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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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drüber Jean ClMelain, der durch seine Beredtsamkeit das Volk fortriß und
entzündete, wurde bald darauf verhaftet und nach neunmonatlicher Gefangen¬
schaft am 12. Januar 1525 zu Vic als Ketzer zum Scheiterhaufen geführt,
indem er versicherte, keinen andern Glauben zu bekennen, als den des heil.
Augustinus und Ambrosius. Standhaft erlitt er unter Anrufung Jesu den
Märtyrertod, der einen tiefen Eindruck hinterließ. Andere Kämpfer für das
Evangelium folgten nach, Wilhelm Farek und sogar ein Metzer Chorherr,
Peter Tossanus, der gleichfalls in Deutschland sich dazu bekehrt hatte. Unter
den Bürgern mehrte sich trotz strengen Verbotes der lutherischen Schriften
die evangelische Partei, zu der neben Leuten aus den unteren Ständen all¬
mählich auch einzelne Vornehme sich gesellten. 1542 gelangte ein Lutheraner,
Gaspard von Heu, zur Würde des Schöffenmeisters, während der lutherische
Graf Wilhelm von Fürstenberg gleichzeitig Gorze inne hatte. Da ward der
feurige und unermüdliche Farek abermals aus der Schweiz als Prediger be¬
rufen. Auf dem Kirchhofe der Jacobiner redete er von einer steinernen
Kanzel herab zu der versammelten Menge, während die erbitterten Mönche
mit allen Glocken lauteten, seine Stimme zu übertönen. Einige tausend
Gläubige fanden sich zusammen und der Schöffenmeister suchte sogar die Auf¬
nahme der Stadt in den Schmalkaldischen Bund nach. Der Bund fand,
gegen den kühnerem Rath des Landgrafen Philipp, ein Bedenken darin, daß
die Mehrheit der dreizehn noch katholisch gesinnt sei und begnügte sich durch
eine Gesandtschaft seinen Glaubensgenossen die freie Predigt zu erwirken.
Bald aber erfolgte durch die Wahl eines katholischen Schöffenmeisters und
die eifrigen Bemühungen der stärkeren Partei ein Umschlag. Eine Versamm¬
lung von ungefähr 200 evangelischen Metzern, die Ostern 1543 in Gorze
das Abendmahl aus Farek's Händen empfangen wollte, ließ der Herzog
Claude von Guise durch seine Reiter auseinander sprengen und ein kaiser¬
liches Verbot der lutherischen Predigt folgte nach, als eben Calvin selbst im
Begriffe stand, sich als ihr Vorkämpfer in die Stadt zu begeben. Die Evan¬
gelischen, die vergeblich ihre Blicke nach Deutschland gerichtet hatten, fügten
sich ruhig der Gewalt, um zu weiteren Unruhen keinen Anlaß zu geben,
denn die papistische Partei neigte zu Frankreich und schon schrieb man ihr
die Absicht zu, die Stadt in französische Hände spielen zu wollen.

Halten wir hier einen Augenblick inne, um uns der allgemeinen Lage
zu erinnern. Deutschland, indem es durch die Wahl des Habsburgers Karl's
V. einem nationalen Kaiser seine Stimme gegeben zu haben meinte, war zu
seinem Unglücke unter die Herrschaft eines Fürsten gekommen, dem bei man¬
chen großen Eigenschaften jedes Verständniß abging für die aus dem eigensten
Geiste des deutschen Volkes entspringende Erneuerung der Kirche. Nachdem
er die seinen religiösen Ueberzeugungen wie seinen politischen Absichten gleich


drüber Jean ClMelain, der durch seine Beredtsamkeit das Volk fortriß und
entzündete, wurde bald darauf verhaftet und nach neunmonatlicher Gefangen¬
schaft am 12. Januar 1525 zu Vic als Ketzer zum Scheiterhaufen geführt,
indem er versicherte, keinen andern Glauben zu bekennen, als den des heil.
Augustinus und Ambrosius. Standhaft erlitt er unter Anrufung Jesu den
Märtyrertod, der einen tiefen Eindruck hinterließ. Andere Kämpfer für das
Evangelium folgten nach, Wilhelm Farek und sogar ein Metzer Chorherr,
Peter Tossanus, der gleichfalls in Deutschland sich dazu bekehrt hatte. Unter
den Bürgern mehrte sich trotz strengen Verbotes der lutherischen Schriften
die evangelische Partei, zu der neben Leuten aus den unteren Ständen all¬
mählich auch einzelne Vornehme sich gesellten. 1542 gelangte ein Lutheraner,
Gaspard von Heu, zur Würde des Schöffenmeisters, während der lutherische
Graf Wilhelm von Fürstenberg gleichzeitig Gorze inne hatte. Da ward der
feurige und unermüdliche Farek abermals aus der Schweiz als Prediger be¬
rufen. Auf dem Kirchhofe der Jacobiner redete er von einer steinernen
Kanzel herab zu der versammelten Menge, während die erbitterten Mönche
mit allen Glocken lauteten, seine Stimme zu übertönen. Einige tausend
Gläubige fanden sich zusammen und der Schöffenmeister suchte sogar die Auf¬
nahme der Stadt in den Schmalkaldischen Bund nach. Der Bund fand,
gegen den kühnerem Rath des Landgrafen Philipp, ein Bedenken darin, daß
die Mehrheit der dreizehn noch katholisch gesinnt sei und begnügte sich durch
eine Gesandtschaft seinen Glaubensgenossen die freie Predigt zu erwirken.
Bald aber erfolgte durch die Wahl eines katholischen Schöffenmeisters und
die eifrigen Bemühungen der stärkeren Partei ein Umschlag. Eine Versamm¬
lung von ungefähr 200 evangelischen Metzern, die Ostern 1543 in Gorze
das Abendmahl aus Farek's Händen empfangen wollte, ließ der Herzog
Claude von Guise durch seine Reiter auseinander sprengen und ein kaiser¬
liches Verbot der lutherischen Predigt folgte nach, als eben Calvin selbst im
Begriffe stand, sich als ihr Vorkämpfer in die Stadt zu begeben. Die Evan¬
gelischen, die vergeblich ihre Blicke nach Deutschland gerichtet hatten, fügten
sich ruhig der Gewalt, um zu weiteren Unruhen keinen Anlaß zu geben,
denn die papistische Partei neigte zu Frankreich und schon schrieb man ihr
die Absicht zu, die Stadt in französische Hände spielen zu wollen.

Halten wir hier einen Augenblick inne, um uns der allgemeinen Lage
zu erinnern. Deutschland, indem es durch die Wahl des Habsburgers Karl's
V. einem nationalen Kaiser seine Stimme gegeben zu haben meinte, war zu
seinem Unglücke unter die Herrschaft eines Fürsten gekommen, dem bei man¬
chen großen Eigenschaften jedes Verständniß abging für die aus dem eigensten
Geiste des deutschen Volkes entspringende Erneuerung der Kirche. Nachdem
er die seinen religiösen Ueberzeugungen wie seinen politischen Absichten gleich


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[0496] drüber Jean ClMelain, der durch seine Beredtsamkeit das Volk fortriß und entzündete, wurde bald darauf verhaftet und nach neunmonatlicher Gefangen¬ schaft am 12. Januar 1525 zu Vic als Ketzer zum Scheiterhaufen geführt, indem er versicherte, keinen andern Glauben zu bekennen, als den des heil. Augustinus und Ambrosius. Standhaft erlitt er unter Anrufung Jesu den Märtyrertod, der einen tiefen Eindruck hinterließ. Andere Kämpfer für das Evangelium folgten nach, Wilhelm Farek und sogar ein Metzer Chorherr, Peter Tossanus, der gleichfalls in Deutschland sich dazu bekehrt hatte. Unter den Bürgern mehrte sich trotz strengen Verbotes der lutherischen Schriften die evangelische Partei, zu der neben Leuten aus den unteren Ständen all¬ mählich auch einzelne Vornehme sich gesellten. 1542 gelangte ein Lutheraner, Gaspard von Heu, zur Würde des Schöffenmeisters, während der lutherische Graf Wilhelm von Fürstenberg gleichzeitig Gorze inne hatte. Da ward der feurige und unermüdliche Farek abermals aus der Schweiz als Prediger be¬ rufen. Auf dem Kirchhofe der Jacobiner redete er von einer steinernen Kanzel herab zu der versammelten Menge, während die erbitterten Mönche mit allen Glocken lauteten, seine Stimme zu übertönen. Einige tausend Gläubige fanden sich zusammen und der Schöffenmeister suchte sogar die Auf¬ nahme der Stadt in den Schmalkaldischen Bund nach. Der Bund fand, gegen den kühnerem Rath des Landgrafen Philipp, ein Bedenken darin, daß die Mehrheit der dreizehn noch katholisch gesinnt sei und begnügte sich durch eine Gesandtschaft seinen Glaubensgenossen die freie Predigt zu erwirken. Bald aber erfolgte durch die Wahl eines katholischen Schöffenmeisters und die eifrigen Bemühungen der stärkeren Partei ein Umschlag. Eine Versamm¬ lung von ungefähr 200 evangelischen Metzern, die Ostern 1543 in Gorze das Abendmahl aus Farek's Händen empfangen wollte, ließ der Herzog Claude von Guise durch seine Reiter auseinander sprengen und ein kaiser¬ liches Verbot der lutherischen Predigt folgte nach, als eben Calvin selbst im Begriffe stand, sich als ihr Vorkämpfer in die Stadt zu begeben. Die Evan¬ gelischen, die vergeblich ihre Blicke nach Deutschland gerichtet hatten, fügten sich ruhig der Gewalt, um zu weiteren Unruhen keinen Anlaß zu geben, denn die papistische Partei neigte zu Frankreich und schon schrieb man ihr die Absicht zu, die Stadt in französische Hände spielen zu wollen. Halten wir hier einen Augenblick inne, um uns der allgemeinen Lage zu erinnern. Deutschland, indem es durch die Wahl des Habsburgers Karl's V. einem nationalen Kaiser seine Stimme gegeben zu haben meinte, war zu seinem Unglücke unter die Herrschaft eines Fürsten gekommen, dem bei man¬ chen großen Eigenschaften jedes Verständniß abging für die aus dem eigensten Geiste des deutschen Volkes entspringende Erneuerung der Kirche. Nachdem er die seinen religiösen Ueberzeugungen wie seinen politischen Absichten gleich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/496>, abgerufen am 23.12.2024.