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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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alle zu handhaben. Den Bischof, der als Lohn seines Verrathe" die Hoheit
über die Stadt wieder zu erwerben hoffte, wies er mit seinen Ansprüchen
völlig ab, aber nicht minder war es mit der bürgerlichen Freiheit vorbei,
denn der Gouverneur, der auch (im I. 1862) eine Citadelle erbaute, er.
nannte im Namen seines Königs den Schöffenmeister, dem keine politischen
Rechte blieben, das Regiment der Geschlechter hörte auf, sowie viele der re¬
publikanischen Aemter. Da mochte manche von den bisher regierenden Fa¬
milien die Knechtschaft ihrer Vaterstadt nicht mit anschauen und wanderte
nach anderen Orten, namentlich nach Straßburg aus, um von dort vergeb¬
liche Bittschriften an Kaiser und Reich zu richten. Während Karl V. durch
einen Waffenstillstand nur den thatsächlichen Besitz vorläufig anerkannte,
ließ Heinrich II., um doch einen Rechtstitel zu erwerben, sich (1336) durch
scheinbare Schenkung die ehemaligen Hoheitsrechte des Bischofs und der
Stadt übertragen, obgleich jener sie seit Jahrhunderten aufgegeben hatte,
diese nicht mehr Herrin ihrer selbst war.

Welch' schweren Verlust das Kaiserreich durch den Abfall von Metz er-
litten, das wußte sogleich Vieilleville demselben einleuchtend zu machen, in¬
dem er von seinen sicheren Wällen aus das luxemburgische Gebiet häufig
bedrohte und sogar (1338) Diedenhofen bereits mit Sturm nahm. Mußte
dies auch im Frieden an Spanien zurückgegeben werden, so fiel es doch 100
Jahre später (1639), von Deutschland vergessen, abermals und dauernd in
französische Hände. Mit der Erwerbung der 3 Bisthümer (leg trois 6vöeK6s),
wie man die neue französische Provinz lange Zeit nannte, war für das Reich
Lothringen unhaltbar geworden und das Elsaß schwer gefährdet, wie Hein¬
rich II. klar an den Tag legte, als er von der Eroberung von Metz unmittel¬
bar zu der von Straßburg schreiten wollte. Daher heißt es in dem schönen
neuen Liede eines Schweizer Landsknechtes: "Metz, du solt ein Spiegel sein,
deutsches Land, nun sich (sieh) darein und thu's gar wohl betrachten, und
wenn es dir geschehen solt, wie es denen von Metz jez gat, so würd man
dein lachen."

Unklar und voller Widersprüche aber blieb vorerst noch die Lage von
Metz unter der welschen Gewaltherrschaft. Da die Rechte des Reiches selbst
von Heinrich II. als Statthalter ausdrücklich vorbehalten waren, da der
Metzer Bischof noch vom Kaiser investirt wurde und somit trotz der Ab¬
hängigkeit von Frankreich deutscher Reichsstand blieb, so erinnerten sich die
Reichstage bisweilen noch des abgetrennten Gliedes. Kaiser und Stände
schoben sich in allerlei wohltönenden Wendungen gegenseitig die Pflicht zu,
Mittel und Wege zur Wiedergewinnung auszufinden, ja sie verstiegen sich
sogar zu Drohungen gegen Frankreich, aber Niemand wollte Waffengewalt
anwenden, die allein fruchten konnte. Und doch blutete Frankreich damals


alle zu handhaben. Den Bischof, der als Lohn seines Verrathe« die Hoheit
über die Stadt wieder zu erwerben hoffte, wies er mit seinen Ansprüchen
völlig ab, aber nicht minder war es mit der bürgerlichen Freiheit vorbei,
denn der Gouverneur, der auch (im I. 1862) eine Citadelle erbaute, er.
nannte im Namen seines Königs den Schöffenmeister, dem keine politischen
Rechte blieben, das Regiment der Geschlechter hörte auf, sowie viele der re¬
publikanischen Aemter. Da mochte manche von den bisher regierenden Fa¬
milien die Knechtschaft ihrer Vaterstadt nicht mit anschauen und wanderte
nach anderen Orten, namentlich nach Straßburg aus, um von dort vergeb¬
liche Bittschriften an Kaiser und Reich zu richten. Während Karl V. durch
einen Waffenstillstand nur den thatsächlichen Besitz vorläufig anerkannte,
ließ Heinrich II., um doch einen Rechtstitel zu erwerben, sich (1336) durch
scheinbare Schenkung die ehemaligen Hoheitsrechte des Bischofs und der
Stadt übertragen, obgleich jener sie seit Jahrhunderten aufgegeben hatte,
diese nicht mehr Herrin ihrer selbst war.

Welch' schweren Verlust das Kaiserreich durch den Abfall von Metz er-
litten, das wußte sogleich Vieilleville demselben einleuchtend zu machen, in¬
dem er von seinen sicheren Wällen aus das luxemburgische Gebiet häufig
bedrohte und sogar (1338) Diedenhofen bereits mit Sturm nahm. Mußte
dies auch im Frieden an Spanien zurückgegeben werden, so fiel es doch 100
Jahre später (1639), von Deutschland vergessen, abermals und dauernd in
französische Hände. Mit der Erwerbung der 3 Bisthümer (leg trois 6vöeK6s),
wie man die neue französische Provinz lange Zeit nannte, war für das Reich
Lothringen unhaltbar geworden und das Elsaß schwer gefährdet, wie Hein¬
rich II. klar an den Tag legte, als er von der Eroberung von Metz unmittel¬
bar zu der von Straßburg schreiten wollte. Daher heißt es in dem schönen
neuen Liede eines Schweizer Landsknechtes: „Metz, du solt ein Spiegel sein,
deutsches Land, nun sich (sieh) darein und thu's gar wohl betrachten, und
wenn es dir geschehen solt, wie es denen von Metz jez gat, so würd man
dein lachen."

Unklar und voller Widersprüche aber blieb vorerst noch die Lage von
Metz unter der welschen Gewaltherrschaft. Da die Rechte des Reiches selbst
von Heinrich II. als Statthalter ausdrücklich vorbehalten waren, da der
Metzer Bischof noch vom Kaiser investirt wurde und somit trotz der Ab¬
hängigkeit von Frankreich deutscher Reichsstand blieb, so erinnerten sich die
Reichstage bisweilen noch des abgetrennten Gliedes. Kaiser und Stände
schoben sich in allerlei wohltönenden Wendungen gegenseitig die Pflicht zu,
Mittel und Wege zur Wiedergewinnung auszufinden, ja sie verstiegen sich
sogar zu Drohungen gegen Frankreich, aber Niemand wollte Waffengewalt
anwenden, die allein fruchten konnte. Und doch blutete Frankreich damals


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/500>, abgerufen am 23.12.2024.