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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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tigem Söhne Ludwigs. Aber obgleich er jetzt die Kaiserkrone trug und ob¬
gleich er geschworen hatte, "ein so mächtiges Heer zusammenzubringen, daß
seine Rosse den Rhein aussaufen sollten, damit er trockenen Fußes hinüber
gehen und das Land zur Wüste machen könne," so gelang ihm doch ebenso
wenig als das erste Mal. Der Heerbann der Rheinfranken, Thüringer und
Sachsen bereitete ihm unter Ludwigs des Jüngeren Führung bei Andernach
eine furchtbare Niederlage, und bald fühlte sich dieser König der Norddeut¬
schen stark, genug, den feindlichen Einfall durch einen Gegenstoß zu rächen.
Im Jahre 879 geschah der erste Feldzug der Deutschen nach Frank¬
reich, und er war siegreich; er endete damit, daß nun das ganze Lothringen
an Deutschland kam. *)

Hierdurch war für die Zukunft eine staatsrechtliche Grundlage gegeben.
Aber schon damals verschmerzten viele Franzosen nur schwer den Verlust des
linksrheinischen Landes, um so mehr als an den Besitz von Aachen, dem Hoch¬
sitze "Charlemagne's", der Vorrang über alle andere Reiche und Völker ge¬
knüpft erschien. Auch die alte Vorstellung: Gallien habe sich bis zum Rheins
ausgedehnt und sie, die Franzosen, seien Rechtsnachfolger der alten Gallier
und müßten also ebenfalls bis zum Rheine herrschen, diese durchaus irrige
Meinung wird bereits zu jener Zeit verbreitet. Sie spielt schon mit bei den
nun folgenden Versuchen, zwischen Lothringen und Deutschland den Verband
zu lockern, Versuche, welche treffliche Handhaben fanden in den Anwandlungen
der lothringischen Herrn. Denn es waren schwere Zeiten in Deutschland, und
schon damals mochte Schiller's treffender Ausspruch gelten:


Der Lothringer geht mit der großen Fluth,
Wo der leichte Sinn ist und lustiger Muth!

Ueberdieß aber wähnten diese Magnaten: gerade, eine schwankende Stellung
gewähre ihnen am meisten Aussicht auf Ungebundenheit, und waren nicht
eingedenk des -alten Wahrspruchs, daß wer sich zwischen zwei Stühle setzen
will, zu Boden fällt. -- Daher geschah es, daß während der traurigen
Zerrüttung Deutschlands zur Zeit des Absterbens der Karolinger Lothringen sich
der französischen Krone gefällig neigte und Konrad von Franken, der erste Wahl¬
könig der Deutschen, das linksrheinische Gebiet dem Reich entfremdet fand.
Zwei Feldzüge unternahm er, um es wieder zu erwerben; aber er kämpfte
erfolglos; nur das alamannische Elsaß vermochte er der deutschen Krone zu



") Ein Theil der wcstftänkischcn Edelleute hatte Ludwig dem Jüngeren die Krone Frank¬
reichs angeboten und er folgte, aufgereizt von seiner ruhmliebmden Gemahlin Luitgard, dem
verführerischen Ruf. Doch stand er, als ihm ganz Lothringen abgetreten wurde, wieder von
dem bedenklichen Unternehmen ab, zumal sein Heer zwar tapfer und streitlustig, keineswegs aber
durch Mannszucht ausgezeichnet gewesen zu sein scheint, da es z. B. Verdun zügellos plün¬
derte und in Asche legte.

tigem Söhne Ludwigs. Aber obgleich er jetzt die Kaiserkrone trug und ob¬
gleich er geschworen hatte, „ein so mächtiges Heer zusammenzubringen, daß
seine Rosse den Rhein aussaufen sollten, damit er trockenen Fußes hinüber
gehen und das Land zur Wüste machen könne," so gelang ihm doch ebenso
wenig als das erste Mal. Der Heerbann der Rheinfranken, Thüringer und
Sachsen bereitete ihm unter Ludwigs des Jüngeren Führung bei Andernach
eine furchtbare Niederlage, und bald fühlte sich dieser König der Norddeut¬
schen stark, genug, den feindlichen Einfall durch einen Gegenstoß zu rächen.
Im Jahre 879 geschah der erste Feldzug der Deutschen nach Frank¬
reich, und er war siegreich; er endete damit, daß nun das ganze Lothringen
an Deutschland kam. *)

Hierdurch war für die Zukunft eine staatsrechtliche Grundlage gegeben.
Aber schon damals verschmerzten viele Franzosen nur schwer den Verlust des
linksrheinischen Landes, um so mehr als an den Besitz von Aachen, dem Hoch¬
sitze „Charlemagne's", der Vorrang über alle andere Reiche und Völker ge¬
knüpft erschien. Auch die alte Vorstellung: Gallien habe sich bis zum Rheins
ausgedehnt und sie, die Franzosen, seien Rechtsnachfolger der alten Gallier
und müßten also ebenfalls bis zum Rheine herrschen, diese durchaus irrige
Meinung wird bereits zu jener Zeit verbreitet. Sie spielt schon mit bei den
nun folgenden Versuchen, zwischen Lothringen und Deutschland den Verband
zu lockern, Versuche, welche treffliche Handhaben fanden in den Anwandlungen
der lothringischen Herrn. Denn es waren schwere Zeiten in Deutschland, und
schon damals mochte Schiller's treffender Ausspruch gelten:


Der Lothringer geht mit der großen Fluth,
Wo der leichte Sinn ist und lustiger Muth!

Ueberdieß aber wähnten diese Magnaten: gerade, eine schwankende Stellung
gewähre ihnen am meisten Aussicht auf Ungebundenheit, und waren nicht
eingedenk des -alten Wahrspruchs, daß wer sich zwischen zwei Stühle setzen
will, zu Boden fällt. — Daher geschah es, daß während der traurigen
Zerrüttung Deutschlands zur Zeit des Absterbens der Karolinger Lothringen sich
der französischen Krone gefällig neigte und Konrad von Franken, der erste Wahl¬
könig der Deutschen, das linksrheinische Gebiet dem Reich entfremdet fand.
Zwei Feldzüge unternahm er, um es wieder zu erwerben; aber er kämpfte
erfolglos; nur das alamannische Elsaß vermochte er der deutschen Krone zu



") Ein Theil der wcstftänkischcn Edelleute hatte Ludwig dem Jüngeren die Krone Frank¬
reichs angeboten und er folgte, aufgereizt von seiner ruhmliebmden Gemahlin Luitgard, dem
verführerischen Ruf. Doch stand er, als ihm ganz Lothringen abgetreten wurde, wieder von
dem bedenklichen Unternehmen ab, zumal sein Heer zwar tapfer und streitlustig, keineswegs aber
durch Mannszucht ausgezeichnet gewesen zu sein scheint, da es z. B. Verdun zügellos plün¬
derte und in Asche legte.
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[0415] tigem Söhne Ludwigs. Aber obgleich er jetzt die Kaiserkrone trug und ob¬ gleich er geschworen hatte, „ein so mächtiges Heer zusammenzubringen, daß seine Rosse den Rhein aussaufen sollten, damit er trockenen Fußes hinüber gehen und das Land zur Wüste machen könne," so gelang ihm doch ebenso wenig als das erste Mal. Der Heerbann der Rheinfranken, Thüringer und Sachsen bereitete ihm unter Ludwigs des Jüngeren Führung bei Andernach eine furchtbare Niederlage, und bald fühlte sich dieser König der Norddeut¬ schen stark, genug, den feindlichen Einfall durch einen Gegenstoß zu rächen. Im Jahre 879 geschah der erste Feldzug der Deutschen nach Frank¬ reich, und er war siegreich; er endete damit, daß nun das ganze Lothringen an Deutschland kam. *) Hierdurch war für die Zukunft eine staatsrechtliche Grundlage gegeben. Aber schon damals verschmerzten viele Franzosen nur schwer den Verlust des linksrheinischen Landes, um so mehr als an den Besitz von Aachen, dem Hoch¬ sitze „Charlemagne's", der Vorrang über alle andere Reiche und Völker ge¬ knüpft erschien. Auch die alte Vorstellung: Gallien habe sich bis zum Rheins ausgedehnt und sie, die Franzosen, seien Rechtsnachfolger der alten Gallier und müßten also ebenfalls bis zum Rheine herrschen, diese durchaus irrige Meinung wird bereits zu jener Zeit verbreitet. Sie spielt schon mit bei den nun folgenden Versuchen, zwischen Lothringen und Deutschland den Verband zu lockern, Versuche, welche treffliche Handhaben fanden in den Anwandlungen der lothringischen Herrn. Denn es waren schwere Zeiten in Deutschland, und schon damals mochte Schiller's treffender Ausspruch gelten: Der Lothringer geht mit der großen Fluth, Wo der leichte Sinn ist und lustiger Muth! Ueberdieß aber wähnten diese Magnaten: gerade, eine schwankende Stellung gewähre ihnen am meisten Aussicht auf Ungebundenheit, und waren nicht eingedenk des -alten Wahrspruchs, daß wer sich zwischen zwei Stühle setzen will, zu Boden fällt. — Daher geschah es, daß während der traurigen Zerrüttung Deutschlands zur Zeit des Absterbens der Karolinger Lothringen sich der französischen Krone gefällig neigte und Konrad von Franken, der erste Wahl¬ könig der Deutschen, das linksrheinische Gebiet dem Reich entfremdet fand. Zwei Feldzüge unternahm er, um es wieder zu erwerben; aber er kämpfte erfolglos; nur das alamannische Elsaß vermochte er der deutschen Krone zu ") Ein Theil der wcstftänkischcn Edelleute hatte Ludwig dem Jüngeren die Krone Frank¬ reichs angeboten und er folgte, aufgereizt von seiner ruhmliebmden Gemahlin Luitgard, dem verführerischen Ruf. Doch stand er, als ihm ganz Lothringen abgetreten wurde, wieder von dem bedenklichen Unternehmen ab, zumal sein Heer zwar tapfer und streitlustig, keineswegs aber durch Mannszucht ausgezeichnet gewesen zu sein scheint, da es z. B. Verdun zügellos plün¬ derte und in Asche legte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/415>, abgerufen am 23.07.2024.