das nach
und nach fein Eisenbahnnetz entwickelt hatte, und endlich des übrigen Deutsch¬
lands, welches nach Wiederbelebung seiner alten blühenden Weltverkehrsstraße
nach der Levante und Ostasien trachtete. Oestreich konnte die Arena nicht
mit Erfolg halten, weil der Weg über Wien und Triest die Rachtheile der
Entlegenheit bietet. Italien wollte anfangs den Kampf mit Frankreich auf
diesem Gebiete nicht aufnehmen, weil es die Empfindlichkeit der gi-Äuclcz na-lion
fürchtete. Zudem hatte Italien auf alle Fälle die günstigsten Chancen; denn
nach Vollendung des Mont-Cenis-Durchstichs schien der Indische Transit
sich der Route durch Italien ohnehin zuwenden zu müssen. Inzwischen bot
die Vollendung der Brenner-Eisenbahn einen erwünschten Anlaß, Verhand¬
lungen anzuknüpfen, welche die Ablenkung des Transits der Ueberlcmdpost
von der Route Marseille-Calais auf den Weg über Brindisi durch Italien
und Deutschland nach Ostende zum Zwecke hatten. Das Verdienst der Ini¬
tiative gebührt hierbei dem Württembergischen Staatsminister von Varnbüler,
welcher zuerst im Jahre 1868 dem Italienischen Ministerpräsidenten Menabrea
bezüglich der Benutzung der Transitlinie Brindisi-Brenner, und zwar auf der
Route über Verona, München, Stuttgart. Darmstadt und Cöln für den
Postverkehr zwischen Ostindien und England Vorschläge abgeben ließ. Me-


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[0425] nach Dover (London). Der andere Weg führt bei den klassischen Eilanden des Ionischen Archipels vorbei in's Adriatische Meer nach Brindisi (dem alten Brundusium der Römer), läuft von dort längs der italienischen Ostküste, ebenfalls auf Schienenstraßen, an die Alpen, übersteigt dieselben im Brenner- Paß, geht durch Deutschland über München, sodann an den Ufern des Rheins ent¬ lang, um Belgien bis Ostende zu durchschneiden, von wo die Ueberfahrt nach Dover stattfindet. Bei der Wahl des Weges für die Britisch-Indische Post waren die wich¬ tigsten politischen und wirthschaftlichen Interessen der Europäischen Staaten, namentlich Englands, Frankreichs, Deutschlands und Italiens, betheiligt; denn der Besitz des Transits der Ueberlcmdpost zieht zugleich den gewaltigen Waaren- und Reiseverkehr zwischen Europa und dem central-asiatischen, sowie Indischen Verkehrsgebiete nach sich, Brennpunkte genug, auf welche die An¬ strengungen der leitenden Staatsmänner sich concentriren mußten. Lange Zeit befand Frankreich sich im ausschließlichen und unangefochtenen Besitze des Transits der Britisch-Indischen Post; seine mächtigen Hülfs¬ quellen, sein einheitlich verwaltetes Eisenbahnnetz und der große Einfluß der französischen Mediterranean-Compagnie, deren Dampfer die Linie Marseille- Alexandrien bedienen, siegten immer wieder über die Concurrenzversuche an¬ derer Staaten, namentlich Oestreichs, welches in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts große Anstrengungen machte, dem Hafen von Triest durch den Indischen Transit neuen Aufschwung zu geben; ferner Italiens, das nach und nach fein Eisenbahnnetz entwickelt hatte, und endlich des übrigen Deutsch¬ lands, welches nach Wiederbelebung seiner alten blühenden Weltverkehrsstraße nach der Levante und Ostasien trachtete. Oestreich konnte die Arena nicht mit Erfolg halten, weil der Weg über Wien und Triest die Rachtheile der Entlegenheit bietet. Italien wollte anfangs den Kampf mit Frankreich auf diesem Gebiete nicht aufnehmen, weil es die Empfindlichkeit der gi-Äuclcz na-lion fürchtete. Zudem hatte Italien auf alle Fälle die günstigsten Chancen; denn nach Vollendung des Mont-Cenis-Durchstichs schien der Indische Transit sich der Route durch Italien ohnehin zuwenden zu müssen. Inzwischen bot die Vollendung der Brenner-Eisenbahn einen erwünschten Anlaß, Verhand¬ lungen anzuknüpfen, welche die Ablenkung des Transits der Ueberlcmdpost von der Route Marseille-Calais auf den Weg über Brindisi durch Italien und Deutschland nach Ostende zum Zwecke hatten. Das Verdienst der Ini¬ tiative gebührt hierbei dem Württembergischen Staatsminister von Varnbüler, welcher zuerst im Jahre 1868 dem Italienischen Ministerpräsidenten Menabrea bezüglich der Benutzung der Transitlinie Brindisi-Brenner, und zwar auf der Route über Verona, München, Stuttgart. Darmstadt und Cöln für den Postverkehr zwischen Ostindien und England Vorschläge abgeben ließ. Me-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/425>, abgerufen am 23.07.2024.