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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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erhalten. -- Glücklicher war sein Nachfolger, Heinrich der Vogler. Freilich
mußte auch er zweimal mit Heeresmacht hinüber ziehn in's Westerreich; der
Fall der stolzen Herzogsfeste Zülpich entschied jedoch zuletzt für ihn. Lothrin¬
gen war die Morgengabe des sächsischen Hauses an das deutsche Reich.

Nicht lange blieb das Kleinod unbestritten. In dem treulosen Bruder¬
kriege, welchen Herzog Heinrich gegen König Otto I. entzündete, trat beider
Schwager, König Ludwig von Frankreich, auf die Seite des Empörers, und
dafür ließ es dieser zu, daß Lothringen der Krone Frankreich huldigte. Das
war Verrath von Reichsgebiet zu Gunsten fürstlichen Widerstandes gegen das
Reichsoberhaupt: ein trauriger Vorgang, welcher sich bekanntlich leider wiederholt
hat. Der jugendliche König war aber ganz der Mann, um solcher That die
Stirn zu bieten. Obgleich ihm Wenden und Dänen die sächsische Heimath
bedrängten, nahm er doch auch den Kampf mit den Empörern und mit Frank¬
reich auf. In ein und demselben Jahre 939 zog er von Sachsen nach Lo¬
thringen, von dort zurück bis an die Gränzen der Wenden, darauf abermals
westwärts bis unter die Mauern Laon's und dann wiederum nach Sachsen
zurück. Das erinnert an des großen Kurfürsten Ritt vom Rhein bis an den
Rhin; indeß sind die Verhältnisse der alten Sachsenzeit noch gewaltiger und
ernster. Und nun war es Spätherbst geworden, und zum dritten Male eilte
Otto, den dringendsten Gefahren zu begegnen, an den Rhein. Trotz der
früheren Siege dieses großen Jahrs stand er am Rande des Abgrunds; Ver¬
rath und Abfall drohten ihn hinabzuziehn; aber standhaft hielt er aus; er
wußte die Einheit des Reichs, die Zukunft des Volkes in seinem Lager, und
darum triumphirte er. Zu Anfang des Jahres 940 drang er in Frankreich
ein. Bis zur Seine rückte er vor; Hugo Capet, der Herzog von Franzien,
huldigte ihm als seinem Herrn, und bald darauf schloß auch König Ludwig
der Karolinger Frieden. Lothringen gehorchte aufs Neue den Deutschen.

Für den König von Frankreich wurde der unglückliche Ausfall seines
Versuches, das linke Rheinufer zu erwerben, verhängnißvoll. Schon längst
von mächtigen Vasallen überflügelt, hatte er gehofft, durch Waffenruhm das
sinkende Haus der Karolinger wieder zu stützen. Statt dessen überfluthete ihn
jetzt die aristokratische Revolution. Hugo von Franzien schleppte ihn von einem
Schloße zum andern als Gefangenen, und flehentlich richtete Gerberga, die
Gemahlin Ludwigs und König Otto's Schwester, klagende Bitten an den
deutschen Bruder: er möge ihnen Hülfe bringen. Otto gab endlich diesen
Bitten nach, und damit brachte er den zweiten der beiden Beweggründe zur
Geltung, welche überhaupt im Laufe der Geschichte zu Kriegen zwischen Deutsch¬
land und Frankreich geführt. Denn wenn das letztere immer auf's Neue den
Kampf um die Rheingränze aufgenommen hat, so zog das deutsche Reich die
beiden Male, in denen es überhaupt angriffsweise vorgegangen ist, das Schwert


erhalten. — Glücklicher war sein Nachfolger, Heinrich der Vogler. Freilich
mußte auch er zweimal mit Heeresmacht hinüber ziehn in's Westerreich; der
Fall der stolzen Herzogsfeste Zülpich entschied jedoch zuletzt für ihn. Lothrin¬
gen war die Morgengabe des sächsischen Hauses an das deutsche Reich.

Nicht lange blieb das Kleinod unbestritten. In dem treulosen Bruder¬
kriege, welchen Herzog Heinrich gegen König Otto I. entzündete, trat beider
Schwager, König Ludwig von Frankreich, auf die Seite des Empörers, und
dafür ließ es dieser zu, daß Lothringen der Krone Frankreich huldigte. Das
war Verrath von Reichsgebiet zu Gunsten fürstlichen Widerstandes gegen das
Reichsoberhaupt: ein trauriger Vorgang, welcher sich bekanntlich leider wiederholt
hat. Der jugendliche König war aber ganz der Mann, um solcher That die
Stirn zu bieten. Obgleich ihm Wenden und Dänen die sächsische Heimath
bedrängten, nahm er doch auch den Kampf mit den Empörern und mit Frank¬
reich auf. In ein und demselben Jahre 939 zog er von Sachsen nach Lo¬
thringen, von dort zurück bis an die Gränzen der Wenden, darauf abermals
westwärts bis unter die Mauern Laon's und dann wiederum nach Sachsen
zurück. Das erinnert an des großen Kurfürsten Ritt vom Rhein bis an den
Rhin; indeß sind die Verhältnisse der alten Sachsenzeit noch gewaltiger und
ernster. Und nun war es Spätherbst geworden, und zum dritten Male eilte
Otto, den dringendsten Gefahren zu begegnen, an den Rhein. Trotz der
früheren Siege dieses großen Jahrs stand er am Rande des Abgrunds; Ver¬
rath und Abfall drohten ihn hinabzuziehn; aber standhaft hielt er aus; er
wußte die Einheit des Reichs, die Zukunft des Volkes in seinem Lager, und
darum triumphirte er. Zu Anfang des Jahres 940 drang er in Frankreich
ein. Bis zur Seine rückte er vor; Hugo Capet, der Herzog von Franzien,
huldigte ihm als seinem Herrn, und bald darauf schloß auch König Ludwig
der Karolinger Frieden. Lothringen gehorchte aufs Neue den Deutschen.

Für den König von Frankreich wurde der unglückliche Ausfall seines
Versuches, das linke Rheinufer zu erwerben, verhängnißvoll. Schon längst
von mächtigen Vasallen überflügelt, hatte er gehofft, durch Waffenruhm das
sinkende Haus der Karolinger wieder zu stützen. Statt dessen überfluthete ihn
jetzt die aristokratische Revolution. Hugo von Franzien schleppte ihn von einem
Schloße zum andern als Gefangenen, und flehentlich richtete Gerberga, die
Gemahlin Ludwigs und König Otto's Schwester, klagende Bitten an den
deutschen Bruder: er möge ihnen Hülfe bringen. Otto gab endlich diesen
Bitten nach, und damit brachte er den zweiten der beiden Beweggründe zur
Geltung, welche überhaupt im Laufe der Geschichte zu Kriegen zwischen Deutsch¬
land und Frankreich geführt. Denn wenn das letztere immer auf's Neue den
Kampf um die Rheingränze aufgenommen hat, so zog das deutsche Reich die
beiden Male, in denen es überhaupt angriffsweise vorgegangen ist, das Schwert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/416>, abgerufen am 23.07.2024.