Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu übernehmen; schon die unabhängige und leitende Action Preußens beiden
griechischen Conferenzen im Januar 1869, die Energie, mit welcher der Einfluß
Preußens zur Beseitigung des abenteuernden Ministeriums Bratiano aufge¬
boten ward, ließ das deutlich erkennen. Die Stellung, welche Graf Bismarck
damals nahm, wurde in Petersburg schmerzlich empfunden, aber weil sie auf
Erhaltung des Weltfriedens und des status quo im Orient errichtet war. um
so dankbarer in London und Constantinopel anerkannt. Auch die Befürchtung
halten wir für unbegründet, als ob der Bundeskanzler bei Ausbruch des gegen¬
wärtigen Krieges die Neutralität Rußlands durch bindende Engagements für
den Orient erkauft habe. Dazu lag keine Veranlassung vor, der Kaiser Alexander
theilte den Unmuth Europas über den frivolen Landfriedensbruch Frank¬
reichs, die nationale Partei Katkoffo rechnete auf den Sieg des letzteren.
Auch wird Fürst Gortschakoff schwerlich etwas gegen unsere Erwerbung des
Elsasses und Deutschlothringens einzuwenden haben. Im Gegentheil dürfte'
er dieselbe nicht ungerne sehen in der Voraussetzung, daß uns die Assimilirung
dieser Provinz dauernd im Westen beschäftigen werde, und andererseits sich
sagen, daß mit der gebrochenen Macht Frankreichs auch der Halt schwindet,
welchen es bisher der lateinischen Kirche im Orient in ihrem Kampfe gegen
die griechische bot. Diese Gründe erscheinen uns als vollkommen ausreichend,
um die Neutralität Rußlands ohne jedes Engagement Preußens zu erklären.
Das gewichtigste Moment aber, das Gras Bismarck bestimmen mußte, sich
nach dieser Seite hin freie Hand zu wahren, ist die Frage des künftigen Ver¬
hältnisses zu Oestreich. Wenn der Sieg der deutschen Waffen dahin führt,
daß in Wien mit der Jntriguenpolitik des Grafen Beust nach Außen, mit
der Experimentalpolitik der Widersprüche im Innern gebrochen wird, so steht
nichts einem aufrichtigen Hand in Hand Gehen der deutschen und östreichi¬
schen Interessen entgegen und beide fordern gleichmäßig, daß man der slavi¬
schen Propaganda entgegentritt. Alles dies aber muß auch den englischen
Staatsmännern gegenwärtig oder doch ihnen leicht begreiflich zu machen sein;
ein auf dieser Basis begründetes Einvernehmen Englands, Deutschlands und
Oesterreichs wäre die glücklichste Combination für die englischen Interessen,
die sich denken ließe, und deshalb glauben wir, daß es um so mehr geboten
ist, ein gutes Einvernehmen mit England anzustreben, je mehr die Symptome
sich mehren, daß man dort im Begriff ist aus der bleiernen Gleichgiltigkeit
zu erwachen, mit der man in den letzten Jahren als asiatische Macht den
Welthändeln zusah. Wir wünschen deshalb auch, daß die Mißklänge bald
verhallen mögen, welche die mattherzige Politik Englands im gegenwärtigen
Kriege bei uns hervorrufen mußte, und bedauern, daß der norddeutsche Bot¬
schafter in London durch einen unbegreiflich ungeschickten Schachzug die Ver¬
ständigung erschwert hat. Unsere Beschwerden über die englische Neutralität


zu übernehmen; schon die unabhängige und leitende Action Preußens beiden
griechischen Conferenzen im Januar 1869, die Energie, mit welcher der Einfluß
Preußens zur Beseitigung des abenteuernden Ministeriums Bratiano aufge¬
boten ward, ließ das deutlich erkennen. Die Stellung, welche Graf Bismarck
damals nahm, wurde in Petersburg schmerzlich empfunden, aber weil sie auf
Erhaltung des Weltfriedens und des status quo im Orient errichtet war. um
so dankbarer in London und Constantinopel anerkannt. Auch die Befürchtung
halten wir für unbegründet, als ob der Bundeskanzler bei Ausbruch des gegen¬
wärtigen Krieges die Neutralität Rußlands durch bindende Engagements für
den Orient erkauft habe. Dazu lag keine Veranlassung vor, der Kaiser Alexander
theilte den Unmuth Europas über den frivolen Landfriedensbruch Frank¬
reichs, die nationale Partei Katkoffo rechnete auf den Sieg des letzteren.
Auch wird Fürst Gortschakoff schwerlich etwas gegen unsere Erwerbung des
Elsasses und Deutschlothringens einzuwenden haben. Im Gegentheil dürfte'
er dieselbe nicht ungerne sehen in der Voraussetzung, daß uns die Assimilirung
dieser Provinz dauernd im Westen beschäftigen werde, und andererseits sich
sagen, daß mit der gebrochenen Macht Frankreichs auch der Halt schwindet,
welchen es bisher der lateinischen Kirche im Orient in ihrem Kampfe gegen
die griechische bot. Diese Gründe erscheinen uns als vollkommen ausreichend,
um die Neutralität Rußlands ohne jedes Engagement Preußens zu erklären.
Das gewichtigste Moment aber, das Gras Bismarck bestimmen mußte, sich
nach dieser Seite hin freie Hand zu wahren, ist die Frage des künftigen Ver¬
hältnisses zu Oestreich. Wenn der Sieg der deutschen Waffen dahin führt,
daß in Wien mit der Jntriguenpolitik des Grafen Beust nach Außen, mit
der Experimentalpolitik der Widersprüche im Innern gebrochen wird, so steht
nichts einem aufrichtigen Hand in Hand Gehen der deutschen und östreichi¬
schen Interessen entgegen und beide fordern gleichmäßig, daß man der slavi¬
schen Propaganda entgegentritt. Alles dies aber muß auch den englischen
Staatsmännern gegenwärtig oder doch ihnen leicht begreiflich zu machen sein;
ein auf dieser Basis begründetes Einvernehmen Englands, Deutschlands und
Oesterreichs wäre die glücklichste Combination für die englischen Interessen,
die sich denken ließe, und deshalb glauben wir, daß es um so mehr geboten
ist, ein gutes Einvernehmen mit England anzustreben, je mehr die Symptome
sich mehren, daß man dort im Begriff ist aus der bleiernen Gleichgiltigkeit
zu erwachen, mit der man in den letzten Jahren als asiatische Macht den
Welthändeln zusah. Wir wünschen deshalb auch, daß die Mißklänge bald
verhallen mögen, welche die mattherzige Politik Englands im gegenwärtigen
Kriege bei uns hervorrufen mußte, und bedauern, daß der norddeutsche Bot¬
schafter in London durch einen unbegreiflich ungeschickten Schachzug die Ver¬
ständigung erschwert hat. Unsere Beschwerden über die englische Neutralität


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124772"/>
          <p xml:id="ID_182" prev="#ID_181" next="#ID_183"> zu übernehmen; schon die unabhängige und leitende Action Preußens beiden<lb/>
griechischen Conferenzen im Januar 1869, die Energie, mit welcher der Einfluß<lb/>
Preußens zur Beseitigung des abenteuernden Ministeriums Bratiano aufge¬<lb/>
boten ward, ließ das deutlich erkennen. Die Stellung, welche Graf Bismarck<lb/>
damals nahm, wurde in Petersburg schmerzlich empfunden, aber weil sie auf<lb/>
Erhaltung des Weltfriedens und des status quo im Orient errichtet war. um<lb/>
so dankbarer in London und Constantinopel anerkannt. Auch die Befürchtung<lb/>
halten wir für unbegründet, als ob der Bundeskanzler bei Ausbruch des gegen¬<lb/>
wärtigen Krieges die Neutralität Rußlands durch bindende Engagements für<lb/>
den Orient erkauft habe. Dazu lag keine Veranlassung vor, der Kaiser Alexander<lb/>
theilte den Unmuth Europas über den frivolen Landfriedensbruch Frank¬<lb/>
reichs, die nationale Partei Katkoffo rechnete auf den Sieg des letzteren.<lb/>
Auch wird Fürst Gortschakoff schwerlich etwas gegen unsere Erwerbung des<lb/>
Elsasses und Deutschlothringens einzuwenden haben. Im Gegentheil dürfte'<lb/>
er dieselbe nicht ungerne sehen in der Voraussetzung, daß uns die Assimilirung<lb/>
dieser Provinz dauernd im Westen beschäftigen werde, und andererseits sich<lb/>
sagen, daß mit der gebrochenen Macht Frankreichs auch der Halt schwindet,<lb/>
welchen es bisher der lateinischen Kirche im Orient in ihrem Kampfe gegen<lb/>
die griechische bot. Diese Gründe erscheinen uns als vollkommen ausreichend,<lb/>
um die Neutralität Rußlands ohne jedes Engagement Preußens zu erklären.<lb/>
Das gewichtigste Moment aber, das Gras Bismarck bestimmen mußte, sich<lb/>
nach dieser Seite hin freie Hand zu wahren, ist die Frage des künftigen Ver¬<lb/>
hältnisses zu Oestreich. Wenn der Sieg der deutschen Waffen dahin führt,<lb/>
daß in Wien mit der Jntriguenpolitik des Grafen Beust nach Außen, mit<lb/>
der Experimentalpolitik der Widersprüche im Innern gebrochen wird, so steht<lb/>
nichts einem aufrichtigen Hand in Hand Gehen der deutschen und östreichi¬<lb/>
schen Interessen entgegen und beide fordern gleichmäßig, daß man der slavi¬<lb/>
schen Propaganda entgegentritt. Alles dies aber muß auch den englischen<lb/>
Staatsmännern gegenwärtig oder doch ihnen leicht begreiflich zu machen sein;<lb/>
ein auf dieser Basis begründetes Einvernehmen Englands, Deutschlands und<lb/>
Oesterreichs wäre die glücklichste Combination für die englischen Interessen,<lb/>
die sich denken ließe, und deshalb glauben wir, daß es um so mehr geboten<lb/>
ist, ein gutes Einvernehmen mit England anzustreben, je mehr die Symptome<lb/>
sich mehren, daß man dort im Begriff ist aus der bleiernen Gleichgiltigkeit<lb/>
zu erwachen, mit der man in den letzten Jahren als asiatische Macht den<lb/>
Welthändeln zusah. Wir wünschen deshalb auch, daß die Mißklänge bald<lb/>
verhallen mögen, welche die mattherzige Politik Englands im gegenwärtigen<lb/>
Kriege bei uns hervorrufen mußte, und bedauern, daß der norddeutsche Bot¬<lb/>
schafter in London durch einen unbegreiflich ungeschickten Schachzug die Ver¬<lb/>
ständigung erschwert hat. Unsere Beschwerden über die englische Neutralität</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] zu übernehmen; schon die unabhängige und leitende Action Preußens beiden griechischen Conferenzen im Januar 1869, die Energie, mit welcher der Einfluß Preußens zur Beseitigung des abenteuernden Ministeriums Bratiano aufge¬ boten ward, ließ das deutlich erkennen. Die Stellung, welche Graf Bismarck damals nahm, wurde in Petersburg schmerzlich empfunden, aber weil sie auf Erhaltung des Weltfriedens und des status quo im Orient errichtet war. um so dankbarer in London und Constantinopel anerkannt. Auch die Befürchtung halten wir für unbegründet, als ob der Bundeskanzler bei Ausbruch des gegen¬ wärtigen Krieges die Neutralität Rußlands durch bindende Engagements für den Orient erkauft habe. Dazu lag keine Veranlassung vor, der Kaiser Alexander theilte den Unmuth Europas über den frivolen Landfriedensbruch Frank¬ reichs, die nationale Partei Katkoffo rechnete auf den Sieg des letzteren. Auch wird Fürst Gortschakoff schwerlich etwas gegen unsere Erwerbung des Elsasses und Deutschlothringens einzuwenden haben. Im Gegentheil dürfte' er dieselbe nicht ungerne sehen in der Voraussetzung, daß uns die Assimilirung dieser Provinz dauernd im Westen beschäftigen werde, und andererseits sich sagen, daß mit der gebrochenen Macht Frankreichs auch der Halt schwindet, welchen es bisher der lateinischen Kirche im Orient in ihrem Kampfe gegen die griechische bot. Diese Gründe erscheinen uns als vollkommen ausreichend, um die Neutralität Rußlands ohne jedes Engagement Preußens zu erklären. Das gewichtigste Moment aber, das Gras Bismarck bestimmen mußte, sich nach dieser Seite hin freie Hand zu wahren, ist die Frage des künftigen Ver¬ hältnisses zu Oestreich. Wenn der Sieg der deutschen Waffen dahin führt, daß in Wien mit der Jntriguenpolitik des Grafen Beust nach Außen, mit der Experimentalpolitik der Widersprüche im Innern gebrochen wird, so steht nichts einem aufrichtigen Hand in Hand Gehen der deutschen und östreichi¬ schen Interessen entgegen und beide fordern gleichmäßig, daß man der slavi¬ schen Propaganda entgegentritt. Alles dies aber muß auch den englischen Staatsmännern gegenwärtig oder doch ihnen leicht begreiflich zu machen sein; ein auf dieser Basis begründetes Einvernehmen Englands, Deutschlands und Oesterreichs wäre die glücklichste Combination für die englischen Interessen, die sich denken ließe, und deshalb glauben wir, daß es um so mehr geboten ist, ein gutes Einvernehmen mit England anzustreben, je mehr die Symptome sich mehren, daß man dort im Begriff ist aus der bleiernen Gleichgiltigkeit zu erwachen, mit der man in den letzten Jahren als asiatische Macht den Welthändeln zusah. Wir wünschen deshalb auch, daß die Mißklänge bald verhallen mögen, welche die mattherzige Politik Englands im gegenwärtigen Kriege bei uns hervorrufen mußte, und bedauern, daß der norddeutsche Bot¬ schafter in London durch einen unbegreiflich ungeschickten Schachzug die Ver¬ ständigung erschwert hat. Unsere Beschwerden über die englische Neutralität

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/66>, abgerufen am 23.12.2024.