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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Jeldzuge gegen Frankreich.
Von Max Jähns.
I.

Als am Gründonnerstage d. I. 817 Kaiser Ludwig der Fromme, nach¬
dem er im Aachener Münster Messe gehört, mit stattlichem Gefolge den
schwebenden Säulengang durchschritt, welcher Kronkirche und Palas verband,
da brach plötzlich dieser leichte Bau zusammen und der ganze Zug stürzte in
den Hof hinab. Zwar der Kaiser war nur wenig beschädigt; aber dennoch gewann
dieser Unfall eine Wichtigkeit, welche es wohl zuläßt, sich seiner auch heut noch zu
erinnern. Denn den frommen Ludwig durchschütterte jener Sturz wie ein
mahnendes Nomeuto mori! Er gedachte, fein Haus zu bestellen, und, er¬
füllt von der Betrachtung menschlicher Gebrechlichkeit, faßte er kleinmüthige
Entschlüsse. Nicht nur, schon bei Lebzeiten, Theilung der Kaiserwürde mit
seinem Erstgeborenen Lothar, sondern überhaupt Theilung des Reiches unter
seine Söhne -- und auf diesem Beschlusse beruht die Grundgestaltung alles
abendländischen Staatenlebens bis zum heutigen Tage; er bedingte die Ent¬
stehung von Deutschland und Frankreich, und ihm entsprang Anlaß und
Preis des nun tausendjährigen Streites dieser beiden Reiche.

Denn kaum irgend ein anderer der sich periodisch wiederholenden Völker¬
kämpfe ist mit solcher Bestimmtheit und Deutlichkeit auf seine Quelle zurück¬
zuführen wie dies sich in drei großen Zeitabschnitten erneuernde Ringen
zwischen Franzosen und Deutschen, und es ist weltbekannt, daß die Theilung
des karolingischen Reiches eben diese Quelle ist, jene Dreitheilung, welche
nach empörenden Kriegen der Söhne gegen den Bater, der Brüder unter ein¬
ander, ihre Besiegelung fand in dem berühmten Vertrage von Verdun, wel¬
chen Kaiser Lothar und die Könige Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche
i. I. 843 abgeschlossen haben. Dadurch, daß dieser Vertrag zwischen den
nationalen Volksstaaten romanischer und deutscher Zunge, welche Karl und
Ludwig zufielen, ein gemischtes Gebiet einschaltete, wurde ewiger Zwietracht


Grciizlwtcn I. 1871. 52
Deutsche Jeldzuge gegen Frankreich.
Von Max Jähns.
I.

Als am Gründonnerstage d. I. 817 Kaiser Ludwig der Fromme, nach¬
dem er im Aachener Münster Messe gehört, mit stattlichem Gefolge den
schwebenden Säulengang durchschritt, welcher Kronkirche und Palas verband,
da brach plötzlich dieser leichte Bau zusammen und der ganze Zug stürzte in
den Hof hinab. Zwar der Kaiser war nur wenig beschädigt; aber dennoch gewann
dieser Unfall eine Wichtigkeit, welche es wohl zuläßt, sich seiner auch heut noch zu
erinnern. Denn den frommen Ludwig durchschütterte jener Sturz wie ein
mahnendes Nomeuto mori! Er gedachte, fein Haus zu bestellen, und, er¬
füllt von der Betrachtung menschlicher Gebrechlichkeit, faßte er kleinmüthige
Entschlüsse. Nicht nur, schon bei Lebzeiten, Theilung der Kaiserwürde mit
seinem Erstgeborenen Lothar, sondern überhaupt Theilung des Reiches unter
seine Söhne — und auf diesem Beschlusse beruht die Grundgestaltung alles
abendländischen Staatenlebens bis zum heutigen Tage; er bedingte die Ent¬
stehung von Deutschland und Frankreich, und ihm entsprang Anlaß und
Preis des nun tausendjährigen Streites dieser beiden Reiche.

Denn kaum irgend ein anderer der sich periodisch wiederholenden Völker¬
kämpfe ist mit solcher Bestimmtheit und Deutlichkeit auf seine Quelle zurück¬
zuführen wie dies sich in drei großen Zeitabschnitten erneuernde Ringen
zwischen Franzosen und Deutschen, und es ist weltbekannt, daß die Theilung
des karolingischen Reiches eben diese Quelle ist, jene Dreitheilung, welche
nach empörenden Kriegen der Söhne gegen den Bater, der Brüder unter ein¬
ander, ihre Besiegelung fand in dem berühmten Vertrage von Verdun, wel¬
chen Kaiser Lothar und die Könige Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche
i. I. 843 abgeschlossen haben. Dadurch, daß dieser Vertrag zwischen den
nationalen Volksstaaten romanischer und deutscher Zunge, welche Karl und
Ludwig zufielen, ein gemischtes Gebiet einschaltete, wurde ewiger Zwietracht


Grciizlwtcn I. 1871. 52
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[0413] Deutsche Jeldzuge gegen Frankreich. Von Max Jähns. I. Als am Gründonnerstage d. I. 817 Kaiser Ludwig der Fromme, nach¬ dem er im Aachener Münster Messe gehört, mit stattlichem Gefolge den schwebenden Säulengang durchschritt, welcher Kronkirche und Palas verband, da brach plötzlich dieser leichte Bau zusammen und der ganze Zug stürzte in den Hof hinab. Zwar der Kaiser war nur wenig beschädigt; aber dennoch gewann dieser Unfall eine Wichtigkeit, welche es wohl zuläßt, sich seiner auch heut noch zu erinnern. Denn den frommen Ludwig durchschütterte jener Sturz wie ein mahnendes Nomeuto mori! Er gedachte, fein Haus zu bestellen, und, er¬ füllt von der Betrachtung menschlicher Gebrechlichkeit, faßte er kleinmüthige Entschlüsse. Nicht nur, schon bei Lebzeiten, Theilung der Kaiserwürde mit seinem Erstgeborenen Lothar, sondern überhaupt Theilung des Reiches unter seine Söhne — und auf diesem Beschlusse beruht die Grundgestaltung alles abendländischen Staatenlebens bis zum heutigen Tage; er bedingte die Ent¬ stehung von Deutschland und Frankreich, und ihm entsprang Anlaß und Preis des nun tausendjährigen Streites dieser beiden Reiche. Denn kaum irgend ein anderer der sich periodisch wiederholenden Völker¬ kämpfe ist mit solcher Bestimmtheit und Deutlichkeit auf seine Quelle zurück¬ zuführen wie dies sich in drei großen Zeitabschnitten erneuernde Ringen zwischen Franzosen und Deutschen, und es ist weltbekannt, daß die Theilung des karolingischen Reiches eben diese Quelle ist, jene Dreitheilung, welche nach empörenden Kriegen der Söhne gegen den Bater, der Brüder unter ein¬ ander, ihre Besiegelung fand in dem berühmten Vertrage von Verdun, wel¬ chen Kaiser Lothar und die Könige Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche i. I. 843 abgeschlossen haben. Dadurch, daß dieser Vertrag zwischen den nationalen Volksstaaten romanischer und deutscher Zunge, welche Karl und Ludwig zufielen, ein gemischtes Gebiet einschaltete, wurde ewiger Zwietracht Grciizlwtcn I. 1871. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/413>, abgerufen am 22.07.2024.