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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Denkschrift nirgends. Dort sind, die Sympathien für den Anschluß an
Frankreich schon seit 1848 niemals verhehlt worden. Als die italienischen
Heere unter Carlo Alberto siegreich durch die Lombardei und Venetien zogen,
jubelten die Savoyarden dem französischen Heere zu, das die ländergierige
französische Republik an der verlassenen Nordwestgrenze Piemonts zum Einfall
nach Savoyen anhäufte, ja bewaffnete Kundgebungen für den Anschluß an
Frankreich blieben in Savoyen nicht aus. Nur durch die Person des Herr¬
schers hing das Stammland der Könige von Italien noch mit dem italieni¬
schen Staate zusammen. Daher fand auch die Annexion Savoyens an Frank¬
reich im Jahr 1860 nur äußerst geringes Widerstreben in der Bevölkerung.
Sitten, Zeitungen, selbst die Sprache der Savoyarden waren schon lange
zuvor halb französisch gewesen.

Anders in der Grafschaft Nizza. Hier saß ein rein italienischer Stamm,
der von 1830 bis 1848 selbst lieber die hausbackne Prosa des piemontesischen
Regimentes ertrug, als den constitutionellen Freiheitsverlockungen der Fran¬
zosen Raum gab. Selbst die einzige Zeitung in französischer Sprache, welche
damals in Nizza erschien, mit geheimen französischen Sympathien, konnte nicht
anders Abonnenten werben, als durch die Versicherung: "nous sommes ass
Italiens as s-nig et et<z coeur." Das reizte den ehrwürdigen Grafen Terenzio
Mamiani zu einem offenen Brief an die Zeitung, in dem er u. A. sagte:
"Ihr versichert uns, daß Ihr Italiener von Blut und Herzen seid? und das sagt
Ihr in fremder Sprache? Nimmermehr seid Ihr Italiener." Das Schicksal
wollte freilich, daß derselbe Patriot im Jahr 1860 Mitglied des Ministeriums
Cavour war, das dem italienischen Parlament die Abtretung Nizzas an Frank¬
reich vorschlagen mußte. Er war es sogar, der damals die Jnterpellation
Garibaldi's beantwortete. Ebensowenig vermochte die Februarrevolution von
1848 und die Errichtung der Republik in Frankreich die Nizzarden für Anschluß
an Frankreich zu erwärmen. Im Gegentheil hat die Stadt und Grafschaft Nizza
ihren redlichen Antheil zu den Kämpfern des italienischen Unabhängigkeits¬
krieges gestellt. Schon auf den Barrieaden von Mailand fiel der Nizzarde
Anfossi; über 600 Söhne der Stadt eilten unter die lombardischen Freiwilli¬
genbataillone; an Heerführern stellte die Stadt den Helden von Goito, Lyons,
den jüngeren Anfossi, und vor Allem Garibaldi. Erst als die Erfolge der
italienischen Waffen im Niedergang begriffen waren, wagte sich das französi¬
sche Organ in Nizza mit seinen stillen Neigungen hervor -- aber sehr zur
Unzeit auch jetzt noch. Es erweckte lebhafte italienische Gegendemonstrationen
der Landwehr und Bevölkerung auf dem offenen Markte der Stadt, dann
wurde das Schild der Zeitungserpedition heruntergerissen, und "unter Jubel¬
geschrei verbrannt." Das Nizza-Comite bezeichnet diese etwas kindische Aeuße¬
rung des italienischen Nationalgefühls als "derbe Lection gegen die separa-


Denkschrift nirgends. Dort sind, die Sympathien für den Anschluß an
Frankreich schon seit 1848 niemals verhehlt worden. Als die italienischen
Heere unter Carlo Alberto siegreich durch die Lombardei und Venetien zogen,
jubelten die Savoyarden dem französischen Heere zu, das die ländergierige
französische Republik an der verlassenen Nordwestgrenze Piemonts zum Einfall
nach Savoyen anhäufte, ja bewaffnete Kundgebungen für den Anschluß an
Frankreich blieben in Savoyen nicht aus. Nur durch die Person des Herr¬
schers hing das Stammland der Könige von Italien noch mit dem italieni¬
schen Staate zusammen. Daher fand auch die Annexion Savoyens an Frank¬
reich im Jahr 1860 nur äußerst geringes Widerstreben in der Bevölkerung.
Sitten, Zeitungen, selbst die Sprache der Savoyarden waren schon lange
zuvor halb französisch gewesen.

Anders in der Grafschaft Nizza. Hier saß ein rein italienischer Stamm,
der von 1830 bis 1848 selbst lieber die hausbackne Prosa des piemontesischen
Regimentes ertrug, als den constitutionellen Freiheitsverlockungen der Fran¬
zosen Raum gab. Selbst die einzige Zeitung in französischer Sprache, welche
damals in Nizza erschien, mit geheimen französischen Sympathien, konnte nicht
anders Abonnenten werben, als durch die Versicherung: „nous sommes ass
Italiens as s-nig et et<z coeur." Das reizte den ehrwürdigen Grafen Terenzio
Mamiani zu einem offenen Brief an die Zeitung, in dem er u. A. sagte:
„Ihr versichert uns, daß Ihr Italiener von Blut und Herzen seid? und das sagt
Ihr in fremder Sprache? Nimmermehr seid Ihr Italiener." Das Schicksal
wollte freilich, daß derselbe Patriot im Jahr 1860 Mitglied des Ministeriums
Cavour war, das dem italienischen Parlament die Abtretung Nizzas an Frank¬
reich vorschlagen mußte. Er war es sogar, der damals die Jnterpellation
Garibaldi's beantwortete. Ebensowenig vermochte die Februarrevolution von
1848 und die Errichtung der Republik in Frankreich die Nizzarden für Anschluß
an Frankreich zu erwärmen. Im Gegentheil hat die Stadt und Grafschaft Nizza
ihren redlichen Antheil zu den Kämpfern des italienischen Unabhängigkeits¬
krieges gestellt. Schon auf den Barrieaden von Mailand fiel der Nizzarde
Anfossi; über 600 Söhne der Stadt eilten unter die lombardischen Freiwilli¬
genbataillone; an Heerführern stellte die Stadt den Helden von Goito, Lyons,
den jüngeren Anfossi, und vor Allem Garibaldi. Erst als die Erfolge der
italienischen Waffen im Niedergang begriffen waren, wagte sich das französi¬
sche Organ in Nizza mit seinen stillen Neigungen hervor — aber sehr zur
Unzeit auch jetzt noch. Es erweckte lebhafte italienische Gegendemonstrationen
der Landwehr und Bevölkerung auf dem offenen Markte der Stadt, dann
wurde das Schild der Zeitungserpedition heruntergerissen, und „unter Jubel¬
geschrei verbrannt." Das Nizza-Comite bezeichnet diese etwas kindische Aeuße¬
rung des italienischen Nationalgefühls als „derbe Lection gegen die separa-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/131>, abgerufen am 23.07.2024.