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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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liegt ein von den Altconservativen wohl ausgebeutetes, gefährlich-egoistisches
Moment in der landwirtschaftlichen Bewegung von heute, wie dieselbe an
einigen Stellen aufgefaßt wird. Gegenüber den betreffenden Expectorationen
des Abgeordneten von Goldberg, vereinigten sich die Stimmen vieler, ihrem
Berufe nach selbst als Landwirthe thätigen, Abgeordneten zu einhelligem Pro¬
test. Daß es vor Allem auch Freiconservative waren, die hier den feudal-
reactionären Tendenzen die Spitzen boten, wird die Partei, die in den ein¬
zelnen büreaukratischen Ressorts der specifisch-preußischen Verwaltung schon
jetzt sehr viel Feinde hat, wohl entgelten müssen. Allein die immer mächti¬
ger wirkenden Ideen der Selbstverwaltung und gleichmäßigen Steuer¬
vertheilung sind eine Bürgschaft dafür, daß der sie hochhaltende freiconserva¬
tive Bestandtheil unserer künftigen Reichspartei seinen Einfluß nicht ver¬
<Z/I. lieren wird.




Me Behandlung der bayrischen Verträge.

Wie im leiblichen Organismus, so treten auch im Leben des Staates
Momente ein, wo die gleichförmige und stetige Entwickelung einer raschen und
plötzlichen Umgestaltung weicht. Diese Augenblicke zu schaffen, ist die höchste
Probe staatsmännischen'Talents; sie zu acceptiren ist Pflicht jeder einsich¬
tigen Regierung.

Ein solcher organischer Wendepunkt trat für die staatliche Zukunft von
Bayern ein, als die Verträge von Versailles geschlossen wurden. Mit weit¬
sichtigen Blicke, mit schöpferischer Hand hatte Bismarck dieselben vorbereitet,
mit würdevoller Einsicht ward die bayrische Staatsregierung der Lage gerecht;
es handelte sich nunmehr darum, daß auch das Volk diese Einsicht theilte,
daß seine Vertreter das freiwillig entgegennähmen, was nothwendig ge¬
worden war.

Die Verträge von Versailles sind für die Zukunft unseres Landes von
so immenser Bedeutung, daß man sie, selbst isolirt betrachtet, als ein hoch¬
politisches Ereigniß in dieser Fülle großer Erlebnisse bezeichnen darf. Die ge¬
stimmte nationale Bewegung des Landes, die ganze parlamentarische Thätig¬
keit der Kammer krystallisirte sich um diesen Kern, und so mag wohl ge¬
rechtfertigt erscheinen, wenn wir auch hier die gesammte politische Action, die
auf diese Frage Bezug hat, in ein gemeinsames Bild zusammenfassen.

Daß wirklich eine Krisis für Bayern gekommen war, das fühlten alle
Parteien mit schlagender Entschiedenheit, so verschieden man noch über die
Art der Lösung dachte. Die Nationalliberalen wußten, was wir in diesem
Augenblicke zu'verlieren hatten, die Patrioten glaubten zu wissen, daß ihnen
niemals ein größerer Gewinn veschieden war, als wenn sie jetzt unter der
Maske des Rettungsengels Revolution machten. So standen daher die Ge-


liegt ein von den Altconservativen wohl ausgebeutetes, gefährlich-egoistisches
Moment in der landwirtschaftlichen Bewegung von heute, wie dieselbe an
einigen Stellen aufgefaßt wird. Gegenüber den betreffenden Expectorationen
des Abgeordneten von Goldberg, vereinigten sich die Stimmen vieler, ihrem
Berufe nach selbst als Landwirthe thätigen, Abgeordneten zu einhelligem Pro¬
test. Daß es vor Allem auch Freiconservative waren, die hier den feudal-
reactionären Tendenzen die Spitzen boten, wird die Partei, die in den ein¬
zelnen büreaukratischen Ressorts der specifisch-preußischen Verwaltung schon
jetzt sehr viel Feinde hat, wohl entgelten müssen. Allein die immer mächti¬
ger wirkenden Ideen der Selbstverwaltung und gleichmäßigen Steuer¬
vertheilung sind eine Bürgschaft dafür, daß der sie hochhaltende freiconserva¬
tive Bestandtheil unserer künftigen Reichspartei seinen Einfluß nicht ver¬
<Z/I. lieren wird.




Me Behandlung der bayrischen Verträge.

Wie im leiblichen Organismus, so treten auch im Leben des Staates
Momente ein, wo die gleichförmige und stetige Entwickelung einer raschen und
plötzlichen Umgestaltung weicht. Diese Augenblicke zu schaffen, ist die höchste
Probe staatsmännischen'Talents; sie zu acceptiren ist Pflicht jeder einsich¬
tigen Regierung.

Ein solcher organischer Wendepunkt trat für die staatliche Zukunft von
Bayern ein, als die Verträge von Versailles geschlossen wurden. Mit weit¬
sichtigen Blicke, mit schöpferischer Hand hatte Bismarck dieselben vorbereitet,
mit würdevoller Einsicht ward die bayrische Staatsregierung der Lage gerecht;
es handelte sich nunmehr darum, daß auch das Volk diese Einsicht theilte,
daß seine Vertreter das freiwillig entgegennähmen, was nothwendig ge¬
worden war.

Die Verträge von Versailles sind für die Zukunft unseres Landes von
so immenser Bedeutung, daß man sie, selbst isolirt betrachtet, als ein hoch¬
politisches Ereigniß in dieser Fülle großer Erlebnisse bezeichnen darf. Die ge¬
stimmte nationale Bewegung des Landes, die ganze parlamentarische Thätig¬
keit der Kammer krystallisirte sich um diesen Kern, und so mag wohl ge¬
rechtfertigt erscheinen, wenn wir auch hier die gesammte politische Action, die
auf diese Frage Bezug hat, in ein gemeinsames Bild zusammenfassen.

Daß wirklich eine Krisis für Bayern gekommen war, das fühlten alle
Parteien mit schlagender Entschiedenheit, so verschieden man noch über die
Art der Lösung dachte. Die Nationalliberalen wußten, was wir in diesem
Augenblicke zu'verlieren hatten, die Patrioten glaubten zu wissen, daß ihnen
niemals ein größerer Gewinn veschieden war, als wenn sie jetzt unter der
Maske des Rettungsengels Revolution machten. So standen daher die Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/195>, abgerufen am 22.07.2024.