Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Ein neuer Feiertag im Kriegskalendcr von 1870! Straßburg ist Nicht die Stimme der Menschlichkeit allein sprach in dem bangen Mitgefühl Ein neuer Feiertag im Kriegskalendcr von 1870! Straßburg ist Nicht die Stimme der Menschlichkeit allein sprach in dem bangen Mitgefühl <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124776"/> </div> <div n="1"> <head> </head><lb/> <p xml:id="ID_190"> Ein neuer Feiertag im Kriegskalendcr von 1870! Straßburg ist<lb/> unser! Welcher Deutsche athmete nicht froh und dankerfüllt auf bei der er¬<lb/> sehnten Kunde, wer fühlte nicht sein Herz erleichtert in dem Gedanken, daß<lb/> die Uebergabe dem Sturm zuvorgekommen ist, welcher der Stadt furchtbare<lb/> Verheerung drohte! Wie ein schwerer Druck lastete das Schicksal der unglück¬<lb/> lichen Stadt auf unsern Gemüthern. Nur mit gemischten Empfindungen<lb/> vermochte man der kühnen und sicher fortschreitenden Belagerung, der tapfern<lb/> Vertheidigung zu folgen: es war doch die alte deutsche Stadt, die sich gegen<lb/> das deutsche Heer so hartnäckig als hoffnungslos wehrte. Andere Trophäen<lb/> dieses Krieges haben blutigere Opfer verlangt, bei keiner aber war die Noth¬<lb/> wendigkeit auch des geringeren Opfers dem Sieger selbst so grausam fühlbar.<lb/> Das Blut, welches in den Straßen der Stadt und draußen vor den Be¬<lb/> festigungen floß, schien doppelt kostbarer Einsatz; jedes Haus, in das die<lb/> zündende Bombe schlug, steigerte den Preis. Wer die Schilderungen der<lb/> Belagerungsscenen las, stimmte oft genug mit Jenen, welche von den Höhen<lb/> des Nachbarlandes den furchtbaren Feuerschein am Nachthimmel beobachten<lb/> konnten, in den Ruf ein: wäre das doch zu Ende! Mit dem Bewußtsein<lb/> eine traurige Pflicht zu erfüllen, betrieben unsere wackeren Artilleristen ihr<lb/> Werk; das Bild der Zerstörung in der eroberten Stadt verkümmerte den<lb/> Einziehenden den verdienten Triumph.</p><lb/> <p xml:id="ID_191" next="#ID_192"> Nicht die Stimme der Menschlichkeit allein sprach in dem bangen Mitgefühl<lb/> mit den Leiden Straßburgs, auch nicht das wohlberechtigte Interesse, die<lb/> „wunderschöne Stadt", welche Deutschland zurückzufordern gewillt war. sich<lb/> möglichst unversehrt zu erhalten. Mächtiger wirkte dabei eine Empfindung,<lb/> die man wohl Schamgefühl nennen darf; Schamgefühl nicht über uns, sondern<lb/> über unsere Väter, über die Zeiten deutscher Ohnmacht, welche uns diese<lb/> widerspruchsvolle Lage geschaffen haben. Je lebhafter die frevelhafte Heraus¬<lb/> forderung Frankreichs die Erinnerung an die lange Reihe vorhergegangener<lb/> Unbilden erweckte und zur allgemeinen Forderung eines endlichen Rechnungs¬<lb/> abschlusses steigerte, um so peinlicher mußte gerade jetzt der Eindruck des<lb/> verheerenden Kampfes wider Das, was unser war und wieder unser werden<lb/> sollte, den gesunden deutschen Sinn berühren. Kehl von Straßburg aus in<lb/> Brand geschossen und Straßburg von deutschen Truppen bombardirt! das ist<lb/> der Rest, wills Gott der letzte, jener traurigen Erbschaft, die uns französische<lb/> Raublust und deutsche Schwäche hinterlassen hat. Im Augenblick, da der<lb/> nationale Schwung des gesammten Deutschlands das Größte erreicht und den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
Ein neuer Feiertag im Kriegskalendcr von 1870! Straßburg ist
unser! Welcher Deutsche athmete nicht froh und dankerfüllt auf bei der er¬
sehnten Kunde, wer fühlte nicht sein Herz erleichtert in dem Gedanken, daß
die Uebergabe dem Sturm zuvorgekommen ist, welcher der Stadt furchtbare
Verheerung drohte! Wie ein schwerer Druck lastete das Schicksal der unglück¬
lichen Stadt auf unsern Gemüthern. Nur mit gemischten Empfindungen
vermochte man der kühnen und sicher fortschreitenden Belagerung, der tapfern
Vertheidigung zu folgen: es war doch die alte deutsche Stadt, die sich gegen
das deutsche Heer so hartnäckig als hoffnungslos wehrte. Andere Trophäen
dieses Krieges haben blutigere Opfer verlangt, bei keiner aber war die Noth¬
wendigkeit auch des geringeren Opfers dem Sieger selbst so grausam fühlbar.
Das Blut, welches in den Straßen der Stadt und draußen vor den Be¬
festigungen floß, schien doppelt kostbarer Einsatz; jedes Haus, in das die
zündende Bombe schlug, steigerte den Preis. Wer die Schilderungen der
Belagerungsscenen las, stimmte oft genug mit Jenen, welche von den Höhen
des Nachbarlandes den furchtbaren Feuerschein am Nachthimmel beobachten
konnten, in den Ruf ein: wäre das doch zu Ende! Mit dem Bewußtsein
eine traurige Pflicht zu erfüllen, betrieben unsere wackeren Artilleristen ihr
Werk; das Bild der Zerstörung in der eroberten Stadt verkümmerte den
Einziehenden den verdienten Triumph.
Nicht die Stimme der Menschlichkeit allein sprach in dem bangen Mitgefühl
mit den Leiden Straßburgs, auch nicht das wohlberechtigte Interesse, die
„wunderschöne Stadt", welche Deutschland zurückzufordern gewillt war. sich
möglichst unversehrt zu erhalten. Mächtiger wirkte dabei eine Empfindung,
die man wohl Schamgefühl nennen darf; Schamgefühl nicht über uns, sondern
über unsere Väter, über die Zeiten deutscher Ohnmacht, welche uns diese
widerspruchsvolle Lage geschaffen haben. Je lebhafter die frevelhafte Heraus¬
forderung Frankreichs die Erinnerung an die lange Reihe vorhergegangener
Unbilden erweckte und zur allgemeinen Forderung eines endlichen Rechnungs¬
abschlusses steigerte, um so peinlicher mußte gerade jetzt der Eindruck des
verheerenden Kampfes wider Das, was unser war und wieder unser werden
sollte, den gesunden deutschen Sinn berühren. Kehl von Straßburg aus in
Brand geschossen und Straßburg von deutschen Truppen bombardirt! das ist
der Rest, wills Gott der letzte, jener traurigen Erbschaft, die uns französische
Raublust und deutsche Schwäche hinterlassen hat. Im Augenblick, da der
nationale Schwung des gesammten Deutschlands das Größte erreicht und den
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