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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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sind vollkommen gegründet, aber sie gehen auf die Stellung, welche die Re¬
gierung im Anfang des Krieges nahm, indem sie sich, trotz dringender
Mahnungen im Parlamente selbst, nicht dazu entschließen konnte, die Waffen-
ausfuhr nach den Häfen der kriegführenden Parteien zu verbieten, weil, wie
Grenville sagt, "die Königl. Commission., welche 1867 die Neutralitätsgesetze
prüfte, ein solches Verbot für undurchführbar und unpolitisch hielt". Dem
gegenüber hatte man von deutscher Seite geltend zu machen, daß dies Ver¬
bot doch nicht nur während des Krimmkrieges, sondern auch 1823 bei dem
Kriege zwischen der Türkei und Griechenland erlassen war; warum sollte es
jetzt unmöglicher geworden sein es durchzuführen? Wenn ferner Grenville
sagt: "jeder der kriegführenden Theile hatte ein Recht zu erwarten, daß die
bestehenden Regeln und die bisherige Praxis werde aufrecht erhalten werden
und hätte sich über irgend welche Abänderung beklagen können", so liegt die
Antwort unsererseits auf der Hand: wenn das der Fall, warum hat England
denn grade beim Ausbruch des Krieges seine I'ol-eiZu Lulistmerit ^.et abge¬
ändert und die Versorgung der französischen Flotte mit Kohlen verboten?
Doch aus keinem andern Grunde, als dem, daß man sich vor einem neuen
Alabamafall hüten wollte. Das Völkerrecht ist so wenig unbeweglich, als
das Civil- oder Criminalrecht eines Staates, man begreift unter diesem Na¬
men nur die Gesammtheit der von civilisirten Nationen für ihren internatio¬
nalen Verkehr angenommenen Normen, und so wie innerhalb eines Staates
die Gesetze abgeändert werden, je nachdem die Interessen der Mehrheit es
fordern, so müssen auch nach den veränderten internationalen Verhältnissen
sich die Bestimmungen des Völkerrechts ändern. Niemand sollte dies besser
wissen, als die englischen Staatsmänner. Als England die Meere beherrschte,
nahm es Feindes Gut in neutralen Schiffen weg und erklärte Blocaden, die
nur auf dem Papier standen. Aber im Krimmkrieg und auf dem Pariser
Congreß mußte es sich zur Annahme des Satzes bequemen, daß die Flagge
die Ladung decke und Blocaden effectiv sein müssen. Ebenso wird es sich
jetzt zu neuen Aenderungen seiner Gesetze verstehen müssen; wir behaupten,
eine Regierung handelt nicht neutral, welche eine Waffenausfuhr erlaubt, die
nach der Lage der Verhältnisse nur einem Theile zu Gute kommen kann, und
können uns darauf berufen, daß England selbst diesen Grundsatz während
der napoleonischen Kriege befolgte, indem es jede Zufuhr von Waffen und
Munition seitens der Neutralen für Frankreich und seine Bundesgenossen
zum Kriegsfall machte. Als die Neutralen sich darüber beklagten, erwiderte
Lord Grenville: "Wenn ich meinem Feinde das Schwert aus den Händen
gewunden habe und ein Danebenstehender ihm neue Waffen giebt, so kann
derselbe nicht den Anspruch machen, als neutral behandelt zu werden." Und
aus demselben Grunde setzte 1825 der Herzog von Wellington das Verbot


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sind vollkommen gegründet, aber sie gehen auf die Stellung, welche die Re¬
gierung im Anfang des Krieges nahm, indem sie sich, trotz dringender
Mahnungen im Parlamente selbst, nicht dazu entschließen konnte, die Waffen-
ausfuhr nach den Häfen der kriegführenden Parteien zu verbieten, weil, wie
Grenville sagt, „die Königl. Commission., welche 1867 die Neutralitätsgesetze
prüfte, ein solches Verbot für undurchführbar und unpolitisch hielt". Dem
gegenüber hatte man von deutscher Seite geltend zu machen, daß dies Ver¬
bot doch nicht nur während des Krimmkrieges, sondern auch 1823 bei dem
Kriege zwischen der Türkei und Griechenland erlassen war; warum sollte es
jetzt unmöglicher geworden sein es durchzuführen? Wenn ferner Grenville
sagt: „jeder der kriegführenden Theile hatte ein Recht zu erwarten, daß die
bestehenden Regeln und die bisherige Praxis werde aufrecht erhalten werden
und hätte sich über irgend welche Abänderung beklagen können", so liegt die
Antwort unsererseits auf der Hand: wenn das der Fall, warum hat England
denn grade beim Ausbruch des Krieges seine I'ol-eiZu Lulistmerit ^.et abge¬
ändert und die Versorgung der französischen Flotte mit Kohlen verboten?
Doch aus keinem andern Grunde, als dem, daß man sich vor einem neuen
Alabamafall hüten wollte. Das Völkerrecht ist so wenig unbeweglich, als
das Civil- oder Criminalrecht eines Staates, man begreift unter diesem Na¬
men nur die Gesammtheit der von civilisirten Nationen für ihren internatio¬
nalen Verkehr angenommenen Normen, und so wie innerhalb eines Staates
die Gesetze abgeändert werden, je nachdem die Interessen der Mehrheit es
fordern, so müssen auch nach den veränderten internationalen Verhältnissen
sich die Bestimmungen des Völkerrechts ändern. Niemand sollte dies besser
wissen, als die englischen Staatsmänner. Als England die Meere beherrschte,
nahm es Feindes Gut in neutralen Schiffen weg und erklärte Blocaden, die
nur auf dem Papier standen. Aber im Krimmkrieg und auf dem Pariser
Congreß mußte es sich zur Annahme des Satzes bequemen, daß die Flagge
die Ladung decke und Blocaden effectiv sein müssen. Ebenso wird es sich
jetzt zu neuen Aenderungen seiner Gesetze verstehen müssen; wir behaupten,
eine Regierung handelt nicht neutral, welche eine Waffenausfuhr erlaubt, die
nach der Lage der Verhältnisse nur einem Theile zu Gute kommen kann, und
können uns darauf berufen, daß England selbst diesen Grundsatz während
der napoleonischen Kriege befolgte, indem es jede Zufuhr von Waffen und
Munition seitens der Neutralen für Frankreich und seine Bundesgenossen
zum Kriegsfall machte. Als die Neutralen sich darüber beklagten, erwiderte
Lord Grenville: „Wenn ich meinem Feinde das Schwert aus den Händen
gewunden habe und ein Danebenstehender ihm neue Waffen giebt, so kann
derselbe nicht den Anspruch machen, als neutral behandelt zu werden." Und
aus demselben Grunde setzte 1825 der Herzog von Wellington das Verbot


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/67>, abgerufen am 23.12.2024.