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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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bieten zu vollziehen sind; sie darf nie im Zweifel darüber sein, ob die Briefe
für all jene tausend Müller und Schultze bei einer Escadron, Compagnie,
Munitions- oder Feldbäckerei-Colonne da oder dorthin zu leiten sind; sie muß
den Standort jeder Truppe unter all den Nanteuil's, Clermont's, Villeneuve's,
ClMeau's oder wie die zahllosen gleichnamigen Orte in dem schönen Frank¬
reich sonst heißen mögen, sicher herausfinden -- ein wahres Problem für den
Laien! Und wenn nun die gefüllten Briefsäcke aus der Heimath ankommen,
beginnt im Felde die Arbeit der mobilen Feldpostanstalten. Die freundlichen
Zimmer der heimathlichen Postämter fehlen, an Stelle der bequemen Brief¬
fächer müssen oft Cigarrenkisten, statt der Sortirtische bloße Bretter oder die
Fußböden (bisweilen auch Billards) benutzt werden. Heute wird in einer
Kirche unter Heiligenbildern, morgen in der Kegelbahn oder in einer Scheune
gearbeitet, oft unter mißtrauischer Beobachtung von Seiten feindlich gesinnter
Hausbewohner. Manche Nacht muß am Lagerfeuer im Bivak oder bei
strömendem Regen auf dem Marsche zugebracht werden. Wenn der Donner
der Schlacht dröhnt, eilen flüchtige Boten der Feldpost durch die Reihen; es
gilt vielleicht die letzten Liebeszeichen zur Beförderung nach der Heimath ein¬
zusammeln. Manche Feldpostcorrespondenzkarte schreibt der Feldpostbeamte für
den sterbenden Kriegsmann; -- als letztes Vermächtniß der Treue eilen sie
zur Heimath. Wie viele Correspondenzkarten werden auf dem Rücken des
Kameraden -- oft auf Feldwache oder Vorposten -- geschrieben! Auf dem
Schlachtfelde bei Sedan bekam die Feldpost Tausende solcher Karten mit der
Siegesnachricht und beförderte sie nach Hause. Die Armee hat von diesen
Correspondenzkarten -- die in ihrer die Kürze bedingenden Gedrängtheit
gegenüber der althergebrachten Vielschreiberei eine wahrhafte Wohlthat sind
-- wohl an 12 Millionen ins Feld mitgenommen; sie finden sich in jedem
Tornister vor.

Den gesammten Organismus der Feldpost leitet das General-Postamt
des Norddeutschen Bundes -- wohl bald des Deutschen Reiches. Bei dieser
Behörde concentriren sich -- ähnlich wie beim Großen Generalstabe der Armee
die Kriegsoperationen -- alle auf das Feldpostwesen bezüglichen Geschäfte,
welche einen enormen Umfang haben. Dort wird das ganze Personal der Feld-
Post ausgewählt und auf bestimmte Punkte entsendet, dort das gesammte
Posttransportwesen für die Armee organisirt; es werden die Bedingungen
für Versendung der Feldpostbriefe und für die sonstigen Sendungen nach dem
Felde festgestellt; das weitverzweigte Getriebe des technischen Feldpostdienstes
erhält hier seine Normen. Es macht sich schwerlich Jemand einen Begriff
von den Aufgaben, welche die Leitung eines solchen Organismus mit sich
bringt. Unausgesetzt laufen telegraphische und schriftliche -- täglich nach
Hunderten zählende -- Rapporte der einzelnen Feldpostanstalten ein. Der


bieten zu vollziehen sind; sie darf nie im Zweifel darüber sein, ob die Briefe
für all jene tausend Müller und Schultze bei einer Escadron, Compagnie,
Munitions- oder Feldbäckerei-Colonne da oder dorthin zu leiten sind; sie muß
den Standort jeder Truppe unter all den Nanteuil's, Clermont's, Villeneuve's,
ClMeau's oder wie die zahllosen gleichnamigen Orte in dem schönen Frank¬
reich sonst heißen mögen, sicher herausfinden — ein wahres Problem für den
Laien! Und wenn nun die gefüllten Briefsäcke aus der Heimath ankommen,
beginnt im Felde die Arbeit der mobilen Feldpostanstalten. Die freundlichen
Zimmer der heimathlichen Postämter fehlen, an Stelle der bequemen Brief¬
fächer müssen oft Cigarrenkisten, statt der Sortirtische bloße Bretter oder die
Fußböden (bisweilen auch Billards) benutzt werden. Heute wird in einer
Kirche unter Heiligenbildern, morgen in der Kegelbahn oder in einer Scheune
gearbeitet, oft unter mißtrauischer Beobachtung von Seiten feindlich gesinnter
Hausbewohner. Manche Nacht muß am Lagerfeuer im Bivak oder bei
strömendem Regen auf dem Marsche zugebracht werden. Wenn der Donner
der Schlacht dröhnt, eilen flüchtige Boten der Feldpost durch die Reihen; es
gilt vielleicht die letzten Liebeszeichen zur Beförderung nach der Heimath ein¬
zusammeln. Manche Feldpostcorrespondenzkarte schreibt der Feldpostbeamte für
den sterbenden Kriegsmann; — als letztes Vermächtniß der Treue eilen sie
zur Heimath. Wie viele Correspondenzkarten werden auf dem Rücken des
Kameraden — oft auf Feldwache oder Vorposten — geschrieben! Auf dem
Schlachtfelde bei Sedan bekam die Feldpost Tausende solcher Karten mit der
Siegesnachricht und beförderte sie nach Hause. Die Armee hat von diesen
Correspondenzkarten — die in ihrer die Kürze bedingenden Gedrängtheit
gegenüber der althergebrachten Vielschreiberei eine wahrhafte Wohlthat sind
— wohl an 12 Millionen ins Feld mitgenommen; sie finden sich in jedem
Tornister vor.

Den gesammten Organismus der Feldpost leitet das General-Postamt
des Norddeutschen Bundes — wohl bald des Deutschen Reiches. Bei dieser
Behörde concentriren sich — ähnlich wie beim Großen Generalstabe der Armee
die Kriegsoperationen — alle auf das Feldpostwesen bezüglichen Geschäfte,
welche einen enormen Umfang haben. Dort wird das ganze Personal der Feld-
Post ausgewählt und auf bestimmte Punkte entsendet, dort das gesammte
Posttransportwesen für die Armee organisirt; es werden die Bedingungen
für Versendung der Feldpostbriefe und für die sonstigen Sendungen nach dem
Felde festgestellt; das weitverzweigte Getriebe des technischen Feldpostdienstes
erhält hier seine Normen. Es macht sich schwerlich Jemand einen Begriff
von den Aufgaben, welche die Leitung eines solchen Organismus mit sich
bringt. Unausgesetzt laufen telegraphische und schriftliche — täglich nach
Hunderten zählende — Rapporte der einzelnen Feldpostanstalten ein. Der


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[0109] bieten zu vollziehen sind; sie darf nie im Zweifel darüber sein, ob die Briefe für all jene tausend Müller und Schultze bei einer Escadron, Compagnie, Munitions- oder Feldbäckerei-Colonne da oder dorthin zu leiten sind; sie muß den Standort jeder Truppe unter all den Nanteuil's, Clermont's, Villeneuve's, ClMeau's oder wie die zahllosen gleichnamigen Orte in dem schönen Frank¬ reich sonst heißen mögen, sicher herausfinden — ein wahres Problem für den Laien! Und wenn nun die gefüllten Briefsäcke aus der Heimath ankommen, beginnt im Felde die Arbeit der mobilen Feldpostanstalten. Die freundlichen Zimmer der heimathlichen Postämter fehlen, an Stelle der bequemen Brief¬ fächer müssen oft Cigarrenkisten, statt der Sortirtische bloße Bretter oder die Fußböden (bisweilen auch Billards) benutzt werden. Heute wird in einer Kirche unter Heiligenbildern, morgen in der Kegelbahn oder in einer Scheune gearbeitet, oft unter mißtrauischer Beobachtung von Seiten feindlich gesinnter Hausbewohner. Manche Nacht muß am Lagerfeuer im Bivak oder bei strömendem Regen auf dem Marsche zugebracht werden. Wenn der Donner der Schlacht dröhnt, eilen flüchtige Boten der Feldpost durch die Reihen; es gilt vielleicht die letzten Liebeszeichen zur Beförderung nach der Heimath ein¬ zusammeln. Manche Feldpostcorrespondenzkarte schreibt der Feldpostbeamte für den sterbenden Kriegsmann; — als letztes Vermächtniß der Treue eilen sie zur Heimath. Wie viele Correspondenzkarten werden auf dem Rücken des Kameraden — oft auf Feldwache oder Vorposten — geschrieben! Auf dem Schlachtfelde bei Sedan bekam die Feldpost Tausende solcher Karten mit der Siegesnachricht und beförderte sie nach Hause. Die Armee hat von diesen Correspondenzkarten — die in ihrer die Kürze bedingenden Gedrängtheit gegenüber der althergebrachten Vielschreiberei eine wahrhafte Wohlthat sind — wohl an 12 Millionen ins Feld mitgenommen; sie finden sich in jedem Tornister vor. Den gesammten Organismus der Feldpost leitet das General-Postamt des Norddeutschen Bundes — wohl bald des Deutschen Reiches. Bei dieser Behörde concentriren sich — ähnlich wie beim Großen Generalstabe der Armee die Kriegsoperationen — alle auf das Feldpostwesen bezüglichen Geschäfte, welche einen enormen Umfang haben. Dort wird das ganze Personal der Feld- Post ausgewählt und auf bestimmte Punkte entsendet, dort das gesammte Posttransportwesen für die Armee organisirt; es werden die Bedingungen für Versendung der Feldpostbriefe und für die sonstigen Sendungen nach dem Felde festgestellt; das weitverzweigte Getriebe des technischen Feldpostdienstes erhält hier seine Normen. Es macht sich schwerlich Jemand einen Begriff von den Aufgaben, welche die Leitung eines solchen Organismus mit sich bringt. Unausgesetzt laufen telegraphische und schriftliche — täglich nach Hunderten zählende — Rapporte der einzelnen Feldpostanstalten ein. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/109>, abgerufen am 23.07.2024.