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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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denn es sollte der Fels sein, der den aufgeregten und vernichtenden Elementen
widerstehen sollte; aber nun zuerst wurde es auch von diesen überfluthet.
Keine größere bewaffnete Macht der Erde wechselte ihre Oberhäupter so oft
und jäh, wie die französische, denn in einem Zeitraum von achtzig Jahren
diente diese in fortlaufendem Regierungswechsel zweimal einem Kaiser, drei¬
mal einem König und dreimal dem Präsidenten oder vielmehr den Reprä¬
sentanten einer Republik. Dabei waren die Gegensätze so schroff, daß von
einem allmählichen Uebergang keine Rede sein konnte. Ein und derselbe Offizier
oder Soldat ließ heute den König, morgen den Kaiser', nach wenigen Mo¬
naten wieder den König und nach wenigen Jahren die Republik leben. Von
einer aufrichtigen und aufopfernden Hingebung für das Staatsoberhaupt, so¬
mit auch seine höchsten Führer, konnte hiernach kaum die Rede sein ; im Gegen¬
theil focht der Offizier heute gleichgültig gegen den, welchem er gestern noch
gehorcht, für den er vielleicht geschwärmt hatte. Den Ruf, den der Deutsche
in den Jahren der Drangsal und des erbittertsten Kampfes aus treuer und
muthiger Brust erschallen ließ: "Mit Gott für König und Vater¬
land!" kennt der Franzose in seiner hohen Bedeutung und seinem innigen
Zusammenhange nicht. Dafür ist ihm aber eine seltene Liebe und Anhäng¬
lichkeit an sein Vaterland nicht abzusprechen.

Was noch in den äußeren Verhältnissen bedingt bleibt, ist das Naturell
des französischen Soldaten und die dabei mitangeborene Beweglichkeit. Aus
ihm wird nie der stramme, aufmerksame und dabei disciplinirte Krieger
herauszuarbeiten sein, wie aus dem germanischen Element. Somit läßt sich
der Franzose auch leichter zur Insubordination, ja zum Exceß hinreißen, wie
der Deutsche. In seinen Reihen ist daher die Mannszucht schwer aufrecht zu
erhalten, die Stellung der Vorgesetzten schwieriger.

Das sind im Allgemeinen die äußeren wesentlichen Einflüsse auf den
französischen Soldaten und somit auch auf das Heer. Wenden wir uns nun
den innern Zuständen des französischen Heeres, und zwar zunächst der For¬
mation oder der taktischen Gliederung desselben zu, so ist einleuchtend, daß
diese nicht nur für Militärs, sondern für einen weiteren Leserkreis geschriebene
Abhandlung nur auf allgemeinere Gesichtspunkte, nicht auf das Speciellere
eingehen kann.

Es ist nicht zu verkennen, daß der Kaiser Napolon III- viel für das
Heer gethan hat, namentlich wenn man erwägt, was dieses vor ihm,
besonders unter seinem Vorgänger, dem "Bürgerkönig" Louis Philippe
war. Er machte, wie schon oben erwähnt, auch sofort die Nutzanwendung
in den durch ihn angezettelten Kriegen. Er und Frankreich glaubten das
Ihre in dieser Beziehung gethan zu haben, als man plötzlich nach dem preu-
Mch-östreichischen Kriege von 1866 eines Andern belehrt wurde. Bei allem


denn es sollte der Fels sein, der den aufgeregten und vernichtenden Elementen
widerstehen sollte; aber nun zuerst wurde es auch von diesen überfluthet.
Keine größere bewaffnete Macht der Erde wechselte ihre Oberhäupter so oft
und jäh, wie die französische, denn in einem Zeitraum von achtzig Jahren
diente diese in fortlaufendem Regierungswechsel zweimal einem Kaiser, drei¬
mal einem König und dreimal dem Präsidenten oder vielmehr den Reprä¬
sentanten einer Republik. Dabei waren die Gegensätze so schroff, daß von
einem allmählichen Uebergang keine Rede sein konnte. Ein und derselbe Offizier
oder Soldat ließ heute den König, morgen den Kaiser', nach wenigen Mo¬
naten wieder den König und nach wenigen Jahren die Republik leben. Von
einer aufrichtigen und aufopfernden Hingebung für das Staatsoberhaupt, so¬
mit auch seine höchsten Führer, konnte hiernach kaum die Rede sein ; im Gegen¬
theil focht der Offizier heute gleichgültig gegen den, welchem er gestern noch
gehorcht, für den er vielleicht geschwärmt hatte. Den Ruf, den der Deutsche
in den Jahren der Drangsal und des erbittertsten Kampfes aus treuer und
muthiger Brust erschallen ließ: „Mit Gott für König und Vater¬
land!" kennt der Franzose in seiner hohen Bedeutung und seinem innigen
Zusammenhange nicht. Dafür ist ihm aber eine seltene Liebe und Anhäng¬
lichkeit an sein Vaterland nicht abzusprechen.

Was noch in den äußeren Verhältnissen bedingt bleibt, ist das Naturell
des französischen Soldaten und die dabei mitangeborene Beweglichkeit. Aus
ihm wird nie der stramme, aufmerksame und dabei disciplinirte Krieger
herauszuarbeiten sein, wie aus dem germanischen Element. Somit läßt sich
der Franzose auch leichter zur Insubordination, ja zum Exceß hinreißen, wie
der Deutsche. In seinen Reihen ist daher die Mannszucht schwer aufrecht zu
erhalten, die Stellung der Vorgesetzten schwieriger.

Das sind im Allgemeinen die äußeren wesentlichen Einflüsse auf den
französischen Soldaten und somit auch auf das Heer. Wenden wir uns nun
den innern Zuständen des französischen Heeres, und zwar zunächst der For¬
mation oder der taktischen Gliederung desselben zu, so ist einleuchtend, daß
diese nicht nur für Militärs, sondern für einen weiteren Leserkreis geschriebene
Abhandlung nur auf allgemeinere Gesichtspunkte, nicht auf das Speciellere
eingehen kann.

Es ist nicht zu verkennen, daß der Kaiser Napolon III- viel für das
Heer gethan hat, namentlich wenn man erwägt, was dieses vor ihm,
besonders unter seinem Vorgänger, dem „Bürgerkönig" Louis Philippe
war. Er machte, wie schon oben erwähnt, auch sofort die Nutzanwendung
in den durch ihn angezettelten Kriegen. Er und Frankreich glaubten das
Ihre in dieser Beziehung gethan zu haben, als man plötzlich nach dem preu-
Mch-östreichischen Kriege von 1866 eines Andern belehrt wurde. Bei allem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/146>, abgerufen am 23.07.2024.