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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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barbarischer Verwüstung der Landgüter und Weinberge und tapferer Gegen¬
wehr der Büger, die sich bereits der kürzlich erst erfundenen Kanonen und
Feldschlangen bedienten, vertrug man sich zuletzt friedlich und die Stadt
kaufte sich durch eine artige Geldsumme von ihren.Peinigern los. Viel be¬
drohlicher noch als diese erste, war eine zweite Belagerung, die im Jahre 1444
abermals der Herzog von Lothringen, Renatus von Anjou, durch Geldnoth
getrieben über Metz verhängte, denn nicht deutsche Fürsten, sondern Frank¬
reich nahm diesmal an derselben Theil. König Karl VII. ergriff freudig die
Gelegenheit, seine durch den Waffenstillstand mit England entbehrlich und
lästig gewordenen Söldner in passender Weise zu beschäftigen. 60,000"Mann
umringten am 10. September die überraschte Stadt und zerstreuten sich sen¬
gend und raubend über ihr Gebiet. Ueber fünf Monate nur auf sich ange¬
wiesen, hielten die Metzer wacker Stand und bewahrten endlich im Friedens¬
schlüsse ihre volle Selbständigkeit -- freilich wiederum gegen Geldopfer, die
die Gemeinde lange und schwer bedrückten. Bei dieser Gelegenheit war es,
wo Frankreich, kaum aufathmend von den englischen Kriegen, zum erstenmale
seine Hand nach dem Besitze der wohlgelegenen Stadt ausstreckte, aber die
Vertreter der Bürgerschaft erklärten, daß sie von jeher ein Glied und eine
freie Stadt des heiligen römischen Reiches gewesen und ihm allein zur Treue
verpflichtet seien. Eher wollten sie sterben, als ihre Ehre durch Treubruch
erniedrigen. Nicht minder wurde Ludwig XI. abgewiesen, als er 20 Jahre
später, während eben die Stadt unter den Wirkungen des päpstlichen Bannes
seufzte, sie durch einen sehr freundschaftlichen Brief zur Ergebung bereden
wollte; so unumwunden drückten die Metzer ihr Befremden aus, daß der
König für besser fand, Brief und Herold zu verläugnen.

Hatte Metz an der freiheitlichen Entwickelung "der deutschen Schwester¬
städte seinen vollen Antheil genommen in offenem Widerstreite mit der Geist¬
lichkeit, deren Habsucht manches beschränkende Gesetz hemmen sollte, so war
es natürlich, daß die reformatorische Bewegung unter dieser mannhaften,
stets ghibellinisch gesinnten Bürgerschaft nicht minder einen lebhaften Wieder¬
hall finden mußte. Schon bald nach 1320 beschäftigte man sich mit Luther's
Lehren und Schriften und erörterte die Streitpunkte in den Rathsstuben.
Zu den ersten Vertretern der Neuerung, der er selbst unter der Geistlichkeit
Anhang gewann, gehörte der gelehrte Humanist Agrippa von Nettesheim.
Von Wittenberg her erschien im März 1S24 der Franziscaner Franz Lambert
aus Avignon, ein Jünger Luther's und bereits verheirathet, in Metz, wo er
schon nach 14 Tagen heimlicher Predigt weichen mußte, ohne die angeschla¬
genen 116 Thesen noch verfechten zu können, denn von Lothringen aus,
wo der Herzog ein Strasedict erlassen, erhob sich ein Sturm wider die
lutherische Ketzerei. Ein Freund und Anhänger Lambert's, der Augustiner-


barbarischer Verwüstung der Landgüter und Weinberge und tapferer Gegen¬
wehr der Büger, die sich bereits der kürzlich erst erfundenen Kanonen und
Feldschlangen bedienten, vertrug man sich zuletzt friedlich und die Stadt
kaufte sich durch eine artige Geldsumme von ihren.Peinigern los. Viel be¬
drohlicher noch als diese erste, war eine zweite Belagerung, die im Jahre 1444
abermals der Herzog von Lothringen, Renatus von Anjou, durch Geldnoth
getrieben über Metz verhängte, denn nicht deutsche Fürsten, sondern Frank¬
reich nahm diesmal an derselben Theil. König Karl VII. ergriff freudig die
Gelegenheit, seine durch den Waffenstillstand mit England entbehrlich und
lästig gewordenen Söldner in passender Weise zu beschäftigen. 60,000"Mann
umringten am 10. September die überraschte Stadt und zerstreuten sich sen¬
gend und raubend über ihr Gebiet. Ueber fünf Monate nur auf sich ange¬
wiesen, hielten die Metzer wacker Stand und bewahrten endlich im Friedens¬
schlüsse ihre volle Selbständigkeit — freilich wiederum gegen Geldopfer, die
die Gemeinde lange und schwer bedrückten. Bei dieser Gelegenheit war es,
wo Frankreich, kaum aufathmend von den englischen Kriegen, zum erstenmale
seine Hand nach dem Besitze der wohlgelegenen Stadt ausstreckte, aber die
Vertreter der Bürgerschaft erklärten, daß sie von jeher ein Glied und eine
freie Stadt des heiligen römischen Reiches gewesen und ihm allein zur Treue
verpflichtet seien. Eher wollten sie sterben, als ihre Ehre durch Treubruch
erniedrigen. Nicht minder wurde Ludwig XI. abgewiesen, als er 20 Jahre
später, während eben die Stadt unter den Wirkungen des päpstlichen Bannes
seufzte, sie durch einen sehr freundschaftlichen Brief zur Ergebung bereden
wollte; so unumwunden drückten die Metzer ihr Befremden aus, daß der
König für besser fand, Brief und Herold zu verläugnen.

Hatte Metz an der freiheitlichen Entwickelung «der deutschen Schwester¬
städte seinen vollen Antheil genommen in offenem Widerstreite mit der Geist¬
lichkeit, deren Habsucht manches beschränkende Gesetz hemmen sollte, so war
es natürlich, daß die reformatorische Bewegung unter dieser mannhaften,
stets ghibellinisch gesinnten Bürgerschaft nicht minder einen lebhaften Wieder¬
hall finden mußte. Schon bald nach 1320 beschäftigte man sich mit Luther's
Lehren und Schriften und erörterte die Streitpunkte in den Rathsstuben.
Zu den ersten Vertretern der Neuerung, der er selbst unter der Geistlichkeit
Anhang gewann, gehörte der gelehrte Humanist Agrippa von Nettesheim.
Von Wittenberg her erschien im März 1S24 der Franziscaner Franz Lambert
aus Avignon, ein Jünger Luther's und bereits verheirathet, in Metz, wo er
schon nach 14 Tagen heimlicher Predigt weichen mußte, ohne die angeschla¬
genen 116 Thesen noch verfechten zu können, denn von Lothringen aus,
wo der Herzog ein Strasedict erlassen, erhob sich ein Sturm wider die
lutherische Ketzerei. Ein Freund und Anhänger Lambert's, der Augustiner-


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[0495] barbarischer Verwüstung der Landgüter und Weinberge und tapferer Gegen¬ wehr der Büger, die sich bereits der kürzlich erst erfundenen Kanonen und Feldschlangen bedienten, vertrug man sich zuletzt friedlich und die Stadt kaufte sich durch eine artige Geldsumme von ihren.Peinigern los. Viel be¬ drohlicher noch als diese erste, war eine zweite Belagerung, die im Jahre 1444 abermals der Herzog von Lothringen, Renatus von Anjou, durch Geldnoth getrieben über Metz verhängte, denn nicht deutsche Fürsten, sondern Frank¬ reich nahm diesmal an derselben Theil. König Karl VII. ergriff freudig die Gelegenheit, seine durch den Waffenstillstand mit England entbehrlich und lästig gewordenen Söldner in passender Weise zu beschäftigen. 60,000"Mann umringten am 10. September die überraschte Stadt und zerstreuten sich sen¬ gend und raubend über ihr Gebiet. Ueber fünf Monate nur auf sich ange¬ wiesen, hielten die Metzer wacker Stand und bewahrten endlich im Friedens¬ schlüsse ihre volle Selbständigkeit — freilich wiederum gegen Geldopfer, die die Gemeinde lange und schwer bedrückten. Bei dieser Gelegenheit war es, wo Frankreich, kaum aufathmend von den englischen Kriegen, zum erstenmale seine Hand nach dem Besitze der wohlgelegenen Stadt ausstreckte, aber die Vertreter der Bürgerschaft erklärten, daß sie von jeher ein Glied und eine freie Stadt des heiligen römischen Reiches gewesen und ihm allein zur Treue verpflichtet seien. Eher wollten sie sterben, als ihre Ehre durch Treubruch erniedrigen. Nicht minder wurde Ludwig XI. abgewiesen, als er 20 Jahre später, während eben die Stadt unter den Wirkungen des päpstlichen Bannes seufzte, sie durch einen sehr freundschaftlichen Brief zur Ergebung bereden wollte; so unumwunden drückten die Metzer ihr Befremden aus, daß der König für besser fand, Brief und Herold zu verläugnen. Hatte Metz an der freiheitlichen Entwickelung «der deutschen Schwester¬ städte seinen vollen Antheil genommen in offenem Widerstreite mit der Geist¬ lichkeit, deren Habsucht manches beschränkende Gesetz hemmen sollte, so war es natürlich, daß die reformatorische Bewegung unter dieser mannhaften, stets ghibellinisch gesinnten Bürgerschaft nicht minder einen lebhaften Wieder¬ hall finden mußte. Schon bald nach 1320 beschäftigte man sich mit Luther's Lehren und Schriften und erörterte die Streitpunkte in den Rathsstuben. Zu den ersten Vertretern der Neuerung, der er selbst unter der Geistlichkeit Anhang gewann, gehörte der gelehrte Humanist Agrippa von Nettesheim. Von Wittenberg her erschien im März 1S24 der Franziscaner Franz Lambert aus Avignon, ein Jünger Luther's und bereits verheirathet, in Metz, wo er schon nach 14 Tagen heimlicher Predigt weichen mußte, ohne die angeschla¬ genen 116 Thesen noch verfechten zu können, denn von Lothringen aus, wo der Herzog ein Strasedict erlassen, erhob sich ein Sturm wider die lutherische Ketzerei. Ein Freund und Anhänger Lambert's, der Augustiner-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/495>, abgerufen am 23.12.2024.