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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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an dem prächtigen Stanislasplatz und den Boulevards muß man sich auch
in so bewegter Zelt erfreuen. Uebrigens verlieh gerade der Krieg der
Stadt ein eigenes Leben. Unsere wackeren Offiziere führten in einigen der
glänzendsten Kaffeehäuser mit dem international denkenden Theile der weib¬
lichen Bevölkerung ein lustiges Treiben, das man ihnen als sauerverdiente
Erholung wohl gönnen konnte. Man behauptete übrigens, daß sich ein
preußischer Offizier mit einer jungen Dame aus einem der ersten Häuser der
Stadt ernstlich verlobt habe. Trotz dieser einzelnen Annäherungen und trotz¬
dem die äußere Haltung dieser Jnnerlothringer uns gegenüber weit weniger
schroff ist, als die der Grenzbewohner, erzählte man doch, daß noch immer
auf die Wachen geschossen würde und auch die Vorsichtsmaßregel, angesehene
Geißeln auf den Eisenbahnzügen mitzuführen, hat man noch nicht aufgeben
dürfen.

Es war Mittwoch den 9. Nov., daß wir über Pont-5-Moussou und Ars
für Moselle nach Metz fuhren, durch ein fruchtbares, herrliches Gelände.
Besonders beachtenswerth erschien mir die bisher wenig erwähnte Eisenin-
dustrie, die dort erst in jüngster Zeit durch Rothschild und seinen Schwieger¬
sohn ins Leben gerufen ist. Zahlreiche Eisenwerke begleiten die ganze Bahn-
strecke von Pont-^-M. bis Ars. Ihren Schmelzbedarf an Erzen ziehen sie
aus der Bergkette, die in nur viertelstündiger Entfernung der Bahn parallel
läuft. Dieselben Wagen, welche Kohlen herbeibringen, nehmen als Rückfracht
Roheisen mit. Viele Arbeiterhäuschen mit Gärten liegen um die Werke her-
um, einige Etablissements, zu denen erst kurz vorm Kriege der Grundstein
gelegt worden, sind mitten im Bau stehen geblieben. Welche Industrie hätten hier
die Franzosen entwickeln können, wenn sie ihr langgenährtes Gelüst nach den
Saarkohlen durch diesen Krieg hätten befriedigen können! Es ist zu wünschen,
daß nun die beiden Stoffe, die auf einander angewiesen sind, hier in deutscher
Hand vereinigt werden. -- Schon vor Ars s./M. erblickt man die Spuren
der Verwüstung, auf Metz zu mehren sie sich und Todtenfelder, mit einfachen
Kreuzen bestanden, bezeichnen die Ruhestatt so vieler Braven, die der rauhen
Witterung während der langen, anstrengenden Cernirung erlegen sind. Da
kamen denn für die Ueberlebenden die Liebesgaben so recht gelegen.

Es ist überhaupt eitles, verhängnißvoll täuschendes Geschwätz, wenn un¬
erfahrene Correspondenten behaupten, es sei für die Bedürfnisse der Truppen
auch ohne angestrengte Privatwohlthätigkeit hinlänglich gesorgt. Wir über¬
zeugten uns in Metz, daß nicht einmal alle Offiziere, geschweige denn die
Mannschaften mit wollenen Decken, Strümpfen und Hemden, oder nun gar
mit Regenmänteln versehen waren. Der wiederholt aufs lebhafteste und
freudigste von Soldaten und Offizieren der Regimenter 6, 9, 13, Is und 19
dem Geber ausgesprochene Dank bewies deutlich, welchen dringenden Bedürs-


an dem prächtigen Stanislasplatz und den Boulevards muß man sich auch
in so bewegter Zelt erfreuen. Uebrigens verlieh gerade der Krieg der
Stadt ein eigenes Leben. Unsere wackeren Offiziere führten in einigen der
glänzendsten Kaffeehäuser mit dem international denkenden Theile der weib¬
lichen Bevölkerung ein lustiges Treiben, das man ihnen als sauerverdiente
Erholung wohl gönnen konnte. Man behauptete übrigens, daß sich ein
preußischer Offizier mit einer jungen Dame aus einem der ersten Häuser der
Stadt ernstlich verlobt habe. Trotz dieser einzelnen Annäherungen und trotz¬
dem die äußere Haltung dieser Jnnerlothringer uns gegenüber weit weniger
schroff ist, als die der Grenzbewohner, erzählte man doch, daß noch immer
auf die Wachen geschossen würde und auch die Vorsichtsmaßregel, angesehene
Geißeln auf den Eisenbahnzügen mitzuführen, hat man noch nicht aufgeben
dürfen.

Es war Mittwoch den 9. Nov., daß wir über Pont-5-Moussou und Ars
für Moselle nach Metz fuhren, durch ein fruchtbares, herrliches Gelände.
Besonders beachtenswerth erschien mir die bisher wenig erwähnte Eisenin-
dustrie, die dort erst in jüngster Zeit durch Rothschild und seinen Schwieger¬
sohn ins Leben gerufen ist. Zahlreiche Eisenwerke begleiten die ganze Bahn-
strecke von Pont-^-M. bis Ars. Ihren Schmelzbedarf an Erzen ziehen sie
aus der Bergkette, die in nur viertelstündiger Entfernung der Bahn parallel
läuft. Dieselben Wagen, welche Kohlen herbeibringen, nehmen als Rückfracht
Roheisen mit. Viele Arbeiterhäuschen mit Gärten liegen um die Werke her-
um, einige Etablissements, zu denen erst kurz vorm Kriege der Grundstein
gelegt worden, sind mitten im Bau stehen geblieben. Welche Industrie hätten hier
die Franzosen entwickeln können, wenn sie ihr langgenährtes Gelüst nach den
Saarkohlen durch diesen Krieg hätten befriedigen können! Es ist zu wünschen,
daß nun die beiden Stoffe, die auf einander angewiesen sind, hier in deutscher
Hand vereinigt werden. — Schon vor Ars s./M. erblickt man die Spuren
der Verwüstung, auf Metz zu mehren sie sich und Todtenfelder, mit einfachen
Kreuzen bestanden, bezeichnen die Ruhestatt so vieler Braven, die der rauhen
Witterung während der langen, anstrengenden Cernirung erlegen sind. Da
kamen denn für die Ueberlebenden die Liebesgaben so recht gelegen.

Es ist überhaupt eitles, verhängnißvoll täuschendes Geschwätz, wenn un¬
erfahrene Correspondenten behaupten, es sei für die Bedürfnisse der Truppen
auch ohne angestrengte Privatwohlthätigkeit hinlänglich gesorgt. Wir über¬
zeugten uns in Metz, daß nicht einmal alle Offiziere, geschweige denn die
Mannschaften mit wollenen Decken, Strümpfen und Hemden, oder nun gar
mit Regenmänteln versehen waren. Der wiederholt aufs lebhafteste und
freudigste von Soldaten und Offizieren der Regimenter 6, 9, 13, Is und 19
dem Geber ausgesprochene Dank bewies deutlich, welchen dringenden Bedürs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/475>, abgerufen am 22.12.2024.