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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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wie eine unliebsame Erinnerung erscheint, die er geflissentlich weit wegwirft,
um sein Neufranzosenthum gehörig zu legitimiren. -- Und doch dürfen wir
jetzt schon kühnlich sagen: so wenig Straßburgs Wälle dem siegenden Vor¬
dringen der deutschen Macht Stand gehalten haben, so wenig wird auch jener
unnatürliche Fanatismus der Bewohner gegen die erobernde Macht der
deutsch-nationalen Idee auf die Dauer ein festes Bollwerk bilden können.
Wir haben sie wiedergewonnen in Blut und Zerstörung: wir werden
sie uns besser wiedergewinnen in beharrlicher friedlicher Arbeit. Der durch
Einigung ihrer getrennten Glieder so wunderbar erstarkten Nation wohnt
auch der Glaube bei, die entfremdeten, entarteten Söhne in den Schoß des
Vaterlandes zurückzuführen.

Deutschland hat die alte Schuld abgetragen, das Unrecht der Väter ge¬
sühnt. Auf des gedemüthigten Frankreichs Seite ist jetzt innere Zerrüttung
und tiefe sittliche Verkommenheit: Deutschland, das lange zerrissene, verkannte,
steigt einig, mächtig, achtunggebietend empor. Der Schein ist zerstört, der
falsche Götze, d em auch Straßburg seine Kinder opferte, vom Piedestal gestürzt.

Unsere Krieger selbst bringen den Bürgern Straßburgs die erste vernehm-
liche Kunde von der neuerstandenen deutschen Macht und Herrlichkeit. Mit
eigener schwerer Schädigung hat die undeutsch gewordene Stadt diese Er¬
fahrung erkaufen müssen. Der Weg durch ihre Thore führt über Schutt
und Trümmer; manch kostbares Kleinod aus alter Zeit ist dabei zu Grunde
gegangen. Aber noch steht der alte Münster unversehrt und überschaut weit¬
hin deutsches und wälsches Land: das unvergängliche Denkmal deutscher
Kunst, ein Sinnbild der deutschen Ueberlegenhnt.

Das alte Wort: "der die Wunde schlug, wird sie heilen", soll sich auch
bei Straßburg bewähren. Ein neues schöneres Straßburg soll erstehen. Noch
ist, das verhehlen wir uns nicht, nur der kleinere Theil der Arbeit gethan; es
bleibt uns die größere Aufgabe, eine schwere Friedensmisson. Wie wir die
zerstörten Häuser über dem Schutt neu und stattlich aufbauen werden, so
liegt es uns ob, unter der Aschenkruste, die sie deckt, jene schlummernden
doch nicht verloschenen Funken deutschen Bewußtseins zur lebendigen Flamme
zu erwecken, den echten Kern deutschen Wesens, Denkens und Fühlens aus
der dünnen französischen Hülle hervorzuschälen und zu pflegen. Unsere Na¬
tion, die ihre unvertilgbaren Rechte so kräftig zur Geltung gebracht hat,
kennt auch die Bedeutung ihrer daraus erwachsenden Pflichten und fühlt sich
kräftig, sie zu erfüllen. Wird es auch harte Arbeit kosten, eine unerquickliche
Uebergangsperiode nicht zu vermeiden sein; für das Gelingen bürgen schon
die Epochen, welche der preußische Staat in einer ähnlichen und schwereren
Mission in seinem Osten erzielt hat.

Wir feiern den 28. September! Dieser Tag nahm uns vor Zeiten


wie eine unliebsame Erinnerung erscheint, die er geflissentlich weit wegwirft,
um sein Neufranzosenthum gehörig zu legitimiren. — Und doch dürfen wir
jetzt schon kühnlich sagen: so wenig Straßburgs Wälle dem siegenden Vor¬
dringen der deutschen Macht Stand gehalten haben, so wenig wird auch jener
unnatürliche Fanatismus der Bewohner gegen die erobernde Macht der
deutsch-nationalen Idee auf die Dauer ein festes Bollwerk bilden können.
Wir haben sie wiedergewonnen in Blut und Zerstörung: wir werden
sie uns besser wiedergewinnen in beharrlicher friedlicher Arbeit. Der durch
Einigung ihrer getrennten Glieder so wunderbar erstarkten Nation wohnt
auch der Glaube bei, die entfremdeten, entarteten Söhne in den Schoß des
Vaterlandes zurückzuführen.

Deutschland hat die alte Schuld abgetragen, das Unrecht der Väter ge¬
sühnt. Auf des gedemüthigten Frankreichs Seite ist jetzt innere Zerrüttung
und tiefe sittliche Verkommenheit: Deutschland, das lange zerrissene, verkannte,
steigt einig, mächtig, achtunggebietend empor. Der Schein ist zerstört, der
falsche Götze, d em auch Straßburg seine Kinder opferte, vom Piedestal gestürzt.

Unsere Krieger selbst bringen den Bürgern Straßburgs die erste vernehm-
liche Kunde von der neuerstandenen deutschen Macht und Herrlichkeit. Mit
eigener schwerer Schädigung hat die undeutsch gewordene Stadt diese Er¬
fahrung erkaufen müssen. Der Weg durch ihre Thore führt über Schutt
und Trümmer; manch kostbares Kleinod aus alter Zeit ist dabei zu Grunde
gegangen. Aber noch steht der alte Münster unversehrt und überschaut weit¬
hin deutsches und wälsches Land: das unvergängliche Denkmal deutscher
Kunst, ein Sinnbild der deutschen Ueberlegenhnt.

Das alte Wort: „der die Wunde schlug, wird sie heilen", soll sich auch
bei Straßburg bewähren. Ein neues schöneres Straßburg soll erstehen. Noch
ist, das verhehlen wir uns nicht, nur der kleinere Theil der Arbeit gethan; es
bleibt uns die größere Aufgabe, eine schwere Friedensmisson. Wie wir die
zerstörten Häuser über dem Schutt neu und stattlich aufbauen werden, so
liegt es uns ob, unter der Aschenkruste, die sie deckt, jene schlummernden
doch nicht verloschenen Funken deutschen Bewußtseins zur lebendigen Flamme
zu erwecken, den echten Kern deutschen Wesens, Denkens und Fühlens aus
der dünnen französischen Hülle hervorzuschälen und zu pflegen. Unsere Na¬
tion, die ihre unvertilgbaren Rechte so kräftig zur Geltung gebracht hat,
kennt auch die Bedeutung ihrer daraus erwachsenden Pflichten und fühlt sich
kräftig, sie zu erfüllen. Wird es auch harte Arbeit kosten, eine unerquickliche
Uebergangsperiode nicht zu vermeiden sein; für das Gelingen bürgen schon
die Epochen, welche der preußische Staat in einer ähnlichen und schwereren
Mission in seinem Osten erzielt hat.

Wir feiern den 28. September! Dieser Tag nahm uns vor Zeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/72>, abgerufen am 22.12.2024.