Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und Mittelrhein besondere Beziehungen zwischen der lothringischen und der
auch sehr frühzeitig und eigenthümlich entwickelten schwarzwälder Glasindustrie
bestanden); eben genug, um damit die Leser d. Bl. auf einige Augenblicke
lehrreich und angenehm zu beschäftigen.

Im Anfange des 17. Jahrhunderts, so berichtet Lepage,^ bildeten die
"Glasherren" von Nanzig eine sehr mächtige Corporation, an deren Spitze
angesehene Leute, wie Jean Martin, Glaser im Hotel Sr. Hoheit des Her¬
zogs (des Herzogs Karl II. von Lothringen), also wohl eine Art von Hof-
glaser, ferner Udoolf Olivier, Jean Thierry, Vincent Claudot und Jean Ele¬
ment, standen. Diese Meister hatten ihre Noth mit der Pfuscherei, die sich
mehr und mehr in ihrem ehrwürdigen Gewerbe breit machte, und es ging
ihnen sehr nahe, daß sie zusehn mußten, wie die alte Kunst >on jungen
Grünschnäbeln gemißhandelt wurde, welche kaum einige Monate in der Lehre
gewesen und in die tiefen Geheimnisse der wahren Glastechnik noch keines¬
wegs eingedrungen waren. Sie wandten sich mit einer Beschwerdeschrift an
den Fürsten und erlangten am 16. Octbr. 1601 vom Cardinal von Lothringen,
welcher den Herzog in dessen Abwesenheit als Generalstatthalter zu vertreten
hatte, ein feierliches Patent zur Errichtung einer geschworenen Zunft für sie
und ihre Nachkommen. Nach Inhalt der Verfassung dieser Zunft sollten die
Glasherren von Nanzig ermächtigt sein, alljährlich am Tage ihres Schutz¬
herrn, des heiligen Lukas, aus ihrer Mitte einen Zunftmeister zu wählen,
welchem die Leitung und Aufsicht in allen Zunftangelegenheiten und die Ver¬
hängung von Strafen in Fällen der Verletzung der Zunftordnung zustehen
sollte. Der Zunftmeister hatte weiter das Recht, einem der Genossen das
Amt eines Obmanns zu übertragen, welchem es oblag, die Versammlungen
zu berufen, in denen die vereinigten Meister über entstandene Zunftstreitig¬
keiten zu befinden hatten. Alle Genossen, welche das Geschäft betreiben woll¬
ten, mußten vorerst ein Meisterstück fertigen und dann durch einen feierlichen
Eid geloben, sich als gute Zunftgenossen betragen zu wollen. Sie mußten
außerdem ein Eintrittsgeld von 10 Fras. entrichten ("ps^er 10 treues xour
äroit ü'euer6s on as ""Kant"" -- Handthierung?) Andere Artikel der
Zunftordnung bestimmen die Strafen, welche verhängt werden sollten über
solche Personen, welche das Geschäft betreiben, ohne in die Zunft aufgenom¬
men zu sein ("sans edi's Kantes"), oder welche anderen Genossen Gesellen
oder andere Mitarbeiter abspänstig machen. Endlich enthalten die Zunft¬
artikel Bestimmungen über die Geschäftsordnung der Versammlungen, über
die Verwaltung der Zunftkasse u. f. w.

Die Glasindustrie hat seit der Zeit, wo sie unter dem erleuchteten Schutze der
Herzöge von Lothringen fröhlich wieder aufgeblüht war, bis auf unsere Tage
immer an Ausdehnung gewonnen und stets den ersten Rang eingenom-


Grenzboten IV. 1870. 57

und Mittelrhein besondere Beziehungen zwischen der lothringischen und der
auch sehr frühzeitig und eigenthümlich entwickelten schwarzwälder Glasindustrie
bestanden); eben genug, um damit die Leser d. Bl. auf einige Augenblicke
lehrreich und angenehm zu beschäftigen.

Im Anfange des 17. Jahrhunderts, so berichtet Lepage,^ bildeten die
„Glasherren" von Nanzig eine sehr mächtige Corporation, an deren Spitze
angesehene Leute, wie Jean Martin, Glaser im Hotel Sr. Hoheit des Her¬
zogs (des Herzogs Karl II. von Lothringen), also wohl eine Art von Hof-
glaser, ferner Udoolf Olivier, Jean Thierry, Vincent Claudot und Jean Ele¬
ment, standen. Diese Meister hatten ihre Noth mit der Pfuscherei, die sich
mehr und mehr in ihrem ehrwürdigen Gewerbe breit machte, und es ging
ihnen sehr nahe, daß sie zusehn mußten, wie die alte Kunst >on jungen
Grünschnäbeln gemißhandelt wurde, welche kaum einige Monate in der Lehre
gewesen und in die tiefen Geheimnisse der wahren Glastechnik noch keines¬
wegs eingedrungen waren. Sie wandten sich mit einer Beschwerdeschrift an
den Fürsten und erlangten am 16. Octbr. 1601 vom Cardinal von Lothringen,
welcher den Herzog in dessen Abwesenheit als Generalstatthalter zu vertreten
hatte, ein feierliches Patent zur Errichtung einer geschworenen Zunft für sie
und ihre Nachkommen. Nach Inhalt der Verfassung dieser Zunft sollten die
Glasherren von Nanzig ermächtigt sein, alljährlich am Tage ihres Schutz¬
herrn, des heiligen Lukas, aus ihrer Mitte einen Zunftmeister zu wählen,
welchem die Leitung und Aufsicht in allen Zunftangelegenheiten und die Ver¬
hängung von Strafen in Fällen der Verletzung der Zunftordnung zustehen
sollte. Der Zunftmeister hatte weiter das Recht, einem der Genossen das
Amt eines Obmanns zu übertragen, welchem es oblag, die Versammlungen
zu berufen, in denen die vereinigten Meister über entstandene Zunftstreitig¬
keiten zu befinden hatten. Alle Genossen, welche das Geschäft betreiben woll¬
ten, mußten vorerst ein Meisterstück fertigen und dann durch einen feierlichen
Eid geloben, sich als gute Zunftgenossen betragen zu wollen. Sie mußten
außerdem ein Eintrittsgeld von 10 Fras. entrichten („ps^er 10 treues xour
äroit ü'euer6s on as „„Kant"" — Handthierung?) Andere Artikel der
Zunftordnung bestimmen die Strafen, welche verhängt werden sollten über
solche Personen, welche das Geschäft betreiben, ohne in die Zunft aufgenom¬
men zu sein („sans edi's Kantes"), oder welche anderen Genossen Gesellen
oder andere Mitarbeiter abspänstig machen. Endlich enthalten die Zunft¬
artikel Bestimmungen über die Geschäftsordnung der Versammlungen, über
die Verwaltung der Zunftkasse u. f. w.

Die Glasindustrie hat seit der Zeit, wo sie unter dem erleuchteten Schutze der
Herzöge von Lothringen fröhlich wieder aufgeblüht war, bis auf unsere Tage
immer an Ausdehnung gewonnen und stets den ersten Rang eingenom-


Grenzboten IV. 1870. 57
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125163"/>
          <p xml:id="ID_1361" prev="#ID_1360"> und Mittelrhein besondere Beziehungen zwischen der lothringischen und der<lb/>
auch sehr frühzeitig und eigenthümlich entwickelten schwarzwälder Glasindustrie<lb/>
bestanden); eben genug, um damit die Leser d. Bl. auf einige Augenblicke<lb/>
lehrreich und angenehm zu beschäftigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1362"> Im Anfange des 17. Jahrhunderts, so berichtet Lepage,^ bildeten die<lb/>
&#x201E;Glasherren" von Nanzig eine sehr mächtige Corporation, an deren Spitze<lb/>
angesehene Leute, wie Jean Martin, Glaser im Hotel Sr. Hoheit des Her¬<lb/>
zogs (des Herzogs Karl II. von Lothringen), also wohl eine Art von Hof-<lb/>
glaser, ferner Udoolf Olivier, Jean Thierry, Vincent Claudot und Jean Ele¬<lb/>
ment, standen. Diese Meister hatten ihre Noth mit der Pfuscherei, die sich<lb/>
mehr und mehr in ihrem ehrwürdigen Gewerbe breit machte, und es ging<lb/>
ihnen sehr nahe, daß sie zusehn mußten, wie die alte Kunst &gt;on jungen<lb/>
Grünschnäbeln gemißhandelt wurde, welche kaum einige Monate in der Lehre<lb/>
gewesen und in die tiefen Geheimnisse der wahren Glastechnik noch keines¬<lb/>
wegs eingedrungen waren. Sie wandten sich mit einer Beschwerdeschrift an<lb/>
den Fürsten und erlangten am 16. Octbr. 1601 vom Cardinal von Lothringen,<lb/>
welcher den Herzog in dessen Abwesenheit als Generalstatthalter zu vertreten<lb/>
hatte, ein feierliches Patent zur Errichtung einer geschworenen Zunft für sie<lb/>
und ihre Nachkommen. Nach Inhalt der Verfassung dieser Zunft sollten die<lb/>
Glasherren von Nanzig ermächtigt sein, alljährlich am Tage ihres Schutz¬<lb/>
herrn, des heiligen Lukas, aus ihrer Mitte einen Zunftmeister zu wählen,<lb/>
welchem die Leitung und Aufsicht in allen Zunftangelegenheiten und die Ver¬<lb/>
hängung von Strafen in Fällen der Verletzung der Zunftordnung zustehen<lb/>
sollte. Der Zunftmeister hatte weiter das Recht, einem der Genossen das<lb/>
Amt eines Obmanns zu übertragen, welchem es oblag, die Versammlungen<lb/>
zu berufen, in denen die vereinigten Meister über entstandene Zunftstreitig¬<lb/>
keiten zu befinden hatten. Alle Genossen, welche das Geschäft betreiben woll¬<lb/>
ten, mußten vorerst ein Meisterstück fertigen und dann durch einen feierlichen<lb/>
Eid geloben, sich als gute Zunftgenossen betragen zu wollen. Sie mußten<lb/>
außerdem ein Eintrittsgeld von 10 Fras. entrichten (&#x201E;ps^er 10 treues xour<lb/>
äroit ü'euer6s on as &#x201E;&#x201E;Kant"" &#x2014; Handthierung?) Andere Artikel der<lb/>
Zunftordnung bestimmen die Strafen, welche verhängt werden sollten über<lb/>
solche Personen, welche das Geschäft betreiben, ohne in die Zunft aufgenom¬<lb/>
men zu sein (&#x201E;sans edi's Kantes"), oder welche anderen Genossen Gesellen<lb/>
oder andere Mitarbeiter abspänstig machen. Endlich enthalten die Zunft¬<lb/>
artikel Bestimmungen über die Geschäftsordnung der Versammlungen, über<lb/>
die Verwaltung der Zunftkasse u. f. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1363" next="#ID_1364"> Die Glasindustrie hat seit der Zeit, wo sie unter dem erleuchteten Schutze der<lb/>
Herzöge von Lothringen fröhlich wieder aufgeblüht war, bis auf unsere Tage<lb/>
immer an Ausdehnung gewonnen und stets den ersten Rang eingenom-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1870. 57</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] und Mittelrhein besondere Beziehungen zwischen der lothringischen und der auch sehr frühzeitig und eigenthümlich entwickelten schwarzwälder Glasindustrie bestanden); eben genug, um damit die Leser d. Bl. auf einige Augenblicke lehrreich und angenehm zu beschäftigen. Im Anfange des 17. Jahrhunderts, so berichtet Lepage,^ bildeten die „Glasherren" von Nanzig eine sehr mächtige Corporation, an deren Spitze angesehene Leute, wie Jean Martin, Glaser im Hotel Sr. Hoheit des Her¬ zogs (des Herzogs Karl II. von Lothringen), also wohl eine Art von Hof- glaser, ferner Udoolf Olivier, Jean Thierry, Vincent Claudot und Jean Ele¬ ment, standen. Diese Meister hatten ihre Noth mit der Pfuscherei, die sich mehr und mehr in ihrem ehrwürdigen Gewerbe breit machte, und es ging ihnen sehr nahe, daß sie zusehn mußten, wie die alte Kunst >on jungen Grünschnäbeln gemißhandelt wurde, welche kaum einige Monate in der Lehre gewesen und in die tiefen Geheimnisse der wahren Glastechnik noch keines¬ wegs eingedrungen waren. Sie wandten sich mit einer Beschwerdeschrift an den Fürsten und erlangten am 16. Octbr. 1601 vom Cardinal von Lothringen, welcher den Herzog in dessen Abwesenheit als Generalstatthalter zu vertreten hatte, ein feierliches Patent zur Errichtung einer geschworenen Zunft für sie und ihre Nachkommen. Nach Inhalt der Verfassung dieser Zunft sollten die Glasherren von Nanzig ermächtigt sein, alljährlich am Tage ihres Schutz¬ herrn, des heiligen Lukas, aus ihrer Mitte einen Zunftmeister zu wählen, welchem die Leitung und Aufsicht in allen Zunftangelegenheiten und die Ver¬ hängung von Strafen in Fällen der Verletzung der Zunftordnung zustehen sollte. Der Zunftmeister hatte weiter das Recht, einem der Genossen das Amt eines Obmanns zu übertragen, welchem es oblag, die Versammlungen zu berufen, in denen die vereinigten Meister über entstandene Zunftstreitig¬ keiten zu befinden hatten. Alle Genossen, welche das Geschäft betreiben woll¬ ten, mußten vorerst ein Meisterstück fertigen und dann durch einen feierlichen Eid geloben, sich als gute Zunftgenossen betragen zu wollen. Sie mußten außerdem ein Eintrittsgeld von 10 Fras. entrichten („ps^er 10 treues xour äroit ü'euer6s on as „„Kant"" — Handthierung?) Andere Artikel der Zunftordnung bestimmen die Strafen, welche verhängt werden sollten über solche Personen, welche das Geschäft betreiben, ohne in die Zunft aufgenom¬ men zu sein („sans edi's Kantes"), oder welche anderen Genossen Gesellen oder andere Mitarbeiter abspänstig machen. Endlich enthalten die Zunft¬ artikel Bestimmungen über die Geschäftsordnung der Versammlungen, über die Verwaltung der Zunftkasse u. f. w. Die Glasindustrie hat seit der Zeit, wo sie unter dem erleuchteten Schutze der Herzöge von Lothringen fröhlich wieder aufgeblüht war, bis auf unsere Tage immer an Ausdehnung gewonnen und stets den ersten Rang eingenom- Grenzboten IV. 1870. 57

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/457>, abgerufen am 22.12.2024.