Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist, waren die Ausfälle eine unnütze Menschenschlächterei. Und es ist nur zu
hoffen, daß der windige Muth der Pariser, welcher sich jetzt wieder hoch
ausgeblasen hat, durch den fürchterlichen Ernst der Thatsachen recht schnell
auf eine verständige Einsicht in die Hoffnungslosigkeit weiteren Widerstandes
herabgedrückt werde. Denn die Hoffnung auf die Loirearmee wird man nach
den großen Erfolgen, welche die Armeen Großherzog von Mecklenburg und
Prinz Friedrich Karl vom 2. bis 4. errangen, nach der Wiederbesetzung
von Orleans und der Flucht der Loirearmee wohl für längere Zeit aufgeben
müssen. Dort war bei den deutschen Heeren endlich ein energisches combinir-
tes Vorgehen durchgesetzt. Auch an der Loirearmee hat sich trotz aller Tapfer¬
keit einzelner Bataillone, die Unzuverlässigkeit und Lockerheit der neugebil¬
deten Heeresmassen erwiesen, und zugleich die Erbärmlichkeit der franzö¬
sischen Stimmführer. General Aurelles, der vor wenig Tagen als Hort und
Paladin des republikanischen Frankreichs gefeiert wurde, ist sofort nach seiner
Niederlage in offiziellem Regierungsacte mit Mißtrauen und Beschuldigungen
verfolgt worden. So schnell ist der neue Stern erblichen. Dies Gesinde!
wird bald keinen Mann von Ehre finden können, der noch unter ihm Dienste
nimmt.

Der Sieg bei Orleans kam zu guter Stunde, Und doch wagen wir kaum noch
anzunehmen, daß er sofort den Frieden einleitet. Die Deutschen brechen alle
Hindernisse, wir schlagen eine Armee nach der andern, die Zahl der franzö¬
sischen Gefangenen, der eroberten Geschütze ist kaum noch zu übersehen, aber
wir vermögen einen Feind nicht zu besiegen, die celtische Selbstgefälligkeit,
Verlogenheit, Eitelkeit.

Ob dem hoffnungsfrohen Paris die für die Uebergabe nöthige Ernüch¬
terung schnell kommt, werden die nächsten Tage lehren, da die Posten aus
der Stadt trotz der Wachsamkeit unserer Truppen doch mit großer Regelmäßigkeit
ihre Schleichwege finden, sicherer als die abentemrlichen Ballons und Brieftauben.
Darauf aber müssen wir vorbereitet sein, daß die gegenwärtigen Machthaber
von Paris vorher noch ihr Aeußerstes im Widerstand versuchen. Die Ge¬
neräle Trochu und Ducrot sind in der Lage, durch die Capitulation viel zu
verlieren; Herrn Ducrot, der unter der Anklage steht, als Kriegsgefangener
sein Ehrenwort gebrochen zu haben, erwartet ein kurzes Proceßverfahren,
wenn er dem deutschen Heer erreichbar wird, und Herr Trochu ist wahrschein¬
lich kein Feldherr, aber ein hartnäckiger Pedant und eifriger Arbeiter, dessen
Ruhm in Frankreich ganz von der Länge des Widerstandes abhängt, welcher
durch seine Formationen möglich wird; es ist ihm schwerlich daran gelegen,
seine Person in ein neues Königthum oder Kaiserreich zu retten.

Dort an der Seine eine Noth-Republik unter despotischen Führern in
den letzten Zügen, an der Spree ein neues Kaiserthum, durch die deutschen


ist, waren die Ausfälle eine unnütze Menschenschlächterei. Und es ist nur zu
hoffen, daß der windige Muth der Pariser, welcher sich jetzt wieder hoch
ausgeblasen hat, durch den fürchterlichen Ernst der Thatsachen recht schnell
auf eine verständige Einsicht in die Hoffnungslosigkeit weiteren Widerstandes
herabgedrückt werde. Denn die Hoffnung auf die Loirearmee wird man nach
den großen Erfolgen, welche die Armeen Großherzog von Mecklenburg und
Prinz Friedrich Karl vom 2. bis 4. errangen, nach der Wiederbesetzung
von Orleans und der Flucht der Loirearmee wohl für längere Zeit aufgeben
müssen. Dort war bei den deutschen Heeren endlich ein energisches combinir-
tes Vorgehen durchgesetzt. Auch an der Loirearmee hat sich trotz aller Tapfer¬
keit einzelner Bataillone, die Unzuverlässigkeit und Lockerheit der neugebil¬
deten Heeresmassen erwiesen, und zugleich die Erbärmlichkeit der franzö¬
sischen Stimmführer. General Aurelles, der vor wenig Tagen als Hort und
Paladin des republikanischen Frankreichs gefeiert wurde, ist sofort nach seiner
Niederlage in offiziellem Regierungsacte mit Mißtrauen und Beschuldigungen
verfolgt worden. So schnell ist der neue Stern erblichen. Dies Gesinde!
wird bald keinen Mann von Ehre finden können, der noch unter ihm Dienste
nimmt.

Der Sieg bei Orleans kam zu guter Stunde, Und doch wagen wir kaum noch
anzunehmen, daß er sofort den Frieden einleitet. Die Deutschen brechen alle
Hindernisse, wir schlagen eine Armee nach der andern, die Zahl der franzö¬
sischen Gefangenen, der eroberten Geschütze ist kaum noch zu übersehen, aber
wir vermögen einen Feind nicht zu besiegen, die celtische Selbstgefälligkeit,
Verlogenheit, Eitelkeit.

Ob dem hoffnungsfrohen Paris die für die Uebergabe nöthige Ernüch¬
terung schnell kommt, werden die nächsten Tage lehren, da die Posten aus
der Stadt trotz der Wachsamkeit unserer Truppen doch mit großer Regelmäßigkeit
ihre Schleichwege finden, sicherer als die abentemrlichen Ballons und Brieftauben.
Darauf aber müssen wir vorbereitet sein, daß die gegenwärtigen Machthaber
von Paris vorher noch ihr Aeußerstes im Widerstand versuchen. Die Ge¬
neräle Trochu und Ducrot sind in der Lage, durch die Capitulation viel zu
verlieren; Herrn Ducrot, der unter der Anklage steht, als Kriegsgefangener
sein Ehrenwort gebrochen zu haben, erwartet ein kurzes Proceßverfahren,
wenn er dem deutschen Heer erreichbar wird, und Herr Trochu ist wahrschein¬
lich kein Feldherr, aber ein hartnäckiger Pedant und eifriger Arbeiter, dessen
Ruhm in Frankreich ganz von der Länge des Widerstandes abhängt, welcher
durch seine Formationen möglich wird; es ist ihm schwerlich daran gelegen,
seine Person in ein neues Königthum oder Kaiserreich zu retten.

Dort an der Seine eine Noth-Republik unter despotischen Führern in
den letzten Zügen, an der Spree ein neues Kaiserthum, durch die deutschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125148"/>
          <p xml:id="ID_1326" prev="#ID_1325"> ist, waren die Ausfälle eine unnütze Menschenschlächterei. Und es ist nur zu<lb/>
hoffen, daß der windige Muth der Pariser, welcher sich jetzt wieder hoch<lb/>
ausgeblasen hat, durch den fürchterlichen Ernst der Thatsachen recht schnell<lb/>
auf eine verständige Einsicht in die Hoffnungslosigkeit weiteren Widerstandes<lb/>
herabgedrückt werde. Denn die Hoffnung auf die Loirearmee wird man nach<lb/>
den großen Erfolgen, welche die Armeen Großherzog von Mecklenburg und<lb/>
Prinz Friedrich Karl vom 2. bis 4. errangen, nach der Wiederbesetzung<lb/>
von Orleans und der Flucht der Loirearmee wohl für längere Zeit aufgeben<lb/>
müssen. Dort war bei den deutschen Heeren endlich ein energisches combinir-<lb/>
tes Vorgehen durchgesetzt. Auch an der Loirearmee hat sich trotz aller Tapfer¬<lb/>
keit einzelner Bataillone, die Unzuverlässigkeit und Lockerheit der neugebil¬<lb/>
deten Heeresmassen erwiesen, und zugleich die Erbärmlichkeit der franzö¬<lb/>
sischen Stimmführer. General Aurelles, der vor wenig Tagen als Hort und<lb/>
Paladin des republikanischen Frankreichs gefeiert wurde, ist sofort nach seiner<lb/>
Niederlage in offiziellem Regierungsacte mit Mißtrauen und Beschuldigungen<lb/>
verfolgt worden. So schnell ist der neue Stern erblichen. Dies Gesinde!<lb/>
wird bald keinen Mann von Ehre finden können, der noch unter ihm Dienste<lb/>
nimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1327"> Der Sieg bei Orleans kam zu guter Stunde, Und doch wagen wir kaum noch<lb/>
anzunehmen, daß er sofort den Frieden einleitet. Die Deutschen brechen alle<lb/>
Hindernisse, wir schlagen eine Armee nach der andern, die Zahl der franzö¬<lb/>
sischen Gefangenen, der eroberten Geschütze ist kaum noch zu übersehen, aber<lb/>
wir vermögen einen Feind nicht zu besiegen, die celtische Selbstgefälligkeit,<lb/>
Verlogenheit, Eitelkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328"> Ob dem hoffnungsfrohen Paris die für die Uebergabe nöthige Ernüch¬<lb/>
terung schnell kommt, werden die nächsten Tage lehren, da die Posten aus<lb/>
der Stadt trotz der Wachsamkeit unserer Truppen doch mit großer Regelmäßigkeit<lb/>
ihre Schleichwege finden, sicherer als die abentemrlichen Ballons und Brieftauben.<lb/>
Darauf aber müssen wir vorbereitet sein, daß die gegenwärtigen Machthaber<lb/>
von Paris vorher noch ihr Aeußerstes im Widerstand versuchen. Die Ge¬<lb/>
neräle Trochu und Ducrot sind in der Lage, durch die Capitulation viel zu<lb/>
verlieren; Herrn Ducrot, der unter der Anklage steht, als Kriegsgefangener<lb/>
sein Ehrenwort gebrochen zu haben, erwartet ein kurzes Proceßverfahren,<lb/>
wenn er dem deutschen Heer erreichbar wird, und Herr Trochu ist wahrschein¬<lb/>
lich kein Feldherr, aber ein hartnäckiger Pedant und eifriger Arbeiter, dessen<lb/>
Ruhm in Frankreich ganz von der Länge des Widerstandes abhängt, welcher<lb/>
durch seine Formationen möglich wird; es ist ihm schwerlich daran gelegen,<lb/>
seine Person in ein neues Königthum oder Kaiserreich zu retten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1329" next="#ID_1330"> Dort an der Seine eine Noth-Republik unter despotischen Führern in<lb/>
den letzten Zügen, an der Spree ein neues Kaiserthum, durch die deutschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] ist, waren die Ausfälle eine unnütze Menschenschlächterei. Und es ist nur zu hoffen, daß der windige Muth der Pariser, welcher sich jetzt wieder hoch ausgeblasen hat, durch den fürchterlichen Ernst der Thatsachen recht schnell auf eine verständige Einsicht in die Hoffnungslosigkeit weiteren Widerstandes herabgedrückt werde. Denn die Hoffnung auf die Loirearmee wird man nach den großen Erfolgen, welche die Armeen Großherzog von Mecklenburg und Prinz Friedrich Karl vom 2. bis 4. errangen, nach der Wiederbesetzung von Orleans und der Flucht der Loirearmee wohl für längere Zeit aufgeben müssen. Dort war bei den deutschen Heeren endlich ein energisches combinir- tes Vorgehen durchgesetzt. Auch an der Loirearmee hat sich trotz aller Tapfer¬ keit einzelner Bataillone, die Unzuverlässigkeit und Lockerheit der neugebil¬ deten Heeresmassen erwiesen, und zugleich die Erbärmlichkeit der franzö¬ sischen Stimmführer. General Aurelles, der vor wenig Tagen als Hort und Paladin des republikanischen Frankreichs gefeiert wurde, ist sofort nach seiner Niederlage in offiziellem Regierungsacte mit Mißtrauen und Beschuldigungen verfolgt worden. So schnell ist der neue Stern erblichen. Dies Gesinde! wird bald keinen Mann von Ehre finden können, der noch unter ihm Dienste nimmt. Der Sieg bei Orleans kam zu guter Stunde, Und doch wagen wir kaum noch anzunehmen, daß er sofort den Frieden einleitet. Die Deutschen brechen alle Hindernisse, wir schlagen eine Armee nach der andern, die Zahl der franzö¬ sischen Gefangenen, der eroberten Geschütze ist kaum noch zu übersehen, aber wir vermögen einen Feind nicht zu besiegen, die celtische Selbstgefälligkeit, Verlogenheit, Eitelkeit. Ob dem hoffnungsfrohen Paris die für die Uebergabe nöthige Ernüch¬ terung schnell kommt, werden die nächsten Tage lehren, da die Posten aus der Stadt trotz der Wachsamkeit unserer Truppen doch mit großer Regelmäßigkeit ihre Schleichwege finden, sicherer als die abentemrlichen Ballons und Brieftauben. Darauf aber müssen wir vorbereitet sein, daß die gegenwärtigen Machthaber von Paris vorher noch ihr Aeußerstes im Widerstand versuchen. Die Ge¬ neräle Trochu und Ducrot sind in der Lage, durch die Capitulation viel zu verlieren; Herrn Ducrot, der unter der Anklage steht, als Kriegsgefangener sein Ehrenwort gebrochen zu haben, erwartet ein kurzes Proceßverfahren, wenn er dem deutschen Heer erreichbar wird, und Herr Trochu ist wahrschein¬ lich kein Feldherr, aber ein hartnäckiger Pedant und eifriger Arbeiter, dessen Ruhm in Frankreich ganz von der Länge des Widerstandes abhängt, welcher durch seine Formationen möglich wird; es ist ihm schwerlich daran gelegen, seine Person in ein neues Königthum oder Kaiserreich zu retten. Dort an der Seine eine Noth-Republik unter despotischen Führern in den letzten Zügen, an der Spree ein neues Kaiserthum, durch die deutschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/442>, abgerufen am 22.12.2024.