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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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ganz junge Männer, drei ältere Damen mit langen Locken, ein alter hagerer
Herr, augenscheinlich ein Geistlicher, eben der Sprecher der Gesellschaft, an
ihrer Spitze. "Sie wollen aus's Schlachtfeld? Darf ich fragen in welchem
Berufe, zu welchem Zwecke?" "Wir wollen gehn elfen die arme Verwun¬
dete." "Ich kann Sie versichern, daß im Augenblick kein Mangel an Hel¬
fern ist. Andererseits sind wir außer Stande, solchen Personen Legitima¬
tionspapiere zu verabfolgen, welche nicht in ganz bestimmtem Auftrage reisen
und ich meinestheils bin leider nicht in der Lage, Ihnen einen solchen Auf¬
trag zu geben. Indeß -- mir fällt eben ein -- Einer Ihrer wackeren Lands¬
leute, ein Arzt, Hr. Dr. B., wird heute mit einem zum Transport Verwun¬
deter eingerichteten Zuge nach Nanzig abgehen. Wollen Sie ihn nicht
fragen, ob er Ihre Begleitung wünscht. Er wohnt--doch da kommt
Herr Dr. B. selbst. Guten Morgen, Herr Dr.! Reisefertig? Hier finden
Sie Landsleute, welche sich Ihnen vielleicht anschließen würden." Herr Dr-
B. geräth offenbar in einige Verlegenheit. Doch läßt er sich mit der Gesell¬
schaft in ein Gespräch ein, und setzt ihr mit den höflichsten Worten von der
Welt auseinander, daß sein Zug bereits vollständig ausgerüstet, auch mit
genügendem Personal versehen sei u. s. w. Was nun thun? Der Vorstand
vermittelt. Die Gesellschaft, die gut empfohlen ist, wird Herrn Dr. B. bis
W. begleiten. Die Strapazen der Reise und die Zumuthungen, welche eine
Feldlazarethverwaltung an ihre Helfer stellt, werden unsere Reisenden ent¬
weder in ihrem hilfreichen Eifer abkühlen, oder aber an den rechten Posten
bringen. Obwohl Letzteres unwahrscheinlich, wird der Antrag auf Ertheilung
der Reiselegitimation bei dem Landesdelegirten gestellt. Ob er diesem An¬
trage entspricht? Nun das ist seine Sache. Ist hartnäckiger Eifer und bren¬
nender Durst nach hilfreicher Beschäftigung schon Lohnes werth, so gönnen
wir dieser Gesellschaft günstigen Bescheid und Platz im Doctorwagen des
Verwundeten-Transportzuges. Die Zeit des Büreauchefs ist aber jedenfalls
zu karg gemessen, als daß in allen Fällen ein ähnlicher Ausweg, wie hier,
gesucht werden könnte, um gutwillige, thatendurstige Kräfte -- auf gute
Manier los zu werden. Denn darum handelte es sich hier und hat es sich
schon vorher in Hunderten von Fällen gehandelt. Die Genfer Convention
mit ihren unverkennbaren Segnungen hat manche Uebelstände im Gefolge,
von denen nur Der reden kann, der wie unser Büreauchef, Wochen lang
täglich in solche Lagen kam, in deren einer wir ihn soeben beobachtet. Oder
wäre nur die ganze Organisation der freiwilligen Hilssthätigkeit noch zu neu
und ungewohnt?

Es giebt mit Dr. B. noch Einiges zu besprechen.

Dann treten Petenten allerverschiedenarttgsten Charakters ein: Ein
fortgelaufener Kellner, der in Lazarethen "serviren", zwei alte Frauen, die


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ganz junge Männer, drei ältere Damen mit langen Locken, ein alter hagerer
Herr, augenscheinlich ein Geistlicher, eben der Sprecher der Gesellschaft, an
ihrer Spitze. „Sie wollen aus's Schlachtfeld? Darf ich fragen in welchem
Berufe, zu welchem Zwecke?" „Wir wollen gehn elfen die arme Verwun¬
dete." „Ich kann Sie versichern, daß im Augenblick kein Mangel an Hel¬
fern ist. Andererseits sind wir außer Stande, solchen Personen Legitima¬
tionspapiere zu verabfolgen, welche nicht in ganz bestimmtem Auftrage reisen
und ich meinestheils bin leider nicht in der Lage, Ihnen einen solchen Auf¬
trag zu geben. Indeß — mir fällt eben ein — Einer Ihrer wackeren Lands¬
leute, ein Arzt, Hr. Dr. B., wird heute mit einem zum Transport Verwun¬
deter eingerichteten Zuge nach Nanzig abgehen. Wollen Sie ihn nicht
fragen, ob er Ihre Begleitung wünscht. Er wohnt--doch da kommt
Herr Dr. B. selbst. Guten Morgen, Herr Dr.! Reisefertig? Hier finden
Sie Landsleute, welche sich Ihnen vielleicht anschließen würden." Herr Dr-
B. geräth offenbar in einige Verlegenheit. Doch läßt er sich mit der Gesell¬
schaft in ein Gespräch ein, und setzt ihr mit den höflichsten Worten von der
Welt auseinander, daß sein Zug bereits vollständig ausgerüstet, auch mit
genügendem Personal versehen sei u. s. w. Was nun thun? Der Vorstand
vermittelt. Die Gesellschaft, die gut empfohlen ist, wird Herrn Dr. B. bis
W. begleiten. Die Strapazen der Reise und die Zumuthungen, welche eine
Feldlazarethverwaltung an ihre Helfer stellt, werden unsere Reisenden ent¬
weder in ihrem hilfreichen Eifer abkühlen, oder aber an den rechten Posten
bringen. Obwohl Letzteres unwahrscheinlich, wird der Antrag auf Ertheilung
der Reiselegitimation bei dem Landesdelegirten gestellt. Ob er diesem An¬
trage entspricht? Nun das ist seine Sache. Ist hartnäckiger Eifer und bren¬
nender Durst nach hilfreicher Beschäftigung schon Lohnes werth, so gönnen
wir dieser Gesellschaft günstigen Bescheid und Platz im Doctorwagen des
Verwundeten-Transportzuges. Die Zeit des Büreauchefs ist aber jedenfalls
zu karg gemessen, als daß in allen Fällen ein ähnlicher Ausweg, wie hier,
gesucht werden könnte, um gutwillige, thatendurstige Kräfte — auf gute
Manier los zu werden. Denn darum handelte es sich hier und hat es sich
schon vorher in Hunderten von Fällen gehandelt. Die Genfer Convention
mit ihren unverkennbaren Segnungen hat manche Uebelstände im Gefolge,
von denen nur Der reden kann, der wie unser Büreauchef, Wochen lang
täglich in solche Lagen kam, in deren einer wir ihn soeben beobachtet. Oder
wäre nur die ganze Organisation der freiwilligen Hilssthätigkeit noch zu neu
und ungewohnt?

Es giebt mit Dr. B. noch Einiges zu besprechen.

Dann treten Petenten allerverschiedenarttgsten Charakters ein: Ein
fortgelaufener Kellner, der in Lazarethen „serviren", zwei alte Frauen, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/57>, abgerufen am 23.12.2024.