Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lieben Schirme anfing, sich selber Gesetze zu geben, sich selbst zu besteuern
und (seit 1376) sogar eigene Münzen zu schlagen. Wie das deutsche Reich
in seiner universellen Bestimmung mit loser und leichter Hülle die mannig¬
fachsten Verfassungsformen in sich schloß, so konnte unter seiner Oberhoheit
die streitbare Bürgerschaft von Metz im dreizehnten Jahrhundert sich fast zu
voller republikanischer Unabhängigkeit hindurchringen und außerhalb ihrer
20 Thore noch ein kleines Gebiet von 26ö Dörfern beherrschen. Die Ver¬
fassung des Freistaates war, ähnlich der von Basel, Zürich. Straßburg und
Augsburg,, eine durchaus aristokratische, denn alle Macht in öffentlichen
Dingen beruhte auf sechs Geschlechtern, aus denen nach streng geregelter
Reihenfolge und Vertheilung sämmtliche Beamte hervorgingen. Von diesen
Geschlechtern oder Adelsgesellschaften, MraiMS genannt, heißen die fünf ersten
älteren nach einzelnen Stadtvierteln (Ä'0nerv-L<Me, ,7urus u. f. w.) und
stellen in sich einen verwandtschaftlichen Verband adlicher Familien dar; das
sechste und größte dagegen heißt das gemeine (an commun), weil es aus
später emporgekommenen, unzusammenhängenden Familien besteht. Mit
großer Zähigkeit halten diese Genossenschaften, jede mit eigenem Wappen und
Siegel, an den ererbten Vorrechten fest. An der Spitze des Ganzen steht
(seit 1190) als Oberhaupt der hochgebietende Schöffenmeister (mattre-SeKevin),
zuerst auf Lebenszeit, dann alljährlich von den Aebten der fünf größten
Klöster, zu denen auch Gorze zählte, und dem Domprobste gewählt. Er
selbst erkor sich als Räthe 12 Schöffen, bei weitem einflußreicher aber als
diese war der aus den Geschlechtern erlooste Senat der dreizehn (treibe), dem
außer der polizeilichen Aufsicht namentlich die bürgerliche wie die peinliche
Rechtspflege oblag. Von ihrem Urtheilsspruche in peinlichen Sachen fand
keine Berufung statt: nur wenn der zum Tode verurtheilte Verbrecher zu¬
fällig dem Schöffenmeister begegnete, hemmte dieser die Vollziehung des
Spruches und ordnete eine neue Untersuchung an. Außer den dreizehn, die
auch in der politischen Leitung dem Oberhaupte zur Seite standen, wurden
zu ihrer Unterstützung und Überwachung auch noch die sogenannten xruü-
vvmmös in schwankender Zahl durchs Loos erwählt. Die einzige aus der
Gemeinde hervorgehende Behörde waren die 26 geschworenen Grafen (evmtss-
urös), die an der Verwaltung einigen Antheil hatten. In den aus allen
diesen Beamten gebildeten hohen Rath entsandten die Geschlechter überdies
noch 140 besondere Vertreter. Nur in außerordentlichen Fällen wurde da¬
neben die gesammte Bürgerschaft, in der außer den reichen Kaufleuten vor¬
züglich die in 10 Zünfte getheilten Handwerker hervortreten, zu einer Ver¬
sammlung berufen. Außer den leitenden Behörden gab es noch eine große
Anzahl weiterer Aemter, wie die Sieben vom Kriege, die Sieben von den
Thoren und Mauern, die Sieben von der Steuer, vom Schatze, den Schatz-


lieben Schirme anfing, sich selber Gesetze zu geben, sich selbst zu besteuern
und (seit 1376) sogar eigene Münzen zu schlagen. Wie das deutsche Reich
in seiner universellen Bestimmung mit loser und leichter Hülle die mannig¬
fachsten Verfassungsformen in sich schloß, so konnte unter seiner Oberhoheit
die streitbare Bürgerschaft von Metz im dreizehnten Jahrhundert sich fast zu
voller republikanischer Unabhängigkeit hindurchringen und außerhalb ihrer
20 Thore noch ein kleines Gebiet von 26ö Dörfern beherrschen. Die Ver¬
fassung des Freistaates war, ähnlich der von Basel, Zürich. Straßburg und
Augsburg,, eine durchaus aristokratische, denn alle Macht in öffentlichen
Dingen beruhte auf sechs Geschlechtern, aus denen nach streng geregelter
Reihenfolge und Vertheilung sämmtliche Beamte hervorgingen. Von diesen
Geschlechtern oder Adelsgesellschaften, MraiMS genannt, heißen die fünf ersten
älteren nach einzelnen Stadtvierteln (Ä'0nerv-L<Me, ,7urus u. f. w.) und
stellen in sich einen verwandtschaftlichen Verband adlicher Familien dar; das
sechste und größte dagegen heißt das gemeine (an commun), weil es aus
später emporgekommenen, unzusammenhängenden Familien besteht. Mit
großer Zähigkeit halten diese Genossenschaften, jede mit eigenem Wappen und
Siegel, an den ererbten Vorrechten fest. An der Spitze des Ganzen steht
(seit 1190) als Oberhaupt der hochgebietende Schöffenmeister (mattre-SeKevin),
zuerst auf Lebenszeit, dann alljährlich von den Aebten der fünf größten
Klöster, zu denen auch Gorze zählte, und dem Domprobste gewählt. Er
selbst erkor sich als Räthe 12 Schöffen, bei weitem einflußreicher aber als
diese war der aus den Geschlechtern erlooste Senat der dreizehn (treibe), dem
außer der polizeilichen Aufsicht namentlich die bürgerliche wie die peinliche
Rechtspflege oblag. Von ihrem Urtheilsspruche in peinlichen Sachen fand
keine Berufung statt: nur wenn der zum Tode verurtheilte Verbrecher zu¬
fällig dem Schöffenmeister begegnete, hemmte dieser die Vollziehung des
Spruches und ordnete eine neue Untersuchung an. Außer den dreizehn, die
auch in der politischen Leitung dem Oberhaupte zur Seite standen, wurden
zu ihrer Unterstützung und Überwachung auch noch die sogenannten xruü-
vvmmös in schwankender Zahl durchs Loos erwählt. Die einzige aus der
Gemeinde hervorgehende Behörde waren die 26 geschworenen Grafen (evmtss-
urös), die an der Verwaltung einigen Antheil hatten. In den aus allen
diesen Beamten gebildeten hohen Rath entsandten die Geschlechter überdies
noch 140 besondere Vertreter. Nur in außerordentlichen Fällen wurde da¬
neben die gesammte Bürgerschaft, in der außer den reichen Kaufleuten vor¬
züglich die in 10 Zünfte getheilten Handwerker hervortreten, zu einer Ver¬
sammlung berufen. Außer den leitenden Behörden gab es noch eine große
Anzahl weiterer Aemter, wie die Sieben vom Kriege, die Sieben von den
Thoren und Mauern, die Sieben von der Steuer, vom Schatze, den Schatz-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125198"/>
          <p xml:id="ID_1507" prev="#ID_1506" next="#ID_1508"> lieben Schirme anfing, sich selber Gesetze zu geben, sich selbst zu besteuern<lb/>
und (seit 1376) sogar eigene Münzen zu schlagen.  Wie das deutsche Reich<lb/>
in seiner universellen Bestimmung mit loser und leichter Hülle die mannig¬<lb/>
fachsten Verfassungsformen in sich schloß, so konnte unter seiner Oberhoheit<lb/>
die streitbare Bürgerschaft von Metz im dreizehnten Jahrhundert sich fast zu<lb/>
voller republikanischer Unabhängigkeit hindurchringen und außerhalb ihrer<lb/>
20 Thore noch ein kleines Gebiet von 26ö Dörfern beherrschen.  Die Ver¬<lb/>
fassung des Freistaates war, ähnlich der von Basel, Zürich. Straßburg und<lb/>
Augsburg,, eine durchaus aristokratische, denn alle Macht in öffentlichen<lb/>
Dingen beruhte auf sechs Geschlechtern, aus denen nach streng geregelter<lb/>
Reihenfolge und Vertheilung sämmtliche Beamte hervorgingen.  Von diesen<lb/>
Geschlechtern oder Adelsgesellschaften, MraiMS genannt, heißen die fünf ersten<lb/>
älteren nach einzelnen Stadtvierteln (Ä'0nerv-L&lt;Me, ,7urus u. f. w.) und<lb/>
stellen in sich einen verwandtschaftlichen Verband adlicher Familien dar; das<lb/>
sechste und größte dagegen heißt das gemeine (an commun), weil es aus<lb/>
später emporgekommenen, unzusammenhängenden Familien besteht. Mit<lb/>
großer Zähigkeit halten diese Genossenschaften, jede mit eigenem Wappen und<lb/>
Siegel, an den ererbten Vorrechten fest.  An der Spitze des Ganzen steht<lb/>
(seit 1190) als Oberhaupt der hochgebietende Schöffenmeister (mattre-SeKevin),<lb/>
zuerst auf Lebenszeit, dann alljährlich von den Aebten der fünf größten<lb/>
Klöster, zu denen auch Gorze zählte, und dem Domprobste gewählt. Er<lb/>
selbst erkor sich als Räthe 12 Schöffen, bei weitem einflußreicher aber als<lb/>
diese war der aus den Geschlechtern erlooste Senat der dreizehn (treibe), dem<lb/>
außer der polizeilichen Aufsicht namentlich die bürgerliche wie die peinliche<lb/>
Rechtspflege oblag.  Von ihrem Urtheilsspruche in peinlichen Sachen fand<lb/>
keine Berufung statt: nur wenn der zum Tode verurtheilte Verbrecher zu¬<lb/>
fällig dem Schöffenmeister begegnete, hemmte dieser die Vollziehung des<lb/>
Spruches und ordnete eine neue Untersuchung an.  Außer den dreizehn, die<lb/>
auch in der politischen Leitung dem Oberhaupte zur Seite standen, wurden<lb/>
zu ihrer Unterstützung und Überwachung auch noch die sogenannten xruü-<lb/>
vvmmös in schwankender Zahl durchs Loos erwählt.  Die einzige aus der<lb/>
Gemeinde hervorgehende Behörde waren die 26 geschworenen Grafen (evmtss-<lb/>
urös), die an der Verwaltung einigen Antheil hatten.  In den aus allen<lb/>
diesen Beamten gebildeten hohen Rath entsandten die Geschlechter überdies<lb/>
noch 140 besondere Vertreter.  Nur in außerordentlichen Fällen wurde da¬<lb/>
neben die gesammte Bürgerschaft, in der außer den reichen Kaufleuten vor¬<lb/>
züglich die in 10 Zünfte getheilten Handwerker hervortreten, zu einer Ver¬<lb/>
sammlung berufen.  Außer den leitenden Behörden gab es noch eine große<lb/>
Anzahl weiterer Aemter, wie die Sieben vom Kriege, die Sieben von den<lb/>
Thoren und Mauern, die Sieben von der Steuer, vom Schatze, den Schatz-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] lieben Schirme anfing, sich selber Gesetze zu geben, sich selbst zu besteuern und (seit 1376) sogar eigene Münzen zu schlagen. Wie das deutsche Reich in seiner universellen Bestimmung mit loser und leichter Hülle die mannig¬ fachsten Verfassungsformen in sich schloß, so konnte unter seiner Oberhoheit die streitbare Bürgerschaft von Metz im dreizehnten Jahrhundert sich fast zu voller republikanischer Unabhängigkeit hindurchringen und außerhalb ihrer 20 Thore noch ein kleines Gebiet von 26ö Dörfern beherrschen. Die Ver¬ fassung des Freistaates war, ähnlich der von Basel, Zürich. Straßburg und Augsburg,, eine durchaus aristokratische, denn alle Macht in öffentlichen Dingen beruhte auf sechs Geschlechtern, aus denen nach streng geregelter Reihenfolge und Vertheilung sämmtliche Beamte hervorgingen. Von diesen Geschlechtern oder Adelsgesellschaften, MraiMS genannt, heißen die fünf ersten älteren nach einzelnen Stadtvierteln (Ä'0nerv-L<Me, ,7urus u. f. w.) und stellen in sich einen verwandtschaftlichen Verband adlicher Familien dar; das sechste und größte dagegen heißt das gemeine (an commun), weil es aus später emporgekommenen, unzusammenhängenden Familien besteht. Mit großer Zähigkeit halten diese Genossenschaften, jede mit eigenem Wappen und Siegel, an den ererbten Vorrechten fest. An der Spitze des Ganzen steht (seit 1190) als Oberhaupt der hochgebietende Schöffenmeister (mattre-SeKevin), zuerst auf Lebenszeit, dann alljährlich von den Aebten der fünf größten Klöster, zu denen auch Gorze zählte, und dem Domprobste gewählt. Er selbst erkor sich als Räthe 12 Schöffen, bei weitem einflußreicher aber als diese war der aus den Geschlechtern erlooste Senat der dreizehn (treibe), dem außer der polizeilichen Aufsicht namentlich die bürgerliche wie die peinliche Rechtspflege oblag. Von ihrem Urtheilsspruche in peinlichen Sachen fand keine Berufung statt: nur wenn der zum Tode verurtheilte Verbrecher zu¬ fällig dem Schöffenmeister begegnete, hemmte dieser die Vollziehung des Spruches und ordnete eine neue Untersuchung an. Außer den dreizehn, die auch in der politischen Leitung dem Oberhaupte zur Seite standen, wurden zu ihrer Unterstützung und Überwachung auch noch die sogenannten xruü- vvmmös in schwankender Zahl durchs Loos erwählt. Die einzige aus der Gemeinde hervorgehende Behörde waren die 26 geschworenen Grafen (evmtss- urös), die an der Verwaltung einigen Antheil hatten. In den aus allen diesen Beamten gebildeten hohen Rath entsandten die Geschlechter überdies noch 140 besondere Vertreter. Nur in außerordentlichen Fällen wurde da¬ neben die gesammte Bürgerschaft, in der außer den reichen Kaufleuten vor¬ züglich die in 10 Zünfte getheilten Handwerker hervortreten, zu einer Ver¬ sammlung berufen. Außer den leitenden Behörden gab es noch eine große Anzahl weiterer Aemter, wie die Sieben vom Kriege, die Sieben von den Thoren und Mauern, die Sieben von der Steuer, vom Schatze, den Schatz-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/492>, abgerufen am 23.12.2024.