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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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gewesen: da ward der deutsche Boden frei, da ward die Hälfte unseres
Volkes, die bisher noch dem fremden Willen Unterthan gewesen, durch den
Heldenkampf der anderen Hälfte sich selber zurückgegeben. Es kann unser
Auge verletzen, wenn wir auf der Brust des sächsischen Veteranen, der den
Napoleonsstein bei Stötteritz behütet, die Helenamedaille wahrnehmen; wenn
er aber erzählt: "da und dann war's, daß wir übergingen zu den Deutschen",
so wird uns eben hieraus am deutlichsten der unermeßliche Segen dieser
drangsalreichen Stunden klar. Und so darf man sich auch nicht verwundern,
wenn man in Baden oder der Rheinpfalz dann und wann am 18ten Okto¬
ber die fröhlichen Böllerschüsse von den Weinbergen hernieder durch die
Abendstille dröhnen hört; in die Freuden der Weinlese mischt sich der auf"
richtig jubelnde Dank für jene große Freiheitslese, daran ihnen zwar nicht
mitzuarbeiten, aber um so mehr mitzugenießen vergönnt war.

Es hat freilich die hervorstechende Pflege der Leipziger Gedächtnißfeier
auch eine negative Seite, die sich gegen die folgenden glorreichen Kämpfe
unserer Heere in Frankreich selber wendet. Die Franzosen fordern Revanche
nicht für Leipzig, sondern für Waterloo, das doch auch nicht auf'Frankreichs
Erde liegt. Lor" loin Mmais v'attristera. mes vers! ruft Be'ranger in einem
seiner schönsten Lieder aus. Wie kommt es, daß sein Name da so selten
die Lieder unserer Dichter freudig belebt hat? Die ferne Lage in der
Fremde kann allein den Schlachtfeldern von 1814 und Is ihren Ruhm in
unserem Volke nicht kürzen, von Sedan oder von Königgrätz wird es immer
und ewig zu erzählen wissen. Ich denke, es liegt das Gefühl dahinter ver¬
borgen, daß es der weiteren Kriegsarbeit an dauerndem Ertrage gefehlt hat;
sie hat bekräftigt, was wir schon bei Leipzig erstritten hatten, die Freiheit
deutscher Erde, soweit sie Napoleon zuvor unterjocht hatte; andere Güter
aber drinnen oder draußen haben uns weder la Rothiöre und Laon noch
Belle-Alliance gebracht. --

Ein geistreicher deutscher Historiker hat vor Jahren "Vorlesungen über
die Freiheitskriege" herausgegeben. Wer sie heut in die Hand nimmt, ohne
sie zu kennen, wird von dem späteren Biographen Uork's von Wartenberg
erwarten, daß er die Jahre 1813--15 darin dargestellt habe. Allein auf ein
unendlich weiteres Feld steht sich der Leser da geführt. Von dem Abfalle
der 13 vereinigten Staaten Nordamerika's von England bis zu den letzten
napoleonischen Kämpfen und ihren Nachwirkungen, diesmal im spanischen
Amerika, -- das alles begreift Droysen unter dem Namen der Freiheitskriege.
Man ist sonst gewohnt, dies Zeitalter das der Revolution zu nennen. Allein
Revolutionen erschütterten auch nachmals noch die friedlichen Jahre des ge¬
selligen Schlummers der heiligen Allianz. Erwägt man den durchweg krie-
gerischen Charakter jener Epoche von 1775 bis 1815, so erweist sich der


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gewesen: da ward der deutsche Boden frei, da ward die Hälfte unseres
Volkes, die bisher noch dem fremden Willen Unterthan gewesen, durch den
Heldenkampf der anderen Hälfte sich selber zurückgegeben. Es kann unser
Auge verletzen, wenn wir auf der Brust des sächsischen Veteranen, der den
Napoleonsstein bei Stötteritz behütet, die Helenamedaille wahrnehmen; wenn
er aber erzählt: „da und dann war's, daß wir übergingen zu den Deutschen",
so wird uns eben hieraus am deutlichsten der unermeßliche Segen dieser
drangsalreichen Stunden klar. Und so darf man sich auch nicht verwundern,
wenn man in Baden oder der Rheinpfalz dann und wann am 18ten Okto¬
ber die fröhlichen Böllerschüsse von den Weinbergen hernieder durch die
Abendstille dröhnen hört; in die Freuden der Weinlese mischt sich der auf«
richtig jubelnde Dank für jene große Freiheitslese, daran ihnen zwar nicht
mitzuarbeiten, aber um so mehr mitzugenießen vergönnt war.

Es hat freilich die hervorstechende Pflege der Leipziger Gedächtnißfeier
auch eine negative Seite, die sich gegen die folgenden glorreichen Kämpfe
unserer Heere in Frankreich selber wendet. Die Franzosen fordern Revanche
nicht für Leipzig, sondern für Waterloo, das doch auch nicht auf'Frankreichs
Erde liegt. Lor» loin Mmais v'attristera. mes vers! ruft Be'ranger in einem
seiner schönsten Lieder aus. Wie kommt es, daß sein Name da so selten
die Lieder unserer Dichter freudig belebt hat? Die ferne Lage in der
Fremde kann allein den Schlachtfeldern von 1814 und Is ihren Ruhm in
unserem Volke nicht kürzen, von Sedan oder von Königgrätz wird es immer
und ewig zu erzählen wissen. Ich denke, es liegt das Gefühl dahinter ver¬
borgen, daß es der weiteren Kriegsarbeit an dauerndem Ertrage gefehlt hat;
sie hat bekräftigt, was wir schon bei Leipzig erstritten hatten, die Freiheit
deutscher Erde, soweit sie Napoleon zuvor unterjocht hatte; andere Güter
aber drinnen oder draußen haben uns weder la Rothiöre und Laon noch
Belle-Alliance gebracht. —

Ein geistreicher deutscher Historiker hat vor Jahren „Vorlesungen über
die Freiheitskriege" herausgegeben. Wer sie heut in die Hand nimmt, ohne
sie zu kennen, wird von dem späteren Biographen Uork's von Wartenberg
erwarten, daß er die Jahre 1813—15 darin dargestellt habe. Allein auf ein
unendlich weiteres Feld steht sich der Leser da geführt. Von dem Abfalle
der 13 vereinigten Staaten Nordamerika's von England bis zu den letzten
napoleonischen Kämpfen und ihren Nachwirkungen, diesmal im spanischen
Amerika, — das alles begreift Droysen unter dem Namen der Freiheitskriege.
Man ist sonst gewohnt, dies Zeitalter das der Revolution zu nennen. Allein
Revolutionen erschütterten auch nachmals noch die friedlichen Jahre des ge¬
selligen Schlummers der heiligen Allianz. Erwägt man den durchweg krie-
gerischen Charakter jener Epoche von 1775 bis 1815, so erweist sich der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/91>, abgerufen am 22.12.2024.