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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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sich ein Publieum zu machen, nicht jedem dieser Blätter glückte, durch eine
Angriffsdrohung eine Betheiligung bei größeren Emissionen herauszupressen;
und dennoch waren sie im Stande, ihren Mann zu ernähren und ihm eine
oft relativ glänzende Stellung zu verschaffen. Der Schlüssel zum Geheimniß
lag in den Inseraten. Erhielt man keine Betheiligung, so erbettelte man
wenigstens das stets reich bezahlte Inserat der neuen Anleihe oder Aktien¬
ausgabe, an denen es ja in keiner Woche mangelte. Außerdem aber waren
die großen Eisenbahngesellschaften dieser gesammten Afterpresse von vornherein
tributpflichtig. Jede dieser Bahn-Compagnien hatte soviel Werg am Rocken,
so viel zu vertuschen und zart zu behandeln, daß jede Stimme, welche die all¬
gemeine Harmonie hätte stören können, sorgsam ferngehalten werden mußte.
Es kam außerdem, bei der allgemeinen Höhe der Betriebskosten, so wenig auf
diesen kleinen journalistischen Preßfonds und seine > Vermehrung um einige
Tausend Franken an, daß man ohne Weiteres bei den Bahnverwaltungen
die Rechnungen für Inserate, betreffend die Compagnie, von Seiten der be¬
liebigsten Finanzjournale präsentiren konnte, und jedesmal sicher war. die Zah¬
lung nicht einen Moment beanstandet zu sehen. So konnte es kommen, daß
neulich noch, kurz vor Ausbruch dieses Krieges, an der Kasse der Ostbahn auf
dem Straßburger Bahnhofe kurz nacheinander drei Rechnungen verschiedener
Börsenzeitungen eingereicht und bezahlt wurden, bei denen eine zufällige Ver-
gleichung der Belegsblätter ergab, daß der Text in allen dreien genau Wort
für Wort derselbe war, daß man nur den Titel geändert und die ganze Pu¬
blication lediglich unternommen hatte, um vom Ertrage der Annoncen, die
mithin blos einer imaginären Verbreitung genossen, ruhig und in Frieden
leben und zehren zu können. I5t nun" vruäimini.




Kossand in Aoth.

Betrachten wir nun den Einfluß, welchen der Krieg auf uns ausgeübt
hat, so kann man vorläufig nur sagen, daß das Gefühl unserer Hilflosigkeit
recht deutlich hervorgetreten ist. Unsere Neutralität war uns von der Natur
angewiesen. Alles vereinigte sich im Verlangen nach derselben, trotz der sich
Anfangs aussprechenden verschiedensten Meinungen und Sympathien. Man
wußte nicht recht, wem man die letzteren zutragen sollte, man fürchtete sich
selbst durch das Aussprechen seiner Meinung die Neutralität des Staates


sich ein Publieum zu machen, nicht jedem dieser Blätter glückte, durch eine
Angriffsdrohung eine Betheiligung bei größeren Emissionen herauszupressen;
und dennoch waren sie im Stande, ihren Mann zu ernähren und ihm eine
oft relativ glänzende Stellung zu verschaffen. Der Schlüssel zum Geheimniß
lag in den Inseraten. Erhielt man keine Betheiligung, so erbettelte man
wenigstens das stets reich bezahlte Inserat der neuen Anleihe oder Aktien¬
ausgabe, an denen es ja in keiner Woche mangelte. Außerdem aber waren
die großen Eisenbahngesellschaften dieser gesammten Afterpresse von vornherein
tributpflichtig. Jede dieser Bahn-Compagnien hatte soviel Werg am Rocken,
so viel zu vertuschen und zart zu behandeln, daß jede Stimme, welche die all¬
gemeine Harmonie hätte stören können, sorgsam ferngehalten werden mußte.
Es kam außerdem, bei der allgemeinen Höhe der Betriebskosten, so wenig auf
diesen kleinen journalistischen Preßfonds und seine > Vermehrung um einige
Tausend Franken an, daß man ohne Weiteres bei den Bahnverwaltungen
die Rechnungen für Inserate, betreffend die Compagnie, von Seiten der be¬
liebigsten Finanzjournale präsentiren konnte, und jedesmal sicher war. die Zah¬
lung nicht einen Moment beanstandet zu sehen. So konnte es kommen, daß
neulich noch, kurz vor Ausbruch dieses Krieges, an der Kasse der Ostbahn auf
dem Straßburger Bahnhofe kurz nacheinander drei Rechnungen verschiedener
Börsenzeitungen eingereicht und bezahlt wurden, bei denen eine zufällige Ver-
gleichung der Belegsblätter ergab, daß der Text in allen dreien genau Wort
für Wort derselbe war, daß man nur den Titel geändert und die ganze Pu¬
blication lediglich unternommen hatte, um vom Ertrage der Annoncen, die
mithin blos einer imaginären Verbreitung genossen, ruhig und in Frieden
leben und zehren zu können. I5t nun« vruäimini.




Kossand in Aoth.

Betrachten wir nun den Einfluß, welchen der Krieg auf uns ausgeübt
hat, so kann man vorläufig nur sagen, daß das Gefühl unserer Hilflosigkeit
recht deutlich hervorgetreten ist. Unsere Neutralität war uns von der Natur
angewiesen. Alles vereinigte sich im Verlangen nach derselben, trotz der sich
Anfangs aussprechenden verschiedensten Meinungen und Sympathien. Man
wußte nicht recht, wem man die letzteren zutragen sollte, man fürchtete sich
selbst durch das Aussprechen seiner Meinung die Neutralität des Staates


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[0118] sich ein Publieum zu machen, nicht jedem dieser Blätter glückte, durch eine Angriffsdrohung eine Betheiligung bei größeren Emissionen herauszupressen; und dennoch waren sie im Stande, ihren Mann zu ernähren und ihm eine oft relativ glänzende Stellung zu verschaffen. Der Schlüssel zum Geheimniß lag in den Inseraten. Erhielt man keine Betheiligung, so erbettelte man wenigstens das stets reich bezahlte Inserat der neuen Anleihe oder Aktien¬ ausgabe, an denen es ja in keiner Woche mangelte. Außerdem aber waren die großen Eisenbahngesellschaften dieser gesammten Afterpresse von vornherein tributpflichtig. Jede dieser Bahn-Compagnien hatte soviel Werg am Rocken, so viel zu vertuschen und zart zu behandeln, daß jede Stimme, welche die all¬ gemeine Harmonie hätte stören können, sorgsam ferngehalten werden mußte. Es kam außerdem, bei der allgemeinen Höhe der Betriebskosten, so wenig auf diesen kleinen journalistischen Preßfonds und seine > Vermehrung um einige Tausend Franken an, daß man ohne Weiteres bei den Bahnverwaltungen die Rechnungen für Inserate, betreffend die Compagnie, von Seiten der be¬ liebigsten Finanzjournale präsentiren konnte, und jedesmal sicher war. die Zah¬ lung nicht einen Moment beanstandet zu sehen. So konnte es kommen, daß neulich noch, kurz vor Ausbruch dieses Krieges, an der Kasse der Ostbahn auf dem Straßburger Bahnhofe kurz nacheinander drei Rechnungen verschiedener Börsenzeitungen eingereicht und bezahlt wurden, bei denen eine zufällige Ver- gleichung der Belegsblätter ergab, daß der Text in allen dreien genau Wort für Wort derselbe war, daß man nur den Titel geändert und die ganze Pu¬ blication lediglich unternommen hatte, um vom Ertrage der Annoncen, die mithin blos einer imaginären Verbreitung genossen, ruhig und in Frieden leben und zehren zu können. I5t nun« vruäimini. Kossand in Aoth. Betrachten wir nun den Einfluß, welchen der Krieg auf uns ausgeübt hat, so kann man vorläufig nur sagen, daß das Gefühl unserer Hilflosigkeit recht deutlich hervorgetreten ist. Unsere Neutralität war uns von der Natur angewiesen. Alles vereinigte sich im Verlangen nach derselben, trotz der sich Anfangs aussprechenden verschiedensten Meinungen und Sympathien. Man wußte nicht recht, wem man die letzteren zutragen sollte, man fürchtete sich selbst durch das Aussprechen seiner Meinung die Neutralität des Staates

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/118>, abgerufen am 22.07.2024.