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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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sehr widerstrebende reformatorische Bewegung nur so lange und in soweit
geduldet hatte, als äußere Verwickelungen ihn gebieterisch dazu zwangen, er¬
öffnete er mit Verletzung seiner Wahlcapitulation gegen den Bund der Evan¬
gelischen jenen unseligen Schmalkaldischen Krieg, der unter der Maske einer
besiegten Rebellion in Wahrheit die Niederwerfung des Evangeliums be¬
deutete. Das Reich, theils durch eigene Zwietracht, theils durch fremde
Kräfte überwältigt, empfand den Druck einer spanischen Fremdherrschaft; die
Fürsten von Sachsen und Hessen blieben zur Befriedigung der kaiserlichen
Rache in unwürdiger Haft; Italien und die Niederlande sollten durch die
Vereinigung mit Spanien dem Reiche für immer entfremdet werden. Karl's
Verbündeter, Moriz von Sachsen, der Judas von Meißen, wie ihn das Volk
mit bitterem Spotte nannte, faßte, nachdem er seinen Gewinn in Sicherheit
gebracht, den kühnen Entschluß, durch einen zweiten Verrath den ersten wie¬
der gut zu machen, die von ihm selbst am meisten beförderte Uebermacht
Karl's zu brechen. Da die. eigenen Glaubensgenossen daniederlagen oder sich
mißtrauisch von ihm abwandten, so konnte nur auswärtiger Betstand der
Fürstenerhebung zum Siege verhelfen. Im Januar 1652 wurde trotz der
Abmahnungen Melanchthon's mit König Heinrich II. von Frankreich der
Vertrag zu Chambord abgeschlossen, worin dieser sich verpflichtete, den zur
Herstellung der deutschen Freiheit verbündeten Fürsten monatlich gewisse
Hilfsgelder zu zahlen, diese dagegen wollten nichts dawider haben, wenn der
König als Reichsvicar sich der zum deutschen Reiche zwar gehörigen, aber
französisch redenden Bisthümer Metz, Tüll, Verdun und Cambrai bemächtige.
Die französische Sprache sollte diesem Thun mithin gleichsam als Rechtfer¬
tigung dienen.

Während die deutschen Fürsten über Augsburg nach Innsbruck vor¬
drangen und den überraschten Kaiser von dort verjagten, fiel mit einem
lügenhaften gleißnerischen Manifeste, worin er sich als Retter der deutschen
Freiheit, als Freund und Beschützer ankündigte, Heinrich in Lothringen ein.
Leicht konnte Tüll und später auch Verdun zur Uebergabe bewogen werden,
die äußersten Vorposten des Reiches, aber Metz mit seiner wehrhaften deutsch¬
gesinnten Bürgerschaft, sollte es ihrem Beispiele folgen? In der Stunde der
größten Gefahr war die Stadt, die seit mehr als drei Jahrzehnten keinen
Feind vor ihren Mauern gesehen, innerlich gespalten: der ganz französisch
gesinnte Bischof, Cardinal Robert von Lenoneourt, der von einer Herstellung
der bischöflichen Hoheit träumte, hatte zumal durch Verschwägerung mit Ro¬
bert von Heu diesen und andere von den regierenden Großen, selbst den
Schöffenmeister Jakob von Gournay, auf seine Seite gezogen, andere wurden
bestochen, das Volk, gedrückt und mißvergnügt, wünschte eine Aenderung des
Regimentes. Auf einer Versammlung der Bürger verpflichteten sich gleich-


Grenzboten IV. 1870. 62

sehr widerstrebende reformatorische Bewegung nur so lange und in soweit
geduldet hatte, als äußere Verwickelungen ihn gebieterisch dazu zwangen, er¬
öffnete er mit Verletzung seiner Wahlcapitulation gegen den Bund der Evan¬
gelischen jenen unseligen Schmalkaldischen Krieg, der unter der Maske einer
besiegten Rebellion in Wahrheit die Niederwerfung des Evangeliums be¬
deutete. Das Reich, theils durch eigene Zwietracht, theils durch fremde
Kräfte überwältigt, empfand den Druck einer spanischen Fremdherrschaft; die
Fürsten von Sachsen und Hessen blieben zur Befriedigung der kaiserlichen
Rache in unwürdiger Haft; Italien und die Niederlande sollten durch die
Vereinigung mit Spanien dem Reiche für immer entfremdet werden. Karl's
Verbündeter, Moriz von Sachsen, der Judas von Meißen, wie ihn das Volk
mit bitterem Spotte nannte, faßte, nachdem er seinen Gewinn in Sicherheit
gebracht, den kühnen Entschluß, durch einen zweiten Verrath den ersten wie¬
der gut zu machen, die von ihm selbst am meisten beförderte Uebermacht
Karl's zu brechen. Da die. eigenen Glaubensgenossen daniederlagen oder sich
mißtrauisch von ihm abwandten, so konnte nur auswärtiger Betstand der
Fürstenerhebung zum Siege verhelfen. Im Januar 1652 wurde trotz der
Abmahnungen Melanchthon's mit König Heinrich II. von Frankreich der
Vertrag zu Chambord abgeschlossen, worin dieser sich verpflichtete, den zur
Herstellung der deutschen Freiheit verbündeten Fürsten monatlich gewisse
Hilfsgelder zu zahlen, diese dagegen wollten nichts dawider haben, wenn der
König als Reichsvicar sich der zum deutschen Reiche zwar gehörigen, aber
französisch redenden Bisthümer Metz, Tüll, Verdun und Cambrai bemächtige.
Die französische Sprache sollte diesem Thun mithin gleichsam als Rechtfer¬
tigung dienen.

Während die deutschen Fürsten über Augsburg nach Innsbruck vor¬
drangen und den überraschten Kaiser von dort verjagten, fiel mit einem
lügenhaften gleißnerischen Manifeste, worin er sich als Retter der deutschen
Freiheit, als Freund und Beschützer ankündigte, Heinrich in Lothringen ein.
Leicht konnte Tüll und später auch Verdun zur Uebergabe bewogen werden,
die äußersten Vorposten des Reiches, aber Metz mit seiner wehrhaften deutsch¬
gesinnten Bürgerschaft, sollte es ihrem Beispiele folgen? In der Stunde der
größten Gefahr war die Stadt, die seit mehr als drei Jahrzehnten keinen
Feind vor ihren Mauern gesehen, innerlich gespalten: der ganz französisch
gesinnte Bischof, Cardinal Robert von Lenoneourt, der von einer Herstellung
der bischöflichen Hoheit träumte, hatte zumal durch Verschwägerung mit Ro¬
bert von Heu diesen und andere von den regierenden Großen, selbst den
Schöffenmeister Jakob von Gournay, auf seine Seite gezogen, andere wurden
bestochen, das Volk, gedrückt und mißvergnügt, wünschte eine Aenderung des
Regimentes. Auf einer Versammlung der Bürger verpflichteten sich gleich-


Grenzboten IV. 1870. 62
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[0497] sehr widerstrebende reformatorische Bewegung nur so lange und in soweit geduldet hatte, als äußere Verwickelungen ihn gebieterisch dazu zwangen, er¬ öffnete er mit Verletzung seiner Wahlcapitulation gegen den Bund der Evan¬ gelischen jenen unseligen Schmalkaldischen Krieg, der unter der Maske einer besiegten Rebellion in Wahrheit die Niederwerfung des Evangeliums be¬ deutete. Das Reich, theils durch eigene Zwietracht, theils durch fremde Kräfte überwältigt, empfand den Druck einer spanischen Fremdherrschaft; die Fürsten von Sachsen und Hessen blieben zur Befriedigung der kaiserlichen Rache in unwürdiger Haft; Italien und die Niederlande sollten durch die Vereinigung mit Spanien dem Reiche für immer entfremdet werden. Karl's Verbündeter, Moriz von Sachsen, der Judas von Meißen, wie ihn das Volk mit bitterem Spotte nannte, faßte, nachdem er seinen Gewinn in Sicherheit gebracht, den kühnen Entschluß, durch einen zweiten Verrath den ersten wie¬ der gut zu machen, die von ihm selbst am meisten beförderte Uebermacht Karl's zu brechen. Da die. eigenen Glaubensgenossen daniederlagen oder sich mißtrauisch von ihm abwandten, so konnte nur auswärtiger Betstand der Fürstenerhebung zum Siege verhelfen. Im Januar 1652 wurde trotz der Abmahnungen Melanchthon's mit König Heinrich II. von Frankreich der Vertrag zu Chambord abgeschlossen, worin dieser sich verpflichtete, den zur Herstellung der deutschen Freiheit verbündeten Fürsten monatlich gewisse Hilfsgelder zu zahlen, diese dagegen wollten nichts dawider haben, wenn der König als Reichsvicar sich der zum deutschen Reiche zwar gehörigen, aber französisch redenden Bisthümer Metz, Tüll, Verdun und Cambrai bemächtige. Die französische Sprache sollte diesem Thun mithin gleichsam als Rechtfer¬ tigung dienen. Während die deutschen Fürsten über Augsburg nach Innsbruck vor¬ drangen und den überraschten Kaiser von dort verjagten, fiel mit einem lügenhaften gleißnerischen Manifeste, worin er sich als Retter der deutschen Freiheit, als Freund und Beschützer ankündigte, Heinrich in Lothringen ein. Leicht konnte Tüll und später auch Verdun zur Uebergabe bewogen werden, die äußersten Vorposten des Reiches, aber Metz mit seiner wehrhaften deutsch¬ gesinnten Bürgerschaft, sollte es ihrem Beispiele folgen? In der Stunde der größten Gefahr war die Stadt, die seit mehr als drei Jahrzehnten keinen Feind vor ihren Mauern gesehen, innerlich gespalten: der ganz französisch gesinnte Bischof, Cardinal Robert von Lenoneourt, der von einer Herstellung der bischöflichen Hoheit träumte, hatte zumal durch Verschwägerung mit Ro¬ bert von Heu diesen und andere von den regierenden Großen, selbst den Schöffenmeister Jakob von Gournay, auf seine Seite gezogen, andere wurden bestochen, das Volk, gedrückt und mißvergnügt, wünschte eine Aenderung des Regimentes. Auf einer Versammlung der Bürger verpflichteten sich gleich- Grenzboten IV. 1870. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/497>, abgerufen am 23.12.2024.